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Wahlperiode 13, Band VIII/1, Seiten 80 und 81
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Protokoll der 34. Sitzung

Wir haben in der Umfrage, die ich angesprochen habe, folgendes angesehen.
Wir haben die Verfassung der DDR von 1974 hergenommen, das Grundgesetz
hergenommen und haben dann Rechtsstaat, die liberalen Freiheitsrechte, die
demokratischen Grundinstitutionen und die sozialen Rechte, die dort kodifi-
ziert sind, thematisiert und gefragt: Gehört das denn zur Demokratie dazu?
Dann haben wir gefragt, bis zu welchem Maße diese Zielvorstellungen in der
Politik der Bundesrepublik heute realisiert sind. Die Ergebnisse sind für mich
faszinierend; ich will sie hier ganz kurz festhalten. Numero eins, das Demo-
kratieverständnis der Ost- und Westdeutschen unterscheidet sich nur in Nuan-
cen. Man sollte meinen, und das ist auch der Fall, daß die sozialen Rechte von
den Bürgern in der ehemaligen DDR stärker betont werden, das hatte ja
schließlich auch Verfassungsrang, während es im Grundgesetz so nicht zu fin-
den ist. Aber die Unterschiede liegen nur bei fünf Prozentpunkten und nicht
mehr. Was die Elemente der Demokratie betrifft, kann man eigentlich nicht
von einem großen Unterschied zwischen den Bürgern der alten und der neuen
Bundesländer sprechen. Zum zweiten, wenn Sie sich ansehen, wie die Bürger
meinen, daß diese Elemente, diese zentralen demokratischen Normen bei uns
realisiert sind, dann kann einem, je nach dem Fell, das er sich zugelegt hat,
auch durchaus angst und bange werden. Ich hatte ja versprochen, keine Zahlen
vorzulegen. Aber wenn die Bürger in den neuen Bundesländern zu 61 % der
Meinung sind, daß die Gleichheit vor dem Gesetz zu wünschen übrig lasse,
dann ist das etwas, was mich nachdenklich stimmt. Und wenn ich mir ansehe,
daß 60 % der Bürger in den neuen Bundesländern meinen, daß die freie Be-
rufswahl nicht gewährleistet ist oder daß in Bezug auf die freie Entfaltung der
Persönlichkeit nur 57 % meinen, daß sie realisiert sei, dann muß man sagen,
hier ist ein Befund, der zumindest diskussionswürdig ist. Nebenbei, wenn Sie
fragen, ein Parlament, das die Interessen der Bürger vertritt, ein Parlament ge-
hört zur Demokratie, das meinen die meisten, aber nur 31 % in Gesamt-
deutschland sind der Meinung, daß wir das tatsächlich haben, und der Prozent-
satz liegt in den neuen Bundesländern bei 24 %.

Ich fasse zusammen und sage, das Demokratieverständnis der Bürger in den
alten und den neuen Bundesländern ist weitestgehend ähnlich. Die Urteile dar-
über, wie diese demokratischen Normen jeweils realisiert sind, sind in Teilen
sehr bedenklich, und das gilt vor allem für das Urteil der Bürger in den neuen
Bundesländern. Nun sind das Demokratieverständnis und die Werte eine
Möglichkeit, zu erklären, warum die Bürger denn so unzufrieden sind mit dem
Funktionieren der Demokratie. Der gängige Erklärungsansatz ist, wie hieß das
vorhin so schön, die Grundmuster bleiben lebendig: Der demokratische Sozia-
lismus ist in den Köpfen, und weil die Bundesrepublik Deutschland eher das
liberale Demokratiemodell und eben nicht das des demokratischen Sozialismus
realisiert hat, deshalb sind die Bürger in den neuen Bundesländern unzufrie-
den. Eigentlich eine eingängige These, Noelle-Neumann sagt das ja auch im-
mer wieder und belegt sie mit Daten.

Es gibt allerdings auch eine andere Möglichkeit, die Unzufriedenheit in
Deutschland insgesamt und in den neuen und in den alten Bundesländern zu

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Wechselseitige Wahrnehmungen und ihre Nachwirkungen

erklären. Diese alternative Erklärung könnte schlicht in einer Leistungsbeur-
teilung der Politik und dem Erscheinungsbild von Politik in der Bundesrepu-
blik liegen, also in der Wahrnehmung etwa einer andauernden Leistungs-
schwäche der Politik und in der Wahrnehmung mangelnder Integrität so man-
cher Politiker. Wir haben diese Alternative versucht empirisch zu überprüfen.
Wir haben gefragt nach der Zufriedenheit der Bürger mit den Leistungen der
Bundesregierung, wir haben gefragt nach der Vermutung, inwieweit Inhaber
öffentlicher Ämter etwa der Bestechung oder der Korruption zugänglich sind.
Das möchte ich Ihnen auch nicht vorenthalten. Das ist etwas, was doch auch zu
denken gibt. Daß fast keiner oder nur einige Inhaber eines öffentlichen Amtes
an Bestechung und Korruption beteiligt seien, das meinen nur 47 %. Das heißt,
53 %, und zwar in den alten, in den neuen Ländern und in Gesamtdeutschland,
sind der Meinung, daß die Integrität nicht vollständig gegeben ist. Zum zwei-
ten, die wirtschaftliche Lage wird katastrophal beurteilt, und da unterscheiden
sich wiederum die Bürger der alten und der neuen Bundesländer überhaupt
nicht. Wenn Sie, wie gesagt, die Einschätzung der Leistungen der Bundesre-
gierung betrachten, dann sind in der Republik 21 % zufrieden, und zwar uni-
sono, egal, ob sie nun vielleicht den demokratischen Sozialismus im Kopfe
haben oder eben nicht, 21 % in den alten und in den neuen Bundesländern und
in der Bundesrepublik insgesamt. Preisfrage ist natürlich, ich schenke mir hier
wieder die Feinheiten und die technischen und methodischen Anmerkungen:
Was ist es denn nun, ist es die Ideologie, oder ist es die Leistungsbeurteilung,
die zu diesem Mißvergnügen an der Art und Weise, wie Demokratie in
Deutschland im Augenblick funktioniert, geführt hat?

Das Resultat ist relativ eindeutig. Es ist nicht die Ideologie, es ist die Lei-
stungsbeurteilung. Wir haben eine Analyse durchgeführt, die das ziemlich ein-
deutig belegt. Am Ausgangspunkt stand eine Frage: Warum sind die Deut-
schen mit der Art und Weise, wie die Demokratie heute in der Bundesrepublik
funktioniert, nicht zufrieden? Woran könnte das liegen? Diese Frage findet ei-
ne eindeutige Antwort. Es liegt nicht daran, daß die Bürger in den neuen Bun-
desländern etwa nostalgisch ihrem demokratischen Sozialismus nachtrauern,
sondern es liegt daran, daß sie wie die Westdeutschen ein Leistungsdefizit und
ein Defizit im Erscheinungsbild der deutschen Politik wahrnehmen. Ich be-
danke mich.

Gesprächsleiter Prof. Dr. Bernd Faulenbach: Vielen Dank Herr Klinge-
mann. Es folgt sofort Herr Münchmeier. Bitte sehr.

Prof. Dr. Richard Münchmeier: Sehr geehrter Herr Vorsitzende, meine Da-
men und Herren. Ich möchte die Gelegenheit nutzen, einige wenige Befunde
aus der neuesten Shell-Studie vorzustellen. Dies hat den Vorteil, daß die Daten
relativ frisch sind, ungewöhnlich frisch für übliche Verhältnisse, sie sind erho-
ben worden Ende November, Anfang Dezember im letzten Jahr. Erlauben Sie
also einen relativ aktuellen Blick auf die Situation junger Menschen im ver-
einten Deutschland und die Einstellungen und Orientierungsmuster in Ost und
West. Die Daten, die ich Ihnen vorstellen möchte, basieren auf einer repräsen-