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Wahlperiode 13, Band VIII/1, Seiten 88 und 89
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Protokoll der 34. Sitzung

lungen entwickeln, wie in der gegenwärtigen Situation weiter zu verfahren ist.
Wir fangen mit Frau Simon an. Bitte sehr.

Annette Simon: Ich habe ganz kurz thesenhaft etwas zusammengefaßt, was
ich als Psychotherapeutin im Moment sehe. Die Teilung Deutschlands war ein
Ergebnis des von Deutschland angefangenen Zweiten Weltkrieges und ihr lan-
ges Weiterbestehen auch ein Resultat des sich anschließenden Kalten Krieges.
Beide Teile hatten sich mit dem Erbe, mit der Schuld des Nationalsozialismus
auseinanderzusetzten. Die Geschichte wurde in beiden Teilen verschieden in-
terpretiert und das Böse auf den jeweiligen anderen Teil projiziert. Diese Pro-
jektionen wurde durch die Teilung der Welt in zwei feindliche Lager noch ver-
schärft und zugespitzt. Die Propaganda beider Seiten und die damit verbunde-
nen Projektionen wirken bis heute weiter und erschweren die realistische
Wahrnehmung voneinander. Daß die Propaganda der Ostseite dabei wesentlich
dümmer, penetranter und undifferenzierter bis zum Schluß war, heißt nicht,
daß sie nicht trotzdem gewirkt hat. Beide Seiten sahen sich in diesen Zerrbil-
dern als Feindesland, die Bewohner des anderen Teils zum Teil auch als Fein-
de. In der DDR wurde diese Spaltung vorgenommen, da waren die bösen Klas-
sengegner und auf der anderen Seite die Arbeiterklasse, die unsere Klassen-
brüder wären. Eine ähnliche Spaltung findet man in dem Versuch zu sagen, die
Machthabenden in Pankow und Wandlitz, und die anderen sind unsere Schwe-
stern und Brüder. Das sind natürlich Schablonen, wie wir vorhin ja auch in den
Schulbüchern gehört haben. Man muß aber nicht denken, daß solche Schablo-
nen, obwohl wir sie lange ironisiert und belacht haben, nicht wirken. Es gibt
eben, wie wir aus der Psychoanalyse wissen, das Unbewußte, und das Unbe-
wußte ist das, was wir nicht immer bewußt wahrnehmen, was aber weiterwirkt,
und auch besonders, wenn Verunsicherungen auftreten, greift man wieder zu
solchen Schablonen.

Mit dem Untergang der DDR ging für deren Bürger und Bürgerinnen auch
Identität verloren. Wie auch immer hatten sich alle, die dort blieben, für die
DDR angemessen verhalten müssen. Sie forderte eine Loyalität, die im Extrem
mit dem Tod an der Mauer endete, wollte man sie verlassen. Für manche ging
mit dem Untergang der DDR eine sozialistische Idee, eine Utopie, für andere
eine gesicherte Gesellschaft und für wieder andere eine erlittene Gängelung
und Unterdrückung vorbei. Mit diesem Verlust müssen Menschen erst einmal
fertigwerden, übrigens auch mit dem Verlust des immer verachteten Gegners.
Die sich nun neu bildenden Vorurteile von West und Ost dienen eigentlich zur
Stabilisierung einer alten Gruppenidentität, übrigens auf beiden Seiten. In der
Verunsicherung greift man zu neuen und alten Stereotypen. Auch die Bundes-
republik ist nicht mehr, was sie war, das ist ein allgemeiner pauschaler Satz. In
der DDR gab es natürlich viel mehr Verunsicherung durch die Vereinigung,
und trotzdem, denke ich, ist die Verunsicherung auf beiden Seiten da. Das
Schlagwort von der Ostalgie beschreibt meiner Meinung nach etwas, was nur
der Bewahrung einer alten Identität dient. Ich sehe aber auch im Westen so et-
was wie Nestalgie, die Angst, daß das schön gebaute Nest durch die Neuen
zerrupft und verdreckt wird und es verarmen könnte.

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Wechselseitige Wahrnehmungen und ihre Nachwirkungen

Es ginge darum, jetzt eine gemeinsame Identität zu finden oder zu schaffen.
Das ist nach 40 Jahren verschiedener Entwicklungen sehr schwer und wahr-
scheinlich auch in der Schwierigkeit unterschätzt worden. Im Grunde stehen
sich im Psychischen meiner Meinung nach zwei verschiedene Kulturen gegen-
über, die zwar die gleiche Sprache sprechen, was uns immer eine bestimmte
Gleichheit vortäuscht, aber das Wahrnehmen der wirklich gewachsenen Unter-
schiede erschwert. Vielleicht, Wolf Wagner beschreibt es in seinem Buch
„Kulturschock Deutschlands“ recht gut, daß es eine Möglichkeit wäre, wenn
man sich wirklich als verschieden begreifen würde, daß man dann sich der an-
deren Kultur mit mehr Neugier und weniger Werturteilen nähern könnte.
Vielleicht könnte dabei auch helfen sich klarzumachen, daß es nicht unbedingt
das Verdienst der Westdeutschen war oder ihre angeborene Überlegenheit, daß
sie eine andere Besatzungsmacht hatten als die Ostdeutschen.

Es gab im Vereinigungsprozess sowohl sozial als auch ökonomisch große Un-
gleichgewichte, die die alte DDR selbst mitverschuldet hat, die aber vielen
einzelnen das Gefühl geben, daß eine Siegerkultur ihr Land erobere. Man hört
dann solche Sprüche wie, der Fuchs ist schlau und stellt sich dumm, beim
Wessi ist es andersrum. Bei der Schaffung einer gemeinsamen Identität gibt es
meiner Meinung nach verschiedene Möglichkeiten und Bestimmungsstücke.
Eine Möglichkeit wäre, sich auf die Vergangenheit zu beziehen. Die jüngste
Vergangenheit vor der Teilung war aber der Nationalsozialismus, mit ihm ist
eine positive Identifikation nicht möglich. Deswegen könnte man sich gemein-
sam auf den Widerstand gegen den Nationalsozialismus beziehen. Wir wissen
aber alle, daß das keine Massenbewegung war und es nur wenige waren, die
den Widerstand aufbrachten. Es wäre aber eine Möglichkeit, sich zum Beispiel
auch auf den Widerstand und die Opposition in der DDR zu beziehen, die es ja
in weit größerem Maße gab, als sie wahrgenommen wurden. Ich verweise nur
auf das Buch von Mitter und Wolle „Untergang auf Raten“. Eine andere Mög-
lichkeit zur Schaffung von Identität wäre gewesen, sich gemeinsame neue
Symbole zu schaffen. Ich denke, daß da im Vereinigungsprozess einiges ver-
säumt worden ist. Es wäre gut gewesen, eine neue Nationalhymne zu finden,
eine neue Verfassung sich zu geben und mit der neuen Hauptstadt möglichst
bald diese auch als solche zu nutzen.

Was psychologisch auch sehr wenig gut ist, ist diese Umbenennung aller Stra-
ßen. Dadurch bekommen die Leute das Gefühl, ihnen wird die Identität ge-
nommen. Der Kampf um den Palast der Republik oder der Kampf um das
Ampelmännchen sind in ihrer Lächerlichkeit relativ ernstzunehmen, weil es
ein Kampf um alte kulturelle Identität ist. Identität braucht jemand, weil er sein
Selbstbild und seine Selbstachtung stabilisieren möchte. Wir müssen uns im-
mer wieder klarmachen, daß im Osten viel Selbstachtung und Selbststabilisie-
rung verlorengegangen ist, und zwar besonders in der älteren Generation. Ich
denke, diejenigen, die zum Vereinigungszeitpunkt über 45 Jahre alt waren, ha-
ben das Gefühl bekommen, ihr ganzes Leben sei in Frage gestellt, zum Teil
völlig zu recht, wie ich es sehe. Aber diese sehen es natürlich nicht so. Gerade