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in dieser älteren Generation finden wir so verkrustete Stereotypen, während es
in der jüngeren Generation, meiner Meinung nach, weniger der Fall ist.
Die andere Frage wäre, was können wir noch machen, um neue Identifikation
zu setzten. Da ginge es um Gegenwart und Zukunft. Wie werden die DDR-
Bürger in die Gestaltung von beiden einbezogen? Es ist zu einem Wechsel der
Machteliten gekommen. Meiner Meinung nach auch zurecht. Aber trotzdem
empfinden viele ihre neuen Westchefs nicht unbedingt als identitätsschaffend.
Die Frage wäre auch, warum nicht viele Oppositionelle der alten DDR in Füh-
rungspositionen gekommen sind. Ich sehe da einen beiderseitigen Prozess.
Einmal haben diese sich oft der Macht verweigert, noch aus einer alten Identi-
tät heraus, aus der DDR, daß man keine Machtposition einzunehmen habe, und
andererseits gab es von der anderen Seite auch einen Ausschluß gerade dieser
Leute von der Macht. Danke.
(Beifall)
Gesprächsleiter Prof. Dr. Bernd Faulenbach: Vielen Dank, Frau Simon, die
uns schon mit ihrem Beitrag in die Probleme hineingeführt hat. Es folgt Hein-
rich August Winkler.
Prof. Dr. Heinrich August Winkler: Meine Damen und Herren, das wieder-
vereinigte Deutschland ist auch heute noch in vieler Hinsicht ein gespaltenes
Land. Daß es ein Land mit zwei politischen Teilkulturen ist, das zeigen uns
immer wieder die Wahlergebnisse aus den alten und den neuen Ländern. We-
niger ins öffentliche Bewußtsein gedrungen ist eine damit eng zusammenhän-
gende Spaltung, die auf die gegenseitige Sicht der Deutschen in Ost und West
einwirkt: ein höchst unterschiedliches Bild nicht nur der Geschichte des ge-
teilten Deutschland, davon war heute nachmittag schon die Rede, sondern auch
der gemeinsamen deutschen Geschichte vor 1945.
Ein zentrales Problem ist hierbei das Verhältnis von Demokratie und Diktatur.
Gerade im Hinblick auf dieses Thema läßt sich ein kräftiges Weiterwirken von
Stereotypen beobachten. Dabei gibt es ein leicht erklärliches Ost-West-
Gefälle. Wenn es so etwas wie ein „Geschichtsbild West“ gibt, ist es ein kon-
troverses Produkt kontroverser Debatten, wie es dem Charakter einer plurali-
stischen Gesellschaft entspricht. Soweit wir verkürzend von einem „Ge-
schichtsbild Ost“ sprechen können, schlägt sich darin auch heute noch die Tat-
sache nieder, daß es in der DDR bis 1989 ein Geschichtsdeutungsmonopol ei-
ner Partei, der SED, gab. Den Wirkungen dieses Monopols sich ganz zu ent-
ziehen, war wohl kaum möglich. Folglich ist es auch nicht erstaunlich, daß von
diesen Wirkungen einiges fortdauert. Die Straßenumbenennungen wären dafür
ein sehr sprechendes Beispiel, wobei die Debatten, die kontroversen, manch-
mal mindestens ebenso wichtig erschienen wie die Umbenennungen selbst. Ich
füge hinzu: Über Dimitroff und Pieck mußte man nun wirklich streiten, und
man konnte auch über Clara Zetkin streiten. Aber das ist nur ein Stichwort für
die Diskussion.
Um meine Behauptung zu illustrieren, daß wir es in Deutschland mit zwei Ge-
schichtskulturen nach wie vor zu tun haben, nenne ich das Stichwort der Wei-
marer Erfahrungen. In der alten Bundesrepublik verbindet man damit die Erin-
nerung an die Krisen und das Scheitern der ersten parlamentarischen Demo-
kratie in Deutschland. Daran fügt sich eine zweite Erinnerung, die an den er-
folgreichen Versuch des Parlamentarischen Rats in den Jahren 1948/49, aus
dem Scheitern der Weimarer Republik zu lernen und im zweiten historischen
Anlauf, der nicht erkämpft wurde, sondern den wir einer Chance verdanken,
die uns durch den glücklichen Zufall anderer Besatzungsmächte als im Osten
gegeben wurde, eine wertgebundene, funktionstüchtige, repräsentative westli-
che Demokratie aufzubauen.
Das Weimar-Bild der SED war bekanntlich ein radikal anderes, nämlich im
wesentlichen das ihrer Vorgängerin, der KPD. In letzter Instanz ist die erste
Republik demnach am Klassenverrat der Sozialdemokraten gescheitert. Hitler
wäre dieser Deutung zufolge nicht an die Macht gelangt, wenn sich Kommuni-
sten und Sozialdemokraten zu einer antifaschistischen Einheitsfront zusam-
mengeschlossen hätten. Die richtigen Lehren aus Weimar habe die DDR gezo-
gen: Das blieb bis zuletzt die Doktrin der SED.
Die politische Aktualität beider Sichtweisen liegt auf der Hand. Der Lesart
„West“ entspricht das Postulat von der „Solidarität der Demokraten“. Der Les-
art „Ost“, wenn ich die von der SED geprägte Geschichtsinterpretation vergrö-
bernd so nennen darf, der Aufruf zur „Einheit der Linken“. Tatsächlich hätte es
die erste deutsche Republik überhaupt nicht gegeben, wenn die Linke einig
geblieben wäre. Die parlamentarische Demokratie beruhte auf der Bereitschaft
der gemäßigten Kräfte in der Arbeiterbewegung und im Bürgertum, miteinan-
der zusammenzuarbeiten. Die auf das Dogma vom Klassenkampf eingeschwo-
rene marxistische Vorkriegssozialdemokratie war, so gesehen, noch nicht de-
mokratiefähig. Oder, um die These noch mehr zuzuspitzen: Die Spaltung der
marxistischen Arbeiterbewegung war, so paradox das klingt, Vorbelastung und
Vorbereitung der ersten deutschen Demokratie in einem.
Nicht nur im Hinblick auf die erste deutsche Demokratie können wir auf
Schritt und Tritt bis heute anhaltende Wirkungen von historischen Stereotypen
feststellen. Wenn wir uns den beiden deutschen Diktaturen zuwenden, ist der
Befund derselbe. Das wird deutlich, sobald wir vor „Diktatur“ das Adjektiv
„totalitär“ setzen. Würde die Verwendung dieses Begriffs auf eine Gleichset-
zung höchst unterschiedlicher Herrschaftsformen, etwa jener Stalins und Hit-
lers, also auf das Stereotyp „rot gleich braun“ hinauslaufen, wäre dieser Be-
griff wissenschaftlich unbrauchbar. Aber neben Unterschieden gibt es eben
auch Gemeinsamkeiten zwischen den genannten Regimen, Gemeinsamkeiten
hinsichtlich der Herrschaftsstrukturen und der Herrschaftsmethoden. Diese
Gemeinsamkeiten heben die kommunistischen und faschistischen Diktaturen
von autoritären Diktaturen mit weniger umfassendem Herrschaftsanspruch ab.
Schon um diesen Unterschied nicht zu verwischen, ist ein differenzierter, ela-