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Wahlperiode 12, Band II/1, Seiten 156 und 157
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Protokoll der 20. Sitzung

gab und zeigte, für uns auch eine Motivation war. Daher meine ich, daß wir
diesen Aspekt nichts außer acht lassen dürfen.

Noch einen dritten Punkt, bitte. Die Bürger der alten Bundesrepublik hatten
es nach einer Übergangszeit und einer nicht ganz bewältigten Vergangenheit
der nationalsozialistischen Diktatur relativ schnell gelernt, eine wirkliche
Demokratie aufzubauen, die für uns Vorbild war. Ich darf das einmal so sagen:
Der Bundesbürger lebte uns Demokratie vor. Aber das Schlimme in diesem
Land der 16 Millionen, die nicht das Glück hatten, einer amerikanischen,
britischen oder französischen Besatzungsmacht zu unterliegen, war, daß diese
Menschen gezwungen waren, nach zwölf Jahren brauner Diktatur weiterhin
40 Jahre lang Diktatur zu erleben. Das heißt, diese insgesamt 57 Jahre
ununterbrochene Diktatur prägen zwei Generationen von Menschen in diesem
Lande.

Wenn wir schnell oder vorschnell urteilen über diese Menschen, die über ein
halbes Jahrhundert fürchterliche Diktatur erleben mußten, müssen wir auch
beachten, daß die anderen eine viel bessere Vergangenheit haben und nicht
unter Angst und Knute leben mußten. Das wollte ich nur noch einmal zu
bedenken geben und bedanke mich für die Aufmerksamkeit.

(Beifall)

Gesprächsleiter Markus Meckel (SPD): Vielen Dank, Herr Wendel. Sie
haben an der Reaktion gemerkt, daß Sie manches getroffen haben, was andere
auch bewegt. Frau Rührdanz möchte ich nun bitten, von sich und ihrem
Schicksal zu erzählen.

Sigrid Rührdanz: Ich habe mir sehr, sehr oft die Frage gestellt: Warum wurde
ich 1963 ein Opfer? Mein Schicksal ist eigentlich ein rein menschliches. Und
wie ging man in dem Staat DDR damit um? Ich will es kurz anreißen.

Im Januar 1961 wurde mein Sohn geboren, von Anfang an ein Problemfall,
ein Sorgenkind, teilweise Fehlbehandlung der behandelnden Ärzte. Torsten
konnte hier nicht recht behandelt werden. Ich habe ihn in die Westland-
Klinik gebracht. Dort ist ihm sehr schnell geholfen worden. Er befand sich
auf dem Wege der Besserung – unter einer Bedingung: Heilernährung und
Medikamente, die es damals nur im Westen gab. Der DDR-Staat stimmte
dieser Sache zu. Torsten kam im Juli 1961 zu mir nach Hause. Ich durfte
die Medikamente und die Heilernährung einführen mit Genehmigung des
Gesundheitsministeriums der DDR.

Dann kam die Mauer, und die ganze Geschichte war aus und zu Ende.
Die Folge: Rückfallerkrankung meines Sohnes. Da man ihm hier wiederum
nicht helfen konnte, wurde er am 28.08.61 in die West-Berliner Klinik
zurückverlegt. Damit begann dann unsere Trennung, wie ich sage: „Mir ging
die Mauer mitten durchs Herz.“ Ich war nun von meinem Sohn getrennt,

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SED-Diktatur – Unterdrückungsmechanismen/Alltag

konnte ihn nicht besuchen. Wir konnten keinen Kontakt aufnehmen außer
dem schriftlichen.

Damals begann mein Kampf mit den Behörden, der sehr schwierig war. Wir
alle lebten hier und wissen, wie schwierig Kampf mit Behörden zu damaliger
Zeit war. Sie waren teilweise sehr allergisch. Irgendwann gelang es mit
dann doch, einen Passierschein zu erhalten zur Nottaufe meines Sohnes im
Krankenhaus. Ich habe Torsten besucht für wenige Stunden. Ich wußte nicht,
ob das eine einmalige Sache ist oder ob es wiederholt werden kann. Ich kam
zurück, kämpfte wieder um Passierscheine.

Es gab große Schwierigkeiten, so daß wir uns entschlossen, die DDR zu
verlassen aus Gründen der Zusammenführung. Es war schwierig. Ich versuchte
Kontakt aufzunehmen, einmal wegen der Beschaffung von Pässen, dieser
Versuch schlug fehl, dann wegen der Flucht durch einen Tunnel. Auch diese
Sache ging schief, und die Verhaftung stand an, das war abzusehen. Ich wurde
dann 1963 verhaftet. Das will ich einmal anhand meines Textes schildern, sonst
heule ich mich hier kaputt.

Im Februar 1963 wurde ich auf offener Straße von Staats-Schergen in ein
Auto gedrückt und in die berüchtigte Stasi-Haftanstalt Hohenschönhausen
verschleppt. Zunächst wußte ich allerdings nicht, wohin man mich gebracht
hatte. Ebensowenig erfuhren das meine nächsten Angehörigen und mein
Anwalt. Erst Jahre nach meiner Haftentlassung erhielt ich Kenntnis davon,
wo ich eingesperrt gewesen war.

Die Untersuchungshaft, fünf Monate insgesamt, war mitunter grausam und
brutal. So wurde ich gleich zu Beginn 22 Stunden lang verhört. Zwischenzeit-
lich erwähnte man beiläufig, daß mein Mann auch hier sei. Wie ich später
erfuhr, war das in der Haftanstalt in der Magdalenenstraße. Danach zwei
Stunden Ruhe, dann Abtransport in einer geschlossenen „Grünen Minna“ zur
Haftanstalt Hohenschönhausen. Dort schlossen sich 14 Tage mit stundenlagen
Verhören an, teilweise auch nachts. In der Nacht blieb das Zellenlicht brennen.
Alle drei Minuten wurde dann durch den Spion geschaut. So litt man ständig
unter Schlafentzug. Die sogenannte Nachtruhe dauerte ohnehin nur von 22.00
bis 05.00 Uhr. Die übrige Zeit saß man auf einem kleinen Holzschemel ohne
Rückenlehne vor einem kleinen Holztisch. Anlehnen oder Kopfaufstützen
waren strengstens verboten. Leseerlaubnis erhielt man frühestens nach Ab-
schluß der Vernehmungen, wenn überhaupt. Jede kleinste Zuwiderhandlung
gegen die Anstaltsordnung wurde bestraft. Einmal bekam ich deshalb drei
Tage Matratzenentzug und mußte auf der kahlen Holzpritsche nächtigen. Die
Folgen waren faustgroße Blutergüsse auf dem Rücken.

Vernommen wurde ich hauptsächlich von einem Oberleutnant. Nie habe ich
seinen Namen erfahren. Nur wenn er nicht weiterkam, wurde ein Hauptmann
eingeschaltet. Zwischen Häftling, Wächter und Läufer fanden keine Gespräche
statt. Auch begegnete man nie einem Mitgefangenen.