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Wahlperiode 12, Band II/1, Seiten 160 und 161
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Protokoll der 20. Sitzung

herzlichen Dank denen, die bisher geredet haben. Als nächsten möchte ich
Ralf Hirsch bitten zu reden.

Ralf Hirsch: Nach dem eben Gehörten fällt es mir schwer, überhaupt zu
reagieren, weil mir wieder einmal bewußt wird – ich aus Oppositionsgruppen,
die auch innerhalb der Kirche aktiv waren, aber danach auch in der Initiative
„Frieden und Menschenrechte“ –, wieviel Schutz wir eigentlich hatten und
wie sicher wir in diesem Lande doch arbeiten konnten im Gegensatz zu dem
eben Gehörten. Die Sicherheit, die wir dort erleben konnten – darüber möchte
ich sprechen, weil es bis jetzt immer ein Tabu-Thema war und erst in den
letzten Wochen zur Sprache kommt –, haben wir uns nicht selbst aufgebaut,
sondern wir hatten zahlreiche Leute, die uns dabei geholfen haben. Ich möchte
versuchen, es an meinem persönlichen Beispiel deutlich zu machen.

In jungen Jahren, ich war etwa 16, beschlossen wir in einem kleinen
Freundeskreis, eine Eingabe an den Staatsratsvorsitzenden Honecker zu
schreiben mit der Bitte, doch, um die Friedenspolitik der DDR etwas deutlicher
zu machen, kein Kriegsspielzeug zu verkaufen. Wir waren damals naiv und
dachten, wir bekämen darauf eine gute Reaktion, denn das wäre doch ein guter
Vorschlag. Eines Tages klingelte es bei unseren Eltern an der Tür, und die
Kriminalpolizei nahm uns fest mit der Behauptung, wir seien eine kriminelle
Vereinigung. Wir haben das nicht verstanden, meinten, die müßten unseren
Brief falsch verstanden haben, und schrieben wieder einen mit der Bitte, diesen
doch etwas genauer zu lesen: Wir sind keine kriminelle Vereinigung, sondern
wollen ein Zeichen nach außen setzen, einen Vorschlag machen. Ich sehe heute
aus meinen Akten, daß damals die Maschine des OV Blauvogel begann, also
eine operative Bearbeitung durch das Ministerium.

Jahre später erst, nach Haft, nach Jugendhaus, war ich aktiv, dann im Friedens-
kreis der Samaritergemeinde. Wir sammelten dort wiederum Unterschriften
gegen Kriegsspielzeug und machten die Erfahrung, daß wir dort Schutz,
Freiräume hatten, die wir eigentlich nicht kannten, die für uns neu waren.
Ich machte aber auch die Erfahrung, daß viele, die Unterzeichner waren, von
der Staatssicherheit vernommen und aufgefordert wurden, ihre Unterschrift
zurückzuziehen.

Eines Tages kam zu mir ein „Stern“-Korrespondent, der davon hörte, und
wollte Genaueres erfahren. Wir haben offen darüber gesprochen und ihm
geschildert, wie die Situation war. Er hat darüber berichtet. Das war für
die Betroffenen ein Schutz, andere Medien hatten auch berichtet. Die
Öffentlichkeit in der DDR erfuhr vieles aus der Weltpresse. Ihre eigenen
Medien waren verschlossen. Wir erfuhren nicht nur etwas aus der Weltpresse,
sondern wir hatten auch Kontakt, wir in den Oppositionsgruppen, zu West-
Journalisten, zu Diplomaten, zu Bundestagsabgeordneten aus der ehemaligen
Bundesrepublik. Das war für uns eine Schutzfunktion, das war für uns aber ein
Mittel, unsere Informationen, unsere Zielvorstellungen weiterzutransportieren,

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SED-Diktatur – Unterdrückungsmechanismen/Alltag

anderen Anregungen zu geben, und der Versuch, eine bestimmte Öffentlichkeit
zu schaffen. Denn die eigene Öffentlichkeit in der DDR war geschlossen, in
sie war nicht einzubrechen.

In meinen letzten Jahren vor meiner Ausbürgerung 1988 hatte ich sehr viele
Kontakte zu Journalisten und Diplomaten. Wir haben diese bewußt genutzt. Sie
waren für uns eine große Hilfe. Heute noch muß ich vielen danken. Sie waren
für uns auch Transportwege. Informationen, die aus dem Land hinaus sollten,
sind über Journalisten und Diplomaten gegangen. Informationen kamen herein.
Es wurde eine isolierte Meinungsbildung durchbrochen; sie haben uns sehr
unterstützt, sie waren für uns – das sage ich auch aufgrund der aktuellen
Diskussion in den letzten Wochen – sehr wichtig. Sie hatten Schutzfunktion.
Sachen, die in der DDR geschehen sind, wurden berichtet, und Öffentlichkeit
war auch Schutz.

Ich meine, daß in den Oppositionsgruppen eine einheitliche Meinung darüber
herrscht, daß dieser Kontakt unumgänglich und unverzichtbar war. Wer heute
versucht, diesen Kontakt auszulegen als zu große Abschöpfung, Agententä-
tigkeit oder ähnliches, der macht sich zum Erfüllungsgehilfen der Stasi. Denn
ich sehe aus meinen Akten, daß sie jahrelang versucht hat, diese Kontakte
hinzustellen als etwas, was sie nicht waren, nämlich als Agententätigkeit.

Wir haben offen über alle Probleme gesprochen. Vielen Korrespondeten
und Journalisten in der ehemaligen DDR, unter anderem den langjährigen
Korrespondenten von ARD, Spiegel oder Frankfurter Rundschau, müssen wir
heute noch danken; denn vieles in diesem Land wäre ohne ihre Hilfe nicht
geschehen.

(Beifall)

Die Herausgabe von „Grenzfall“ oder von Oppositionszeitschriften wäre nicht
möglich gewesen, hätte es nicht Leute gegeben, die sich nicht erpressen ließen
und die nicht Angst hatten vor diesem Machtapparat, sondern die gesagt haben:
Information ist etwas Wichtiges, und wir helfen euch dabei.

(Beifall)

Gesprächsleiter Markus Meckel (SPD): Herzlichen Dank, Ralf Hirsch, für
den Bericht aus einem Erfahrungsbereich, der mir persönlich am nächsten ist.
Als nächsten bitte ich Ronald Dembicki zu uns zu sprechen.

Ronald Dembicki: Ich möchte meine Ausführungen sehr kurz halten und
einen Fall schildern, der die Ausreisepraxis betraf, die sicherlich viele
hunderttausend Menschen ähnlich erlebt haben.

Fünf Jahre nach 1976, also am 6. Oktober 1981, war ich mit meiner Frau so
weit, daß wir den Ausreiseantrag bei den dafür vorgesehenen Behörden, Rat
des Stadtbezirks Friedrichshain, abgaben. Wir waren natürlich vorbereitet auf
alle Dinge. Man hörte damals schon sehr viel über Repressalien gegenüber
Ausreiseantragsstellern. Mir wurde gleich verbindlich gesagt, daß ich meine