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Wahlperiode 12, Band II/1, Seiten 170 und 171
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Protokoll der 20. Sitzung

Aber es hat mich nicht mehr berührt. Es war, als ich im nachhinein darüber
nachgedacht habe, doch ziemlich erschreckend, eine solche Entfremdung zu
spüren, die mit der Zeit immer schlimmer wurde, so daß für mich keine andere
Möglichkeit mehr blieb, als zu gehen.

Danke schön.

(Beifall)

Gesprächsleiter Markus Meckel (SPD): Ganz herzlichen Dank. – Im
Anschluß möchte bitte Herr Neuke zu uns sprechen.

Hartmut Neuke: Ich bin einundvierzig Jahre alt und bin beruflich in der DDR
diskriminiert worden. Damit beschäftige ich mich.

Ich gehöre zur jüngeren Generation unter den Teilnehmern. Probleme der
Repressalien im Bereich der beruflichen Tätigkeit, der Ausbildung und
beruflichen Entwicklung spielten eine zentrale Rolle. Es ist auch meine
These, daß in den letzten zehn, fünfzehn Jahren in der DDR die berufliche
Diskriminierung offensichtlich zur zentralen Methode der SED-Regierung
wurde. Sie war in vielen Fällen Inhaftierungen vor- und nachgelagert. Sie hatte
eine große Bedeutung, weil sie mit scheinbar unsichtbaren Mitteln geführt
werden konnte, hinter denen eine ausgefeilte Strategie des Psychoterrors, der
Barbarei stand, und ich glaube, die DDR war Weltspitze in der Entwicklung
von Methoden, die in diesem Bereich angewandt wurden, die nicht nur zur
psychosozialen Vernichtung von Kollegen geführt, die auch mich betroffen
haben. Es gab in der Nervenklinik viel stärker betroffene Fälle – bei Lehrern,
Wissenschaftlern, aber auch einfachen Pfarrern, die es treffen konnte. Ich
glaube, diese Methoden waren tatsächlich geeignet, die Menschen psychisch
zu vernichten und in Kombination mit anderen Methoden physisch zu
vernichten.

Es klang heute an, daß die Notwendigkeit besteht, dieses Instrumentarium,
das hier wirksam wurde, aufzuklären. Es ist, glaube ich, ganz wichtig,
um verständlich zu machen, was diejenigen, die Widerstand in Form von
Widerspruch geleistet haben, tatsächlich geleistet haben; denn mein Eindruck
ist, daß diejenigen, die diesen Widerspruch geführt haben, weder in der
DDR noch in der Zeit danach in ihren fachlichen und politischen Leistungen
anerkannt wurden.

(Beifall)

Es gibt also für die Leute überhaupt keinen Maßstab, und jeder Lump,
der sich angepaßt und es bis zum Fachdirektor geschafft hat, kann mit
seiner Kaderakte beim größten Konzern in der BRD pranzen bis zum Geht-
nicht-mehr, im Gegensatz zu mir – mit meiner zweimal abgebrochenen
Promotion, mit meinen zweimal abgebrochenen Forschungsthemen, mit dem
zweimaligen Hintertreiben wissenschaftlicher Forschungseinrichtungen, in
denen ich Widerstand geleistet habe, wo ich mich als einer der ganz wenigen

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SED-Diktatur – Unterdrückungsmechanismen/Alltag

Fälle in der DDR durchgesetzt habe, der es geschafft hat, ein ganzes
Professorenkollektiv zum Rückzug zu zwingen, öffentlich die Behauptung
zurückzunehmen, ich sei zur wissenschaftlichen Arbeit unfähig. – Etwas, was
auch Herrn Eggert als Pfarrer angedichtet wurde, unfähig zu sein – das habe
ich in der DDR geschafft durchzusetzen, daß das zurückgenommen wurde.
Zeigen Sie mir bitte jemand, der das nachweisen kann, daß ein solcher Vorwurf
zurückgenommen wurde!

Heute stehen diese Leute im Prinzip mit nichts da. Ich bin jetzt fast das dritte
Jahr arbeitslos. Man muß überlegen, und ich beschäftige mich zur Zeit mit dem
Thema, wie das Verhältnis zu beruflich Diskriminierten in der DDR war, das
Verhältnis der Allgemeinheit, aber auch der Politik. Das war ja eigentlich die
Ursache, das Verhältnis der Allgemeinheit. Ich beschäftige mich damit, wie das
Verhältnis zu Diskriminierten heute ist, vor allem zu beruflich Diskriminierten,
ihr Verhältnis zur Allgemeinheit, das Verhältnis zur Politik.

Man muß sagen, daß im Prinzip ein großes Unverständnis gegenüber diesen
ganzen Ereignissen bestand, wie sie hier schon für den Bereich der schulischen
Entwicklung, für den Bereich der jungen Berufstätigkeit und auch für den
darauffolgenden Bereich der weiteren Arbeitstätigkeit gegeben waren.

Mein eigener Fall zieht sich über einen Zeitraum von etwa zehn Jahren
hin. Ich betrachte 1981 als Beginn der beruflichen Diskriminierung. Der
Hintergrund war einfach der: Ich hatte mich im Kombinat für eine neue
Struktureinheit beworben, Mikroelektronik – darum ging es damals. Der
Knalleffekt bestand darin, daß ich zufällig von dieser Struktureinheit eher
erfahren hatte als diejenigen, die auf den Posten sollten. DDR-Bürger wissen,
was ich meine. Man zog dann kurzerhand die Zusage zurück und sagte, das
wird nichts, denn da sind schon andere. Ich habe hiergegen arbeitsgerichtlichen
Widerspruch eingelegt – mit dem Ergebnis, daß ich ein bißchen die Skala
von Eskalation, von Repressalien kennenlernen konnte. Das ging also so
weit, daß der Richter – nach meinen Erkenntnissen ein Mann, der mit in
Waldheim gesessen hatte und damals Oberrichter beim Arbeitsgericht im
Bezirksgericht Leipzig war – die Aktenlage als Beweismittel ignorierte,
daß dieser Richter in der öffentlichen Verhandlung, die sich schon längst von
einem Arbeitsrechtsprozeß hin zu der politischen Frage gewandelt hatte, wie
weit es eigentlich mit der Wahrheit und Gerechtigkeit in diesem Lande geht,
mir mitten im Prozeß – ich möchte sagen, im Stile eines Freisler – das Wort
verbot.

Warum? Was war der Hintergrund? – Der Gewerkschaftsvertreter hatte
sich – selbst Justitiar des Kombinats – in der Verhandlung, als er merkte,
daß der Richter diese Beweislage bewußt ignorierte, ein Herz gefaßt, war
aufgetreten und hatte den Fall so interpretiert, wie er in der Belegschaft, in der
Öffentlichkeit politisch gesehen wurde. Das war natürlich der Anlaß für den
Richter, sozusagen die Fassung zu verlieren. Ich glaube, es war ein Erfolg,