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Wahlperiode 12, Band II/1, Seiten 172 und 173
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Protokoll der 20. Sitzung

vor der Öffentlichkeit dieses kleinen Gremiums damals diesem verlogenen,
gewissenlosen Halunken die Maske ein Stück vom Gesicht zu reißen. Das
war ein großes Kunststück.

Gerade in dieser Zeit lief meine Bewährungsprobe als Parteigenosse, als
Kandidat. Ich konnte also in dieser Situation, nach dieser Erfahrung meine
Kandidatur auf keinen Fall zurückziehen; sonst hätte ich mich extrem
positioniert und wäre von vornherein in diese feindliche Position geraten. Also
bezog ich den Standpunkt, daß ich die Sachargumente, die der parteipolitischen
Argumentation zugrunde lagen – das waren im wesentlichen Effektivität und
Produktivitätsfortschritt –, überall dort einklagte, wo nach meinem Dafürhalten
die Möglichkeit dazu bestand. Hierzu gab es – daß muß man heute auch
noch einmal erwähnen – selbst in den Parteistatuten Wege – Rechtswege nach
Parteirecht, wenn man so will – zur Kritik an öffentlichen Angelegenheiten.
Ich habe diese Wege auch zu nutzen versucht, bis hin zum ZK, und mußte
feststellen, daß man das ebenso ignoriert wie die Beweislage beim Gericht.
Ich muß sagen, daß die Sache zum damaligen Zeitpunkt, in den Jahren 1981
bis 1984, für mich im Prinzip nicht als ein Sieg, als ein Gewinn in der
Auseinandersetzung erschien, sondern als eine Niederlage.

Ich habe erkannt, daß ich in diesem Land gefangen bin, wie alle, und ich habe
in den Menschenbildern, die mir entgegengetreten sind – das war der Punkt,
der vorhin gefragt war: Wann kam der aktive Wille zum Widerstand auf? –,
den Grund sehen können, dieses Wesen von Barbarei, diese Gewissenlosigkeit,
diese mentale Seite, die man im System ganz bewußt genutzt hat, um
bestimmte Kader – so hießen diese Leute – auf bestimmte Positionen zu
schieben. Das habe ich damals erkannt.

In meiner nachfolgenden Tätigkeit an der Akademie der Wissenschaften in
Berlin, dann an der Karl-Marx-Universität in Leipzig – zwischendurch war ich
einmal mit den entsprechenden Bedrohungen, als Asozialer inhaftiert zu wer-
den, arbeitslos – und an der Jenenser Universität habe ich genügend Einblicke
dahingehend gewonnen, daß in den Strukturen, in den Leitungsstrukturen, so
muß man sagen, solche gefährlichen Leute im einzelnen tätig waren. Die
waren Spezialisten des Psychoterrors. Das waren wirklich Fachleute in dieser
Hinsicht.

Man muß aber auch gleichzeitig sagen, daß in diesen Strukturen, wie ich
sie kennengelernt habe, Leute saßen, die sich einen Anstand bewahrt hatten.
Das war der entscheidende Punkt, warum einige von denen, die heute hier
sitzen und berichten, überhaupt noch hier sitzen und berichten können.
Die haben geholfen, die haben unerkannt im Stillen, wo sie Schlimmeres
verhindern konnten, geholfen. Wie ich vorhin von dem Justitiar in der
Gerichtsverhandlung berichtet habe – es gab auch Leute, die sich offen
solidarisiert haben.

Es gab den Effekt, daß – wo mal einer die Auseinandersetzung führt und

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SED-Diktatur – Unterdrückungsmechanismen/Alltag

aufgreift – dann auch Hilfe von außen wächst, daß eine gewisse Solidarität
entsteht, daß auch Achtung und Respekt bis hin schließlich innerhalb des
Systems entstehen – so weit muß ich das bringen. Das war ein Effekt, den
man feststellen konnte.

Deswegen ist es nach meinem Dafürhalten besonders schlimm, wenn gerade
Genossen, Parteigenossen, die politische Verantwortung und größere politische
Einsicht aufgrund von Schulungen hatten, die auch laut Statuten und derglei-
chen die Wege hatten und nicht mehr mit den Repressalien der fünfziger und
sechziger Jahre leben mußten, den Mund nicht aufgemacht haben, daß gerade
die mit solchen Verleumdungsmethoden, wie wir es vorhin gehört haben,
Sachargumente kaputtgemacht haben. Das muß man nach meinem Dafürhalten
heute auch auf die Tagesordnung setzen: Wer ist eigentlich jener Herr Professor
oder sonstwer, der in Verbindung mit diesem und jenem Projekt heute wieder
die große Feder führt?

Lassen sie mich bitte noch einen Satz sagen. Es ist wirklich das Problem,
wie wir das, was wir hier leisten, in mehr Gerechtigkeit, in mehr Wahrheit,
in mehr Fortschritt, in eine Zukunft umsetzen. Das ist ja das Ergebnis, was
wir anstreben. – Es ist die Frage: Wer hat eigentlich Interesse an dieser
Aufarbeitung der Vergangenheit, daran, sie in eine Politik umzusetzen, die
Vergangenheit aufarbeitet? Das ist meine Frage.

Ich danke für die Aufmerksamkeit.

(Beifall)

Gesprächsleiter Markus Meckel (SPD): Ich denke, weil es genau um diese
Frage geht, sind wir hier. Aber wir wissen auch nach meinem Eindruck,
daß wir in dieser Frage z.Zt. nicht die Mehrheit der Gesellschaft darstellen.
Deshalb ist es besonders wichtig, das zu verstärken, wovon hier vorhin klagend
gesprochen worden ist – auch, was die Öffentlichkeitsarbeit anlangt. Solche
Dinge sollten einfach sehr viel breiter gehört werden, um zu sehen: Wie gehen
wir mit diesen vierzig Jahren sehr differenzierter Geschichte um? Es geht
darum, daß wir uns dies jetzt erzählen, aber auch Folgerungen daraus ziehen.
Das wird ja das nächste Gespräch mitbestimmen.

Ich möchte als letzten in dieser Runde Herrn Klaus Pfleumer bitten, zu uns
zu reden.

Klaus Pfleumer: Ich kann über die Ereignisse berichten, die man als Inhaber
eines Privatbetriebes in der Deutschen Demokratischen Republik, dem ersten
Arbeiter-und-Bauern-Staat deutscher Nation – das war unser Titel –, erlebte.
Ich bin einer der letzten Mohikaner, und daß ich überhaupt noch da bin – ich
bin Jahrgang 1920 und jetzt zweiundsiebzig Jahre alt –, verdanke ich nur der
Tatsache, daß ich einen kleinen Kunstverlag hatte.

Wir stellten in der DDR das Briefpapier her, das jeder in der DDR gern
haben wollte, das nur unter dem Ladentisch verkauft werden konnte, weil