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Wahlperiode 12, Band II/1, Seiten 178 und 179
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Protokoll der 20. Sitzung

– Das war die Auflagenhöhe. Neben denen, die lachten, gab es auch ein paar,
die nicht lachten.

(Heiterkeit)

Die sind schnellstens zum Ministerium hinaufgerannt und haben gesagt: „Aber
Hilde, wie kannst du das genehmigen?“ – Sie war natürlich deprimiert, und
sie bekam ein Disziplinarverfahren. Ich kam im Oktober wieder zu Hilde
und sagte: „Ich möchte gern die Druckgenehmigung für das nächste Jahr
einholen.“ – „Ja, Herr Pfleumer, wir können Ihnen die Genehmigung nicht
erteilen. Ihre Kalender haben eine mangelnde Bewußtseinsbildung.“ – „Zeigen
Sie mir mal ein Bild von mangelnder Bewußtseinsbildung.“ „Sehen Sie mal
dieses Bild. Hier sitzt der junge Mann auf dem Stein und schaut weit ins
Land hinein, und darunter steht der Spruch: „Aus Beschaulichkeit und Ruh’
strömt dir der Weisheit Fülle zu. Oh, wär dies allgemein bekannt – die Weisheit
nähme überhand.“ – „Sehen Sie, so etwas Spießbürgerliches, Pazifistisches, so
etwas Sinnloses. Das ist typisch für die Art und Weise, in der Sie künstlerisch
arbeiten.“ Ich sagte: „Ja, Sie haben Recht. Ich war gerade vorige Woche
in Weimar. Da habe ich mir das Gartenhaus angesehen, und da muß ich
sagen, der alte Goethe hatte eigentlich die Beschaulichkeit und Ruh’ auch
sehr gesucht. Ich kann mir nicht vorstellen, daß er seine Gedichte auf dem
Karl-Marx-Platz gemacht hat.“ – Jetzt war mein Kalender verboten und damit
meine Gesamtexistenz weg, weil das die Stütze des Verlages war. – Nun kann
ich wieder eine lange Geschichte erzählen, aber ich muß aufhören.

Nur mein Blick in den Volkswirtschaftsplan – das war so ein dickes Buch –
rettete mich, weil ich dort hinter dem Artikel „Briefausstattungen“ kein K
gefunden habe. Das hieß, Briefausstattungen waren nicht kontingentiert. Der
Minister, der das Buch geschrieben hatte, hatte vielleicht nicht gewußt, daß in
Zittau noch so ein kleiner Quetscher sitzt, der auch Briefausstattungen machen
kann. Nun konnte ich anstelle von Kalendern Briefausstattungen machen. Mit
denen hatte ich in der DDR maßgeblich die künstlerische Position inne. Man
hat mich gefragt, welche Briefausstattungen nun eigentlich herauskommen
sollen. Bei den meisten habe ich gesagt: „Das ist nichts.“ – Meine konnten
herauskommen, aber ich hatte kein Kontingent.

Ich muß als letztes sagen, bei der Kalendergenehmigung hatten sie noch die
Unverfrorenheit, mir zu sagen: „Ihren Kalender können wir Ihnen natürlich
nicht verbieten, denn wir haben in der Deutschen Demokratischen Republik
keine Zensur; aber Sie kriegen keine Druckgenehmigung.“

(Heiterkeit und lebhafter Beifall)

– Sie glauben mir jetzt, daß ich noch eine Stunde erzählen kann.

Gesprächsleiter Markus Meckel (SPD): Das glauben wir Ihnen sehr gerne,
und ich bin dankbar dafür, zumal das ein Zeichen dafür ist, daß man nach so

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SED-Diktatur – Unterdrückungsmechanismen/Alltag

manchem, was man erlebt hat, den Mut in seinem Leben nicht verliert, und
diese Einstellung ist von hohem Wert.

Ich hoffe, daß Sie nicht nur bei dem, was Sie in vierzig Jahren erlebt haben,
den Mut nicht verloren haben, sondern auch bei dem, was Sie jetzt erleben,
den Mut nicht verlieren, sondern vielleicht doch noch Erfahrungen machen,
die Sie den Mut wieder gewinnen lassen.

Klaus Pfleumer: Ich möchte noch einem Satz zu dem sagen, was Sie
vorhin sagten, Herr Wende. Sie sagten: Wir haben 57 Jahre unter der
Zwangsherrschaft gelebt. Dazu muß ich nur sagen: Das war unser Leben!
Wir haben bloß eins.“

(Beifall)

Ich hätte auch drüben eine kleine Druckerei aufbauen können, und ich hätte
auch einen gutgehenden Verlag gehabt, und ich hätte auch wirklich was
bedeuten können, aber wir haben unser Leben hier in diesem Land verbringen
müssen, weil wir hierblieben und nicht abgehauen sind, weil es ja auch hier
Leute geben mußte, die was machten.

(Beifall)

Das wird den kleinen Betrieben, von denen Lothar Späth gesagt hat, daß sie das
Rückgrat und die Zukunft der Industrie sind, heute nicht honoriert. Ich bin am
Boden; ich habe heute 300.000 Mark Schulden und keine Hoffnung, daß ich
die jemals zurückzahlen kann. Dafür habe ich aber nicht Luxus getrieben,
sondern ich habe Maschinen gekauft, die jeden Tag, an dem sie dastehen,
weniger wert werden, weil ich keine Aufträge dafür habe. Wir haben keine
Produktion, weil für die Produktion immer „Go to West“ gilt.

(Beifall)

Entschuldigen Sie, es gibt schöne Dinge, die wir durch die Wiedervereinigung
bekommen haben. Ich bin für vieles, vieles dankbar, aber das mußte auch
gesagt werden.

(Beifall)

Gesprächsleiter Markus Meckel (SPD): Ja, es ist wichtig, daß auch so etwas
gesagt werden kann.

Wir sind mit unserer Reihe hier oben am Ende. Es gibt mehrere, die sich
gemeldet haben. Wir sollten jetzt keine Rückfragen mehr stellen. Ich habe bei
zweien, die ich bitte, sich sehr kurz zu fassen, zugesagt, daß sie über dieses
Podium hinaus noch etwas sagen können. Ich möchte Sie bitten, daß Sie
sich einigen, wer von Ihnen redet. – Frau Anke Heinze berichtet über ihre
Erfahrungen mit dem Jugendwerkhof.

Anke Heinze: Ich möchte mich zuerst einmal den Ausführungen von Frau
Mangoldt anschließen. Sie hat eine Situation in Kinderheimen beschrieben.