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Wahlperiode 12, Band II/1, Seiten 186 und 187
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Protokoll der 20. Sitzung

zum Schwimmen begleitet, manchmal auch eine Vertretungsstunde im Fach
Technisches Zeichnen gemacht. Meine Kinder sind selber auch groß geworden;
sie sind im evangelischen Kindergarten gewesen, in der Nachbargemeinde.
Die Dinge, die mich also bewogen haben, wieder aus der Volksbildung
herauszugehen, sind eigentlich für mich damals schwierig zu verkraften
gewesen.

Als unser Sohn ungefähr vierzehn Jahre alt war, habe ich mit ihm eine
Osternacht besucht. Damals war ich schon in der Volksbildung, und wir trafen
dort im Vorraum ein Mädchen, das ich aus der Schule kannte. Als sie mich
sah, bekam sie einen Riesenschreck und ging also fort. Ich habe sie dann
auch nicht mehr gesehen, habe sie aber dann in der Schule am nächsten Tag
gefragt: Warum bist du gegangen? Da sagte sie mir, sie hatte Angst, daß ich
dem Direktor darüber berichten würde, denn sie wußte, daß der Direktor der
Schule die Kinder aufgefordert hat, zu Veranstaltungen der Kirche zu gehen,
um sie am nächsten Tag wieder zu sich zu holen, damit sie darüber berichten
können. – Ich habe darüber mit meinem Bruder gesprochen, der hier in Berlin
Pfarrer ist.

Einmal wurden zum Beispiel die Taschen der Kinder kontrolliert, und aus
der Schulmappe eines Mädchens aus der zweiten Klasse wurde ein Bild, eine
Fotografie entfernt. Wie sie hineingekommen ist, wissen wir nicht. Sie stellte
einen Papierkorb dar, in den Gewehre gestellt waren. Darüber stand: Gebt
den Kindern kein Kriegsspielzeug! Dieses Material, dieses Bild wurde an die
SED-Kreisleitung geschickt, und die Betriebe der Eltern wurden informiert.
Ich denke, daß diese beiden Beispiele genügen. Ich könnte noch etliche mehr
aufführen, die ich dort in der Schule erlebt habe, wie mit Kindern umgegangen
worden ist. Aber für mich war eigentlich ausschlaggebend, daß Kinder
mißbraucht wurden, um andere Kinder, die zu kirchlichen Kreisen gegangen
sind, dort anzuschwärzen und sie zu melden. Ich weiß, daß die Meldungen
dann immer an die Kreisleitung und die Betriebe der Eltern gegangen sind. –
Das erst einmal so weit.

Gesprächsleiter Martin-Michael Passauer: Michael, machen Sie weiter?

Michael Beleites: Meine Damen und Herren! Ich freue mich, hierher
eingeladen worden zu sein. Ich gehöre zu den Jüngeren, bin 1964 in
Halle geboren und im Pfarrhaus aufgewachsen, in der Nähe von Zeitz,
im Braunkohlenindustriegebiet, und habe dann nach der zehnten Klasse
eine Berufsausbildung mit Abitur machen wollen, diese aber nicht erhalten.
Das wurde damals mit mangelnden Leistungen begründet. Ich weiß aber,
daß Mitschüler mit noch schlechteren Leistungen genommen wurden, die sich
allerdings verpflichtet hatten, für eine längere Zeit zur Armee zu gehen. Dann
habe ich eine Berufsausbildung als zoologischer Präparator gemacht und bin
dadurch nach Gera gekommen.

Ich bin – eigentlich auch schon von Zeitz her – in Gera in die kirchliche

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SED-Diktatur – Unterdrückungsmechanismen/Alltag

Umwelt- und Friedensbewegung hineingekommen, habe mich dort seit Anfang
der achtziger Jahr engagiert und habe mich dann – weil ich in Gera lebte und
dachte, das auch konkret und am Ort machen zu müssen – mit dem Pro-
blemkreis Uranbergbau beschäftigt. Direkt östlich an Gera angrenzend befand
oder befindet sich das größte Uranabbaugebiet Europas, das unter sowjetischer
Herrschaft stand und eigentlich eine Art Ausnahmezustand bildete. Es war
ein Tabuthema, einmal wegen des militärischen Verwendungszweckes des
Urans – das war sozusagen ein Teil des sowjetischen Atombombenprojektes –,
zum anderen, weil dieser Uranbergbau Opfer verursacht hat. Das waren
keinesfalls nur die Bergarbeiter selbst, sondern auch Menschen, die in der
Umgebung wohnten und diesen Strahlenbelastungen ausgesetzt waren und
dann in größerer Anzahl von Erkrankungen betroffen wurden, die von dieser
radioaktiven Umweltbelastung herrührten. Wir hörten das ja vorhin schon an
einem sehr drastischen Beispiel.

Ich habe dann recherchiert, und wir haben im März 1987 ein Seminar
veranstaltet. Dann habe ich diese Ergebnisse zusammenfassen wollen bezie-
hungsweise zusammengefaßt und daraus die Dokumentation „Pechblende –
der Uranbergbau in der DDR und seine Folgen“ geschrieben. Diese Doku-
mentation wurde vom kirchlichen Forschungsheim in Wittenberg und vom
kirchlichen Ärztearbeitskreis in Berlin herausgegeben. Diese sechzigseitige
Dokumentation habe ich damals nicht nur selber geschrieben, sondern dann
auch noch selbst gedruckt. Im Keller der Berliner Zionskirche habe ich
dann eine Woche lang an der Wachsmatrizendruckmaschine gestanden und
gekurbelt.

Es hat dann natürlich sehr großes Aufsehen bei der Staatssicherheit erregt,
daß dieses Tabuthema dann doch relativ detailliert beschrieben war, mit allen
seinen Folgen. Ich habe sehr schlimme Repressionen erleben müssen. Mir
wurde unter Androhung von Gewalt verboten, mich in Kirchen zu diesem
Thema weiter zu äußern, an diesem Thema weiter zu arbeiten. Es wurden
Drohbriefe an das Forschungsheim und an mich geschickt, um eine zweite
Auflage dieser Dokumentation zu verhindern.

Das war nur ein Teil dieser Stasirepressionen; die hatten schon 1982 angefan-
gen. Seitdem bestand nämlich ein sogenannter operativer Vorgang gegen mich
wegen dieser Mitarbeit in den kirchlichen Friedens- und Umweltgruppen. Ich
gehörte dann auch zu einem Kreis, der politische Ost-West-Begegnungen mit
organisiert hat – so lange, bis dann die westdeutschen Teilnehmer nicht mehr
einreisen durften. Dann haben wir uns in Ungarn und in Polen getroffen;
dann schließlich durften einige andere Ostdeutsche und auch ich nicht mehr
ausreisen. Wir hatten zwei Jahre lang Ausreisesperre.

Das heißt, man hat mir nicht gesagt, von jetzt an dürfe ich nicht mehr reisen,
sondern ich mußte immer wieder zur Grenze hinfahren, um zu probieren,
ob ich denn noch durchkomme. Das ist eine ausgesprochen entwürdigende