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Wahlperiode 12, Band II/1, Seiten 188 und 189
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Protokoll der 20. Sitzung

Prozedur, aus dem Zug geholt zu werden, von den Freunden getrennt zu
werden und auf dem gegenüberliegenden Bahnsteig in Bad Schandau in der
Kälte zu warten, bis dann der nächste Zug zurückfährt, und nicht zu wissen
und nicht zu erfahren, wie lange das so weitergeht, sich nicht mit den Leuten
auseinandersetzen zu können, die das veranlaßt haben.

Diese Reisesperre, die ja bei vielen Leuten in der Opposition eine Methode
war, hat natürlich nicht nur zur Isolation gegenüber den westdeutschen oder
auch osteuropäischen Freunden geführt, sondern hat eine generelle Isolation
bewirkt, weil ich ja mit meinen ostdeutschen Freunden nicht mehr zusammen
in Urlaub fahren konnte. Die fuhren natürlich ins Ausland, und ich war der,
der zu Hause blieb. Das ist eine Form dieser Zersetzungsmaßnahmen gewesen,
über die bisher noch relativ wenig berichtet worden ist.

Gesprächsleiter Martin-Michael Passauer: Können wir vielleicht einen
Moment unterbrechen, um noch die anderen Biographien zu hören, weil es
jetzt schon bißchen ins Detail geht?

Michael Beleites: Ich wollte nur kurz noch zu meiner Biographie sagen,
daß ich im Herbst 1989 dann ins Bürgerkomitee in Gera gegangen bin,
die Stasi dort mit aufgelöst habe, relativ frühzeitig – Anfang 1990 – meine
eigene Akte zu sehen bekam, diese dann heimlich kopiert habe, obwohl ich
es eigentlich nicht durfte, und daraus dann anhand dieses Falles versucht
habe, darzustellen, wie Zersetzung, Repression ohne Gefängnis funktioniert
hat. Darüber habe ich dann das Buch „Untergrund“ geschrieben, das 1991
erschienen ist.

Gesprächsleiter Martin-Michael Passauer: Jutta Seidel hat jetzt das Wort.

Dr. Jutta Seidel: Ich bin Jahrgang 1950, geboren in Brandenburg, Tochter
eines Lehrers – was bedeutet, daß ich privat zur Anpassung erzogen worden
bin, was ich meinem Vater nicht vorwerfe. Das war halt in den fünfziger
Jahren so.

Mein erstes großes politisches Erlebnis war die Zeit um 1968, Prag 1968.
In furchtbarer Scham darüber, daß wir mit dem Bus an die Strecke gekarrt
wurden, wo die NVA wieder begrüßt wurde, als sie aus der CSSR zurückkam,
bin ich da noch mitgefahren, habe mich aber in der dritten, vierten, fünften
Reihe gehalten und mich, wie gesagt, fürchterlich geschämt. Von da an habe
ich einfach so für mich nichts mehr richtig mitgemacht, was von mir erwartet
wurde und hinter dem ich nicht stand.

Ich habe dann in Berlin Zahnmedizin studiert und dort im Seminar schon
meine ersten Schwierigkeiten bekommen. Ich habe versucht, Schriftsteller
wie Günter Kunert und Jurek Becker reinzuholen, die dann dort auch gelesen
haben. Mein Vorschlag, Wolf Biermann zu holen, war dann endgültig das Aus
meiner Mitarbeit in diesem Studentenclub.

Ich bin dann in die ESG gegangen, zur Evangelischen Studentengemeinde,

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SED-Diktatur – Unterdrückungsmechanismen/Alltag

was sicher für meine politische Entwicklung sehr wichtig war, weil es dort
einen Freiraum gab. Von da an habe ich sozusagen zwei Leben gelebt; das
eine war das Studium, später die Arbeit, und das andere war dieser politische
private Bereich.

1982 – da habe ich dann schon gearbeitet – habe ich mit 150 Frauen eine
Eingabe gegen den Plan geschrieben, im Fall der Mobilmachung auch Frauen
zum Wehrdienst zu holen. Von an ging es mir beruflich und in meinem
dienstlichen Umfeld schlechter, aber privat ging es mir besser, weil ich diesen
Freundeskreis hatte und weil ich diese Leute hatte, die politisch sehr aktiv
waren. Wir haben so eine Gruppe „Frauen für den Frieden“ gegründet, haben
verschiedene Aktionen gemacht, sind ziemlich bedroht worden und haben
einige Repressionen hinnehmen müssen. Das alles hat mir mehr geholfen als
die Überanpassung, die ich allenthalben ringsherum in meinem Kollegenkreis
und überall gesehen habe.

Das Endziel meiner politischen Entwicklung war dann sozusagen die Mitbe-
gründung des Neuen Forum, was ich immer alles mit vollem Herzen betrieben
habe. Jetzt habe ich mich mehr oder weniger ins Berufs- und Privatleben
zurückgezogen, bin aber jederzeit bereit – und ich sehe durchaus, daß das
auch wieder nötig wird –, mich wieder zu aktivieren und politisch tätig zu
werden, wenn ich denn ein Feld finde, wo ich das tun kann. – Danke.

Prof. Dr. Herbert Wolf: Ich heiße Herbert Wolf, bin Anfang 1925 geboren.
Es wurde heute schon mehrfach erwähnt, daß die Motivation und die
Verhaltensweisen der Menschen in der DDR sehr unterschiedlich waren. Das
trifft auch für mich zu. In gewissem Sinne bin ich eine Ausnahme. Mein
erstes Grunderlebnis waren 1945 und die folgenden Jahre. In meiner Kinder-
und Jugendzeit und im Gefolge des faschistischen Krieges habe ich mich
überzeugt, daß diese Ordnung des Kapitalismus – wie wir sagten – prinzipiell
verändert werden muß. Ich habe mich also dem Sozialismus geweiht und
versucht, ihn aufzubauen. Dieses Grunderlebnis hat auch mein gesamtes Leben
bestimmt.

Ich habe Volkswirtschaft studiert, 1952 promoviert und war 1952 bis 1953
zu einem Zusatzstudium in Moskau. Ich habe mit zunehmenden Entsetzen
die Stalinisierung der SED, der DDR und die letzten Monate, das letzte Jahr
Stalins erlebt, und mir wurde klar: So geht kein Sozialismus. Ich habe dann ab
Mitte der fünfziger Jahre die damals verbreitete Losung sehr ernstgenommen,
und ich hielt sie auch für völlig richtig: Es hieß damals, daß der Sozialismus
als noch sehr junge Ordnung gar nicht alle seine Möglichkeiten entfaltet hat
und jetzt alle aufgerufen sind, ihn nun richtig zu gestalten.

Mein Fehler war wie der Brechts: Ich hatte Vorschläge gemacht. Erstens bin
ich davon ausgegangen, daß ohne prinzipielle Demokratie keinerlei Sozia-
lismus funktionieren kann. Zweitens war ich als Ökonom der Überzeugung,
daß eine gesellschaftliche Planung und bewußte, zielgerichtete Regelung der