Fehler melden / Feedback
haben doch auch geliebt, und wir haben doch auch gelacht. Das hat es natürlich
auch gegeben. Aber erstens ist das nicht mein Thema gewesen, und außerdem
kommt es hier sehr auf die Relationen an. Es kommt auch auf das an, was
Herr Voigt aus Kietz-Küstrin gestern gesagt hat. Das hat es natürlich alles
auch gegeben.
Für zukünftige Gedanken wäre es wichtig, das, was ich geschildert habe,
und das Ausmaß, die Intensität und die Möglichkeit des „normalen“ Lebens
miteinander in eine richtige Beziehung zu bringen. Doch das ist nicht mein
Thema gewesen. Denn das habe ich in der kurzen Zeit erschöpft und danke
Ihnen, daß Sie mir zugehört haben. (Beifall)
Vorsitzender Rainer Eppelmann: Herr Professor Schuller, herzlichen Dank
für Ihre inhaltliche Weiterführung.
Ich bitte jetzt Karl Wilhelm Fricke nach vorn, der das Kunststück zu
vollbringen hat, in zwei Stunden mit seinen Gesprächspartnern ein gewaltiges
Thema anzupacken. Bitte, Karl Wilhelm Fricke.
Gesprächsleiter Karl Wilhelm Fricke: Herr Vorsitzender! Meine Damen und
Herren! Ich eröffne die Podiumsdiskussion, die in einer ersten Runde zunächst
nur am Podium abgewickelt werden wird, um nach zirka einer halben Stunde
das Auditorium einzubeziehen. Ich darf jetzt schon um eine rege Beteiligung
aus dem Auditorium bitten.
Ich bedanke mich bei Herrn Schuller für die Grundlegung, wie ich es
nennen möchte, zu dieser Diskussion durch sein Referat, in dem die
Repressionsmechanismen in der DDR und ihre Auswirkungen auf den Alltag
der Menschen dargestellt werden sollten und dargestellt wurden.
Allerdings ist das Thema unserer heutigen Podiumsdiskussion „Politische
Verfolgung im realen Sozialismus“. Natürlich war der Alltag in der DDR – das
hat Herr Schuller schon ausgeführt, und es ist auch gestern gesagt worden –
nicht nur politische Verfolgung, es gab auch viel Normalität im Leben der
Menschen. Aber es war charakteristisch, daß in der gestrigen Diskussion,
die im Zusammenhang zu dem heutigen Tag gesehen werden muß, das Wort
sehr schnell auf politische Verfolgung kam, so daß man sagen kann: Der
Alltag der DDR war nicht nur politische Verfolgung, aber ohne politische
Verfolgung ist der Alltag in der DDR nicht denkbar gewesen. Daher wird
sich uns am Podium und im Auditorium die Frage stellen, inwieweit die
inneren Wirkungsmechanismen im realen Sozialismus der DDR in seiner
stalinistischen und spätstalinistischen oder poststalinistischen Ausprägung, in
seinen Strukturen und Praktiken mit immanenter Zwangsläufigkeit politische
Verfolgung bedingt haben.
Ein DDR-Bürger konnte, wie Ehrhart Neubert gestern aufzeigte, über Nacht
zum Feind werden, auch wenn er vorher ein eifriger Mitmacher war, ein
Schrittmacher vielleicht sogar. Ich erinnere an solche Schicksale wie das von
Max Fechner, Justizminister, der über Nacht zum Staatsfeind wurde, nur weil
er sich im Zusammenhang mit dem Aufstand vom 17. Juni auf das in der
Verfassung garantierte Streikrecht berufen hatte.
Über die Erscheinungsformen politischer Verfolgung wollen wir hier also
diskutieren. Es wird nach den Wandlungen der politischen Verfolgung zu
fragen sein, freilich auch nach ihrer Kontinuität in viereinhalb Jahrzehnten
SED-Diktatur.
Ich will und kann hier über die verschiedenen Phasen politischer Verfolgung,
ihre exzessiven Konsequenzen in Gestalt von politischer Internierung mit dem
fatalen Höhepunkt der Waldheimer Prozesse, von sowjetischer Militärjustiz,
NKWD-Administrativjustiz, von politischer Strafjustiz durch Gerichte der
DDR nicht im einzelnen reden, das soll in der Diskussion geschehen. Aber
die Zeitzeugen, die Betroffenen, die Opfer, Sie alle hier am Tisch, verkörpern
Schicksale, die in verschiedener Weise auch die verschiedenen Phasen der
politischen Verfolgung widerspiegeln.
Ich begrüße am Podium zunächst Frau Eva-Maria Stege aus Berlin, Herrn Hary
Seidel aus Berlin, Frau Ilona Rothe aus Erfurt, den früheren Studentenpfarrer
aus Leipzig Siegfried Schmutzler, heute Berlin, zu meiner Rechten Rolf
Schälicke, früher Berlin bzw. Dresden, genauer gesagt, heute Hamburg und
last but not least Ulrich Schacht aus Hamburg.
Ich darf Sie alle, meine Damen und Herren, bitten, sich zu Ihrer Person selbst
kurz zu äußern, ein paar Minuten etwas zur Biographie zu sagen. Ich bitte Sie,
sich in der Tat auf ein paar Minuten zu beschränken. Zunächst Frau Stege,
bitte.
Eva-Maria Stege: Ich bin 1928 geboren, bin 64 Jahre alt. Als Sechzehnjährige
wurde ich nach Sibirien deportiert, war dort im Zwangslager, im Gulag.
Über Sibirien brauche ich nicht viel zu erzählen, Sie werden es sicher
aus verschiedenen Büchern sowjetischer oder russischer Autoren kennen.
Ich selbst habe auch ein Buch geschrieben. Falls es jemanden interessiert,
kann er es gern lesen. 1949 kam ich zurück. Ich hatte sehr schlimme
Verfolgungsängste, was sich aber auch erklärt. Schon 1954 kam ich wieder in
Untersuchungshaft und habe jetzt, vom Frühjahr bis zum Frühsommer, meine
Stasi-Akten gesehen und festgestellt, daß ich 34 Jahre observiert wurde, einmal
als „TV“, als Teilvorgang, und später wieder als Teilvorgang im kirchlichen
Friedenskreis.
Hary Seidel: Mein Name ist Hary Seidel. Ich bin Berliner, bin 54 Jahre alt
und war vor dem Mauerbau in Ost-Berlin Spitzensportler, war DDR-Meister,
war mehrfach Berliner Meister. Durch den Mauerbau gab es einen besonderen
Stich in meinem Leben.
Ich habe mich, nachdem meine Mutter und mein bester Freund verhaftet
waren, der Fluchthilfe gewidmet. Zuerst hatte ich noch im September 1961