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Wahlperiode 12, Band II/1, Seiten 232 und 233
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Protokoll der 21. Sitzung

Schwierig ist auch unser Kampf heute. Dazu würde ich später gern noch etwas
sagen.

Gesprächsleiter Karl Wilhelm Fricke: Sie werden dazu mit Sicherheit noch
Gelegenheit bekommen, Frau Rothe. Vielen Dank erst einmal. Die ganze
Sache stand ja mit der Etablierung eines Grenzregimes im Zusammenhang,
das 1952 – damals sogar in der Zuständigkeit des Ministeriums für Staatssi-
cherheit – eingeführt wurde. Die Grenzpolizei war damals nach sowjetischem
Beispiel der Staatssicherheit unterstellt. Das ist erst Mitte der fünfziger Jahre
geändert worden. Aber so begann, was mit Minenstreifen und Todesautomaten
an der Zonengrenze endete. – Vielen Dank.

Als nächster hat Siegfried Schmutzler das Wort.

Dr. Siegfried Schmutzler: Ich heiße Siegfried Schmutzler, bin 1915 in
Leipzig geboren, die meiste Zeit in Leipzig aufgewachsen und habe dort
die Schule besucht. In Leipzig habe ich Pädagogik und Philosophie studiert,
wurde Lehrer – das war zu Beginn der Nazi-Zeit – und wurde dann zum Krieg
eingezogen, wo ich in Jugoslawien an der Westfront war. Ich habe den Krieg
überstanden und habe, da ich zum bewußten christlichen Glauben gekommen
war und in der Nazi-Zeit und im Krieg darin bekräftigt wurde, Theologie
studiert – ebenfalls in Leipzig.

Nach dem Studium war ich eine Weile Pfarrer in einem Dorf und wurde
dann zum Studieninspektor an einem pädagogischen Ausbildungsinstitut für
Kandidaten der Theologie in einem Predigerseminar eingesetzt. Von dort
hat mich die Studentengemeinde Leipzig zu ihrem Studentenpfarrer berufen.
Diesem Ruf bin ich gefolgt, weil ich dieser Gemeinde sehr verpflichtet war.

Im Rahmen dieser Studentengemeinde kam es nun zu sehr dramatischen
Ereignissen. Die Studentengemeinde war – wie die Kirche überhaupt – eine
der Organisationen, die nicht direkt von der SED gesteuert werden konnten
und deshalb der besonderen Observation ausgesetzt waren. Das wußten wir
Studentenpfarrer auch. Jeder Studentenpfarrer wußte, daß er mit seinem
„Schatten“ leben mußte. Der „Schatten“ war der MfS-Schatten.

Uns hatten sie besonders lieb, weil die Leipziger Studentengemeinde damals
eine der zahlenmäßig größten Studentengemeinden in ganz Deutschland war.
Es kam das Jahr 1956 – die Berufung nach Leipzig erfolgte 1954 –, das Jahr
des berühmten Ungarnaufstands, der mit Petöfi und dem Petöfi-Klub, also mit
Studenten und Professoren, zusammenhing. Zu diesem Zeitpunkt waren das
Politbüro, die ganze SED, das ganze MfS besonders allergisch.

Obwohl wir als Studenten nie daran geglaubt hätten, daß dieses System
so labil ist, wie es sich dann erwies, haben wir von den Möglichkeiten
Gebrauch gemacht, die sich damals boten, eine Studienreform anzupeilen.
Studentengemeindemitglieder haben sich dabei engagiert. Das war natürlich
besonders erregend für die Politszene. Anläßlich eines Besuchsdienstes, den

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SED-Diktatur – Unterdrückungsmechanismen/Alltag

wir als Studentengemeinde im Rahmen einer Besuchsdienstwoche in Böhlen
bei Leipzig durchführten, waren in der Kirche jeden Abend mindestens ein
Drittel geschickte SED-Mitglieder, die die Vorträge und Predigten, die ich dort
hielt, abhörten. Diese Geschichte wurde sehr aufgebauscht, und es wurden
einzelne Dinge herausgezogen. Jedenfalls haben sie von Böhlen aus den
Antrag gestellt, daß man mich verhaften lassen und mir die Zähne zeigen
müsse. Das geschah dann auch. Ich wurde am 7. April 1957 verhaftet. Nach
einem Dreivierteljahr Untersuchungshaft in Leipzig wurde ich zu fünf Jahren
Zuchthaus verurteilt. Davon habe ich vier Jahre in Torgau abgesessen. Danach
gelang es der Kirche, mich wieder herauszuholen.

Anschließend habe ich bis zu meiner Emeritierung mehrere Jahrzehnte in der
DDR als theologisch-pädagogischer Fachberater meiner Landeskirche – das
ist die evangelisch-lutherische Landeskirche Sachsens – und des Bundes der
Evangelischen Kirchen in der DDR gewirkt. 1981 bin ich nach Hamburg
übergesiedelt, später nach West-Berlin und sitze jetzt hier bei Ihnen, um diese
Dinge wieder hochkommen zu lassen.

Gesprächsleiter Karl Wilhelm Fricke: Vielen Dank, Siegfried Schmutzler.
Wir haben diesen Prozeß gegen Sie damals als Signal dafür empfunden,
daß das Ende der erhofften und sich zunächst abzeichnenden Entstalinisierung
in der DDR gekommen war. Es schien ab 1955/56 zunächst eine Phase des
Tauwetters zu sein. Aber gerade dann – natürlich bewegt und provoziert durch
die Ereignisse in Polen und in Ungarn – zeigten die Prozesse gegen die
Harich-Janka-Gruppe, aber auch gegen Siegfried Schmutzler, daß die SED
entschlossen war, ihr Machtmonopol nicht antasten zu lassen.

Zu meiner Rechten Rolf Schälike.

Rolf Schälike: Mein Lebenslauf zeichnet sich etwas anders aus. Ich bin von
Beruf Physiker und habe als DDR-Student in Leningrad studiert. Ich wurde
als Kind von Mitarbeitern der Komintern in Moskau geboren. Meine Eltern
sind nach dem Krieg – mein Vater gleich 1945 mit der Ulbricht-Gruppe,
meine Mutter 1946 – nach Deutschland zurückgekommen. Ich bin von meiner
ganzen Haltung her Wissenschaftler, bürgerlich gesinnt vom Verhalten her,
aber mit der Muttermilch erzogen in einer kommunistischen Familie. Ich
war ein überzeugter Insider, der keine Probleme mit Geschehnissen hatte, der
solche Ereignisse wie die Aussiedlung an der Grenze kannte und wahrnahm,
aber der Sache nicht detailliert nachging, die Methode verneinte, aber von
innen heraus versuchte, solche Sachen vermeidbar zu machen.

Ich habe in Leningrad studiert. Meine Schwierigkeiten begannen bei ganz
normalen Geschichten. Ich bin z. B. zweimal – einmal für einen Tag und noch
einmal für eine Woche – wegen frecher Bemerkungen der FDJ-Sekretärin
gegenüber von der Schule geflogen. Während meiner Schulzeit, als ich 14
Jahre alt war, war Erich Honecker gerade Zentralratsvorsitzender. Seine Politik
oder seine Art war es, Gespräche und politische Tagesschauen oder ähnliche