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es auch bei Gutmeinenden gab und gibt hinsichtlich dessen, was ich
„Entschädigung“ nennen möchte. Wir hatten auch einmal das furchtbare
Wort „Wiedergutmachung“. So etwas kann man nicht wiedergutmachen. Also
sollten wir solche Wörter nicht erfinden. Aber wenn man überhaupt einen
finanziellen Ausgleich gibt, damit wenigstens noch ein Rest an Lebenschancen
wahrgenommen werden kann, dann ist dies nicht zu Ende geführt.
Ich füge in den Fragenkatalog, der hier auch zur Sprache gekommen ist –
jedenfalls entnehme ich das dem, was ich jetzt am Ende mitbekommen habe –,
ein: Zu dem, was Alltag in der früheren DDR ausmachte, gehört auch die
Frage: Und wie sind wir damit umgegangen? Was war denn unser Alltag?
Mir ist das eben zu schnell gegangen, als gesagt wurde, das sei entweder
Dummheit oder Berechnung gewesen. Es war weiß Gott komplizierter. Hier
sitzen ja Mitverantwortliche am Tisch, und ich nehme mich für die Zeit ab
1985 gar nicht aus. Wir alle müssen uns hier fragen, wenn man sagt, es habe
Anpassung und Verweigerung, Anpassung und Repression gegeben: Was war
unter diesen Bedingungen zu tun, was haben wir richtig gemacht, und was
hätten wir anders machen können?
Ich finde, diese Frage gehört auch mit dazu, weil der Alltag in der früheren
DDR in hohem Maße von dem abhängig war, was die Schwestern und Brüder
im freien Teil Deutschlands taten und was die Europäer, was die Alliierten
taten. Dies alles gehört auch zum Alltag in der früheren DDR und kann nicht
außen vor gelassen werden. Denn wenn wir danach fragen, wie es bei euch
war, müssen wir gleichzeitig fragen, wie es bei uns war. Und wer da sagt, er
wasche seine Hände in Unschuld, den möchte ich erst noch geboren wissen.
Sie können in diesem Bereich nicht handeln, ohne gleichzeitig auch Fehler
zu machen in Anpassungen, die notwendig waren, und in Unterlassungen. Ich
denke, beides gehört zusammen. Niemand sollte also sagen: Wir haben den
Stein der Weisen gefunden, wir haben uns immer richtig verhalten.
Ich komme gerade von einer Veranstaltung „25 Jahre Deutsches Hilfswerk und
Diakonie“. Wie hätten denn Krankenhäuser, Behindertenheime, Altenheime
auszusehen, wenn wir nicht auch Wege gegangen wären, wo jeweils überlegt
werden mußte: Geht es noch oder geht es nicht mehr? Da fangen dann die
Fragen an.
Ich habe es häufig erlebt – das möchte ich als letzten Satz sagen –, daß an
einem Tag ein Mitglied der Oppositionellen uns sagte: Wenn ihr nicht bald
aufhört, diesen Staat zu stabilisieren, dann ist die Lage für uns hoffnungslos!
– Dann waren am anderen Tag diejenigen da, die sagten: Ihr müßt unbedingt
sehen, daß sie doch die Ausreise erhalten; ihr müßt mehr tun für Besuche und
Begegnungen! –
Ich denke, es gibt kein menschliches Handeln frei von Verantwortung und
Schuld. Wenn wir das daraus lernen, dann ist für mich das Tröstliche und
Hoffnungsvolle, daß offenbar hier Menschen, die bereit waren, sich öffentlich
zu erinnern, auch die Chance gegeben wurde, sie mit ihrer Geschichte, ihrem
Alltag anzunehmen und nicht schon wieder mit Urteilen und Vorurteilen zu
belegen; denn eine Tabuisierung hat uns in keinem Bereich weitergebracht.
Ich sage sogar: Das, was wir auch gegenwärtig an Antisemitismus haben, hat
auch etwas mit falschen Tabuisierungen zu tun.
Ich danke allen noch einmal ganz herzlich.
(Beifall im ganzen Hause)
Gesprächsleiter Karl Wilhelm Fricke: Vielen Dank, Frau Präsidentin. Der
Beifall erübrigt jeden Kommentar. Nur ein Wort noch: Die Aufarbeitung der
Geschichte der SED-Diktatur ist eine gesamtdeutsche Aufgabe.
Gesprächsleiter Karl Wilhelm Fricke: Ich darf nun die Obleute der Enquete-
Kommission bitten, im einzelnen ihre Statements abzugeben. Zunächst Frau
Abg. Dr. Dorothee Wilms von der Unions-Fraktion.
Abg. Frau Dr. Wilms (CDU/CSU): Frau Präsidentin, meine Damen und
Herren, ich glaube, nach den Tagen, die wir hier miteinander im Deutschen
Reichstag verbracht haben, erübrigen sich große Kommentare, vor allen
Dingen, weil Frau Professor Süssmuth schon das wichtigste zusammengefaßt
hat. Ich muß für mich sagen, als jemand, der im Westen gelebt hat, aus dem
Westen kommt, aber eben aus einer Zeit stammt, die sich auch noch sehr
intensiv mit den Verhältnissen in der damaligen SBZ/DDR auseinandergesetzt
hat, die in den letzten Jahren vor der Wende auch Verantwortung in der
damaligen Bundesregierung getragen hat, für mich sind solche Tage wie jetzt
in Berlin – wir hatten ja auch in Leipzig schon solche Tage – Tage, über die
man sehr lange nachdenken muß, die es verbieten, jetzt schon vorschnelle
Antworten zu finden. Ich möchte Ihnen nur in einem Recht geben, Frau
Präsidentin, daß wir, ob im Osten oder im Westen, alle miteinander über
die vergangenen 40 Jahre und 45 Jahre nachdenken müssen. Ich finde es
besonders gut – das möchte ich hervorheben –, daß wir hier in diesem Raume
im Deutschen Reichstag in Berlin, im Plenarsaal des Deutschen Bundestages,
im Gebäude des alten Deutschen Reichstages mit seiner Vergangenheit getagt
haben, weil ich glaube, daß die Begegnung gerade hier an diesem Ort für
viele auch ein Stück Genugtuung gewesen ist, daß man sein Leid und seine
Pressionen auch einmal hier an diesem Ort vortragen konnte. (Beifall)
Und deshalb herzlichen Dank an Sie, Frau Präsidentin, daß Sie die Möglichkeit
geboten haben, daß wir hier an diesem Ort haben tagen können, was ja auch
nicht so ganz selbstverständlich ist. Vielen Dank.
Gesprächsleiter Karl Wilhelm Fricke: Herr Abg. Markus Meckel, SPD-
Fraktion.
Abg. Meckel (SPD): Ich möchte auch beginnen mit einem Dank an die
Präsidentin, die mit ihrer Anwesenheit deutlich macht, daß die Kommission
nicht irgendeine Kommission ist, die irgendwo sitzt, sondern daß es der