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Wahlperiode 12, Band II/1, Seiten 274 und 275
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Protokoll der 21. Sitzung

zuzuwenden, miteinander zu reden, Verständnis füreinander zu entwickeln.
Die Vergangenheitsbewältigung Ost – West als gemeinsamer Prozeß kann ein
hervorragender Beitrag sein zur Zukunftsbewältigung dieses vielfach in den
Köpfen doch immer noch gespaltenen Deutschland. (Beifall)

Gesprächsleiter Karl Wilhelm Fricke: Vielen Dank, Herr Hansen. Herr Dr.
Keller von der Fraktion der PDS/LL.

Abg. Dr. Keller (PDS/LL): Meine Damen und Herren, nach diesen andert-
halb Tagen wünschte ich mir, daß es keine Enquete-Kommission gäbe, weil
sie keine Gründe hätte zu tagen. Aber da sie Gründe hat, müssen wir alle diese
Trauerarbeit leisten. Sie verstehen das bitte richtig, daß ich mich persönlich
besonders angesprochen fühle, weil Menschenwürde verletzt wurde im Sinne
einer Idee, die es nicht verdient, so beleidigt zu werden. Ich weiß auch,
daß hundert Fälle oder tausend Fälle oder wie viele Fälle auch immer noch
kein objektiviertes Geschichtsbild ergeben. Aber ich weiß, daß jede einzelne
Verletzung der Menschenwürde in der Geschichte nach 1945 eine zuviel ist.
So schwierig die Aufgabe dieser Kommission ist, wir müssen sie leisten. Wir
müssen sie leisten, um einen klaren Blick nach hinten zu bekommen für unsere
Geschichte. Aber wir müssen sie vor allen Dingen auch leisten, um unseren
Kindern und Kindeskindern vernünftige, gute Antworten geben zu können.
Insofern glaube ich schon, daß all das, was ich gehört habe von Menschen,
die gelitten haben, denen Unrecht zugefügt wurde, mir helfen wird, ein Bild
der Geschichte dieses Landes mit suchen zu helfen und zu finden, das nicht
nur Schuld irgendwo sucht, nicht nur in den internationalen Beziehungen und
nicht nur in den deutsch-deutschen Beziehungen, sondern das auch Schuld
benennt bei denen, die sich wirklich schuldig gemacht haben.

Gesprächsleiter Karl Wilhelm Fricke: Ich darf als letzten, aber wahrlich
nicht geringsten, Herrn Abg. Gerd Poppe, Bündnis 90/Die Grünen, bitten,
das Wort zu nehmen.

Abg. Poppe (Bündnis 90/Die Grünen): Ich fand an diesen beiden Tagen
besonders wichtig, daß es nicht nur um die spektakulären Fälle ging, die
medienträchtigen, sondern daß sehr viel vom Alltagsleben die Rede war,
von dem, was jedem einzelnen und jeder einzelnen in der DDR geschehen
konnte und zu einem erheblichen Teil auch geschehen ist. Wir haben über
die Probleme von Anpassung, Verweigerung bis hin zum Widerstand gehört,
über ein abgestuftes System von Repressionen. Wir haben festgestellt, daß es
keine einfachen Schemata zur Erklärung gibt, sondern daß sehr differenziert
an die Probleme herangegangen werden muß. Wir haben, denke ich, es auch
als besonders sinnvoll angesehen, daß hier zahlreiche Menschen aus den alten
Bundesländern teilgenommen haben, die z.T. zum ersten Mal überhaupt von
diesen Vorgängen Kenntnis erhalten haben. Ich halte das für sehr sinnvoll,
wie ich überhaupt meine, daß es notwenig sein wird, Verständnis zu erwecken
auch bei denjenigen, die diese Erlebnisse nicht hatten. Ich denke, daß sie

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SED-Diktatur – Unterdrückungsmechanismen/Alltag

sich bemühen sollten, eine größere Sensibilität, als das bisher manchmal
der Fall ist, zu erreichen für diese Vorgänge, weil dies den Prozeß des
Zusammenwachsens der Deutschen erleichtern kann. Ich wäre auch sehr froh,
wenn solche Vorgänge häufiger als bisher in den Medien beschrieben würden.
Mindestens ebenso oft wie die Täter oder Helfershelfer sollten auch die
eigentlichen Opfer zu Wort kommen!

(Beifall)

Wir haben sehr interessante Vorträge gehört. Wir haben heute von Herrn
Schuller gehört, wie die Rahmenbedingungen gewesen sind, die ja über meh-
rere Jahrzehnte fast unverändert blieben. Allerdings blieb nicht in gleichem
Maße unverändert, wie man sich engagieren konnte, wie man sich dagegen
einsetzen konnte. Die Tatsache, daß Willkür herrschte, daß Angst erzeugt
wurde, daß der Eindruck von der Unabänderlichkeit des Systems erweckt
werden sollte, mußte nicht dazu führen, daß man schwieg, mußte nicht bei
Angst und Hilflosigkeit der Betroffenen stehenbleiben. Wir haben durch viele
Beispiele gehört, daß dieses Handeln möglich war, daß es auch sinnvoll
war. Vieles von dem, was hier berichtet wurde, zeigt, daß es innerhalb einer
Diktatur, wenn man sich erfolgreich gegen eine Diktatur zur Wehr setzen will,
offenbar notwendig ist, die Spielregeln zu verletzen, den Rahmen, der einem
abgesteckt wird, zu verlassen. Dann hat man die Chance, nicht nur Opfer
zu bleiben, sondern handelnde Person zu werden, die sich zur Wehr setzt,
die – wie Ulrich Schacht es sagte – Gegner war und niemals Opfer. Das sagte
jemand, der inhaftiert war und es dort wahrlich nicht leicht hatte. Ich finde,
diese Haltung zeigt, wie man mit Diktatur umgehen muß. (Beifall)

Als letztes, aber wirklich nicht als das unwesentlichste – es ist das wesentlich-
ste Problem, das wir in der nächsten Zeit zu klären haben –, möchte ich noch
einmal auf das, was Zeitzeugen und Opfer im engeren Sinne hier gesagt haben,
kurz eingehen. Es war erschütternd zu erfahren, wie tief die Verletzungen, die
z.T. doch schon jahrzehntelang zurückliegen, immer noch sind, wie schwer
es einzelnen fiel, heute darüber zu reden, nachdem sie oft jahrzehntelang
gezwungen waren zu schweigen. Die Würde dieser Menschen ist noch nicht
wiederhergestellt! – Und es gibt einen Handlungsbedarf des Gesetzgebers, den
alle Gruppen und Fraktionen, die in der Enquete-Kommission vertreten sind,
gemeinsam betonen. Ich hoffe, daß es nun auch zu Taten kommt. Es geht
nicht nur um Geld – obwohl das 2. Unrechtsbereinigungsgesetz auch etwas
zur Entschädigung sagen muß von Fällen, die nach den bisherigen gesetzlichen
Regelungen nicht entschädigt werden können. Es geht in erster Linie um die
Wiederherstellung der Würde der Menschen. (Beifall)

Gesprächsleiter Karl Wilhelm Fricke: Vielen Dank, Herr Poppe. Es besteht
nun die Gelegenheit für die Kolleginnen und Kollegen der Medien, Fragen an
die Obleute und natürlich an Frau Süssmuth zu richten.

(Pressekonferenz)