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Wahlperiode 12, Band III/1, Seiten 84 und 85
84
Protokoll der 28. Sitzung

sondern persönlich in gelegentlicher Kontrolle während der Sportstunden,
herauszufinden, wem der entsprechende Schuh gehört. Der Bericht endet
hier.

Ich möchte noch folgendes erwähnen. Ich habe für meine Kinder, als sie
geboren wurden, am ersten bzw. „nullten“ Geburtstag, alle Zeitungen, die
es auf der Post gab, aufgekauft, zusammengerollt und sie aufbewahrt, damit
die Kinder sie in die Hand kriegen, wenn sie mal achtzehn sind. Hoffentlich
können sie dann darüber lachen. Ich habe diese Woche das erste Mal ein
solches Paket wieder aufgemacht. Ich muß Ihnen sagen, ich konnte nicht
darüber lachen. Es ist entsetzlich, wer sich das antun will, soll sich das
ansehen. Die letzten drei Seiten möchte ich Ihnen wieder zeigen. Dieses
Bild z. B., der junge Pionier mit der Trompete und eine herzzerreißende
Geschichte darunter, war in der Zeitschrift „Bummi“ zu sehen, die für den
Kindergarten gemacht wurde, also bei Kindern zwischen drei und sechs
Jahren zur Anwendung kam. In der Zeitschrift „Atze“, erste bis vierte Klasse
Pflichtlektüre in den Schulen, 1982: auf der einen Seite die heile Welt
des Sozialismus, auf der anderen Seite die trostlose Welt des absterbenden
Imperialismus. Ich habe das aus diesen Kinderzeitschriften entnommen, weil
eine Frage zur Vorbereitung dieser Anhörung lautete: „Wann haben Sie das
erste Mal diese ideologische Beeinflussung gespürt?“ Vielleicht haben es
die Kinder zunächst nicht so gespürt, aber die Beeinflussung hat in der
Kinderkrippe eingesetzt und hat nie aufgehört.

Einen letzten Gesichtspunkt muß ich freilich noch erwähnen. Es gab auch
in der damaligen DDR Möglichkeiten, an andere Literatur heranzukommen.
Beide Vorredner haben es schon erwähnt. Ich möchte nur darauf hinweisen und
habe deshalb das auch abgelichtet, es stammt aus dem Hause, aus dem Herr
Professor Ernst kommt, später aus einer Einrichtung der Deutschen Bischofs-
konferenz. Dort gab es etwa jeden Monat ein sog. theologisches Feuilleton.
Dort waren Aufsätze aus aller Welt zu Fragen der Theologie und Philosophie
gesammelt. Ich habe einen Aufsatz von Konrad Feiereis ausgewählt, der auch
in Erfurt lehrte, „Philosophie in der DDR, betrachtet aus christlicher Sicht“.
Ich kann diesen guten Gewissens zur Lektüre empfehlen. Da tut man sich
nichts an. Ich darf abschließend daraus zitieren: „Bleibt den Christen in dieser
Gesellschaft nur die Möglichkeit, durch den gelebten Glauben die Einstellung
seiner atheistischen Umwelt positiv zu beeinflussen.“

Ich kürze ab: Der Christ hat zu prüfen, welche Pflichten die Kommune ihm
auferlegt, welche Rechte im zugestanden werden und welche Grenzen ihm
durch Gewissen und Glauben gesetzt sind. Und hier muß ich ein bißchen dem
Vortrag von Professor Ernst widersprechen. Es gab eben eine Grauzone, die
sich heute auch auf die Prüfmöglichkeiten auswirkt. Ich muß es so sagen. Wer
in dem Zwang stand, etwas zu tun, da wird es schwer, zwischen Mitläufer,
Mittäter oder Gegner immer genau zu unterscheiden. Manchmal floß alles

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Marxismus-Leninismus und soziale Umgestaltung

zusammen, Mitläufer, Mittäter und Gegner. Heute wurde ja auch gesagt, ich
zitiere wieder Professor Ernst: Er sagte, er habe bei Anhörungen noch keinen
gefunden, der wirklich auch über Schuld sprach. Zu mir kam ein Parteisekretär,
der ehemalige stellvertretende Parteisekretär meiner Schule und beschwerte
sich, daß er nun für bedenklich gehalten wird und sagte: „Ich habe doch
niemandem was getan“. Ich habe ihm gesagt: „Du hast es gut, das kann
ich nicht von mir behaupten.“ Und jetzt zitiere ich abschließend einen Brief
eines Weimarer Lehrers, der sagte: „Wir sollten uns daran machen, unsere
eigene Vergangenheit zu durchleuchten. Es wird jeder fündig werden, fündig
an Versagen, aber auch fündig an Tapferkeit“.

Stellvertretende Vorsitzende Margot von Renesse: Ich denke, daß wir auch
Ihre Worte, auch Ihre letzten, sehr wohl verstanden haben. Das gilt sicherlich
nicht nur für die Bürger und Bürgerinnen im Osten, sondern auch manchmal
für uns im Westen. Daß Kinderzeitungen „zur Anwendung kamen“, werde ich
mir merken. Und jetzt Herr Dr. Ullmann.

Dr. Wolfgang Ullmann, MdB: Danke, Frau Vorsitzende. Ich gehöre ja
nun, wenn man mal die Hierarchie von Herrn Leonhard anwendet, nicht
einmal zu der untersten Gattung der einfachen Parteimitglieder. Das muß ich
ausdrücklich sagen, weil ich diese ganze herrliche Unterrichtung, die meine
Vorredner alle genossen haben, nie gehabt habe. Das ist altersbedingt, aber
eben auch durch meinen Beruf und meinen Werdegang als Theologe.

Ich will so vorgehen, daß ich den zur Vorbereitung entworfenen Fragenkatalog
verwenden werde. Als alter Herr ist man ja in großer Gefahr, sehr viel zu
plaudern, zumal dieses Thema unerschöpflich ist. Ich bin Ihnen ausdrücklich
dankbar, daß Sie diesen Fragenkatalog aufgestellt haben und will auf sechs
der Fragen eingehen. Zunächst einmal möchte ich aber meinen Standpunkt
bezeichnen, von dem aus ich antworte.

Die erste Frage lautet: „Wie alt waren Sie, als Sie zum ersten Mal mit
dem Marxismus-Leninismus in Berührung kamen?“ Daß ich überhaupt mit
ihm in Berührung kam, hing damit zusammen, daß die Sowjetarmee in
Dresden einzog, sonst wäre es vermutlich nicht passiert. Dann wäre ich so
bürgerlich geblieben, wie ich eben von Haus aus war. Hier möchte ich eine
Zwischenbemerkung anekdotischer Art einfügen. Ich hatte einen Kollegen, der
nie Professor geworden ist, Herr Weber kennt ihn vielleicht, den Historiker
Sielaff an der Humboldt-Universität. Er sagte mal zu mir: „Ja, ich weiß nicht,
ich weiß nicht, Herr Ullmann, ob die Überzeugungskraft des Marxismus-
Leninismus gegenüber deutschen Professoren u.U. etwas mit der Anwesenheit
der Roten Armee im Lande zu tun hat?“

Nun war ich Christ und hatte dadurch, ohne irgendwelche politischen op-
positionellen Absichten damit zu verbinden, eine Distanz zum Marxismus-
Leninismus, weil ich mir sagte: das geht nicht mit dem Christentum zusam-
men. Das ist eine Lehre, die der berühmten Versuchung in der Geschichte