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Wahlperiode 12, Band III/1, Seiten 88 und 89
88
Protokoll der 28. Sitzung

der Fall Lukacs ist natürlich eben, da sage ich ja hier den Marxismus-Experten
überhaupt nichts Neues, in meinen Augen ein höchst interessanter, aber auch
höchst problematischer Fall. Wie konnte dieser bedeutende Mann, der von
Haus aus ja auch kein Philosoph war, sondern ein Literaturwissenschaftler, so
gut den Stalinismus und in Moskau überstehen? Das ist eine Frage, auf die ich
keine Antwort weiß. Genauso verhält es sich mit dem Fall Bloch. Natürlich
habe ich auch mitgekriegt, was sich da in Leipzig abspielte. Der Fall Bloch ist
auch ganz schwierig. Ich weiß, welche Rolle Ernst Bloch bei der akademischen
Diskreditierung von nichtmarxistischen Philosophen gespielt hat, die es ja in
der DDR durchaus gegeben hat. Ich brauche nur daran zu erinnern, daß Hans
Georg Gadamer früher in Leipzig gelehrt hat. Bloch hat in meinen Augen
eine besonders negative Rolle gespielt. In Jena hat er dazu beigetragen, die
letzten Reste der großen Frege-Schule an der Universität zu diskreditieren,
und zwar mit den verrückten stalinistischen Auffassungen über Logik. Da gab
es ja einen marxistischen Logiker, der es fertigbrachte zu definieren, Logik
sei die Denkform des sowjetischen Menschen. Darüber hat sich dann Herr
Sinowjew lustig gemacht.

Ich will nun noch eine Einzelheit hinzufügen. Es geht um die Frage, ob
die Theologen auch einen solchen ML-Grundkurs machen sollten. Wir haben
immer wieder darüber debattiert, nicht, weil wir meinten, daß man dabei soviel
lernen könnte, sondern weil wir sagten, daß es eigentlich unnatürlich ist, wenn
die Unsrigen das nicht mitmachen, was sonst alle durchmachen mußten. Es
ist ja dann im Jahre 1968 durch Eingriffe von außen, über die ich nicht weiter
reden will, am Theologischen Seminar in Leipzig, im Unterschied zu den
anderen kirchlichen Hochschulen in der DDR, dazu gekommen, daß so ein
Grundkurs eingeführt wurde. Die Leipziger mußten an einer Volkshochschule
einen solchen Abschluß machen. Wir haben aber dann durch diese Erfahrung
nicht gemeint, daß wir das bei uns auch einführen sollten, weil alle, die
Kollegen und die Studenten, sagten, das sei so unernst, es lohne sich eigentlich
nicht. Es komme nichts dabei heraus.

Frage 4: „Ideologische Auseinandersetzung.“ Hier will ich nur folgendes an-
deuten. Herr Hilsberg und ich stammen ja von demselben Berliner Hinterhof.
Da kriegte man das natürlich mit. Dort ging Wolfgang Templin aus und ein
und an das Sprachenkonvikt in Berlin kam dann solch eine Dissidentin wie
Frau Wollenberger. Das waren ja alles Nachfolgen des Falles Havemann. Es
landeten aber auch bei uns, und daran fühlte ich mich bei Ihrem Bericht
erinnert, Physiker. Es wurde nämlich manchmal die These vertreten, in den
Naturwissenschaften habe das mit dem Einfluß des Marxismus-Leninismus
nicht geklappt. Nein, nein, es war dort genauso schwierig. Ich erinnere mich
da an zwei junge Leute. Der eine hatte in einem Spezialgebiet der Physik
gearbeitet und geriet mit dem Marxismus-Leninismus aneinander. Er konnte

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Marxismus-Leninismus und soziale Umgestaltung

gerade noch promovieren. Der andere konnte seine Diplomarbeit nur mit Mühe
zu Ende bringen, weil es da auch solche ideologischen Probleme gab.

Ich muß zum Schluß kommen. Für mich war mit dem Jahre 1968 klar, was
Herr Leonhard gesagt hat, daß der Marxismus-Leninismus keine orientierende
Kraft mehr besaß. 1974 kam dann der Marxismus-Leninismus sogar in die
Verfassung. Ich habe damals als Dozent in Naumburg Seminare gehalten,
natürlich auch über die „Ökonomisch-Philosophischen Manuskripte“, die
übrigens damals erst gedruckt werden durften. Vorher mußte man sie sich auf
Umwegen aus dem Westen besorgen. Ich habe mit den Studenten auch Lenin
gelesen, nicht, um sie dagegen immun zu machen, sondern um einfach mal zu
fragen: wer hat denn nun recht, Dubcek oder Breschnew? Das Erschreckende
für uns war: auf der Basis der Texte mußten wir sagen, doch, der Breschnew
hat recht. Es wird nicht klappen, was die Tschechen sich vorgenommen
haben. Und damit bin ich eigentlich bei meiner Antwort auf die Frage, ob
der Zusammenbruch der DDR etwas mit dem Marxismus-Leninismus zu
tun hat. Ich würde darauf sagen: ja. Wenn Sie mal die zehn Punkte des
Kommunistischen Manifestes vergleichen mit dem, was in der DDR passiert
ist, muß man sagen: sie haben probiert, das zu realisieren und die Ergebnisse
waren so, wie wir es lernen mußten. Ich würde aber auch wie Wolfgang Thierse
sagen, daß Engels und auch Lenin nur noch von historischer Bedeutung sind.
Die Analyse der Ausbeutung, der Entfremdung und des Fetischcharakters
der Ware, das ist, glaube ich, ein Teil der Kultur unseres Jahrhunderts, auf
den man wohl nicht verzichten sollte. Ich weiß nicht, ob ich noch einmal
mit Intensität „Das Kapital“ lesen werde, aber ich glaube, das irgendwie in
mich aufgenommen zu haben und ich sehe eigentlich keinen Anlaß, das zu
widerrufen.

Stellvertretende Vorsitzende Margot von Renesse: Ja, Herr Dr. Ullmann,
das war auch wieder eine Mischung aus farbigen Anekdoten und Nachdenk-
lichkeit, auch Abgewogenheit. Herr Dr. Keller, jetzt sind Sie dran.

Dr. Dietmar Keller, MdB: Ja, Frau Vorsitzende, meine Damen und Herren,
ich weiß, das ist alles außerhalb Ihrer Arbeitszeit, Ihrer geplanten Arbeitszeit.
Ich werde das berücksichtigen. Also, ich fange an.

Ich komme nicht aus einem christlichen Elternhaus, weder katholisch, noch
evangelisch. Ich komme auch nicht aus einer liberalen Familie, sondern
ich komme aus einem Haus einfacher nichtpolitischer Arbeiter. Im Krieg
evakuiert, die Wohnung zerstört, so daß mich relativ zeitig die soziale
Zielstellung, die soziale Vorstellung von Menschen, die sich mit Marx
und Engels beschäftigten, fasziniert haben. Ich denke, daß für mich dieser
soziale Aspekt die eigentliche Faszination Marxschen Denkens und Marxscher
Theorie gewesen ist. Ich habe, als Herr Leonhard die fünf Punkte formuliert
hat, die aus seiner Sicht eine gewisse Faszination des Marxismus für die
Menschen ausgeübt haben, überlegt, was für mich zutrifft. Ich bin zu der