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Wahlperiode 12, Band III/1, Seiten 110 und 111
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Protokoll der 30. Sitzung
  1. Sie wurde erleichtert durch gewisse Inkonsequenzen der Aufarbeitung der
    NS-Vergangenheit im Westen.
  2. Vergangenheit kam in diesem Antifaschismus höchst selektiv in den Blick.
    Teilweise wurde Geschichte verfälscht, teilweise höchst einseitig betrachtet.
    Die Legitimationsinteressen der SED, insbesondere ihrer Führungsgruppen,
    prägten unmittelbar das Geschichtsbild.
  3. Der Antifaschismus wurde geradezu zu einer säkularisierten Religion
    ausgebaut. Zwar gibt es auch in westlichen Ländern so etwas wie
    Zivilreligionen. Diese politische Religion jedoch hatte spezifische Züge und
    Funktionen, vor allem die der Unterordnung unter den Willen der Partei
    bzw. Parteiführung.
  4. Der Antifaschismus wurde teilweise von jugendlichem Idealismus mitge-
    tragen und hat diesen wohl auch gefördert. Er trug zur Beschaffung von
    Loyalität gegenüber dem SED-System lange Zeit bei.
  5. Der Antifaschismus blockierte die Aufarbeitung des Stalinismus ungleich
    mehr als daß er diese förderte, was durch den historischen Antifaschismus,
    der teilweise mit dem Stalinismus amalgamiert war, ebenso bedingt war
    wie durch die post-stalinistische Parteiherrschaft. Es gelang der DDR nicht,
    die emanzipatorischen Potentiale des Antifaschismus zu entfalten.
  6. In nicht unbeträchtlichem Maße hemmte der Antifaschismus oppositio-
    nelles Denken und Handeln und wurde nicht selten zur Denunziation
    politischer Gegner der SED und der SED-Führung verwandt. Er wirkte
    damit geradezu antidemokratisch.

Ein spezifischer Antifaschismus war konstitutives Element der SED-Diktatur.

Vorsitzender Rainer Eppelmann: Der nächste Redner ist Herr Dr. Fippel,
bitte.

Dr. Günter Fippel: Als Leser der „Täglichen Rundschau“ am 28. März 1947
ihre Zeitung aufschlugen, lasen sie auf Seite 2 zu ihrer Erleichterung, daß es
den wachsamen Organen der „antifaschistisch-demokratischen“ Ordnung ein-
mal mehr gelungen war, ein Waffenlager ehemaliger Nazis auszuheben. Mit
vier anderen seien auch die Studenten Wradzidlo und Klein „wegen geheimer
faschistischer Tätigkeit, Aufbewahrung von Waffen und anderer Verbrechen“
verhaftet worden.

Dieser öffentliche Vorwurf, der jede Solidaritätsbekundung mit den Einge-
kerkerten von vornherein ausschloß, verkehrte die Wahrheit in ihr genaues
Gegenteil.

Wer war Georg Wradzidlo wirklich?

Nach dem 20. Juli 1944 war der damalige Oberleutnant als Mitglied einer
Widerstandsgruppe der Wehrmacht verhaftet und in das KZ Buchenwald ein-
geliefert worden. Lediglich das Kriegsende rettete ihn vor dem Kriegsgericht.
Er begann an der wiedereröffneten Berliner Lindenuniversität ein Medizin-

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Antifaschismus und Rechtsradikalismus

studium und wurde Leiter der CDU-Studentengruppe sowie der „Arbeitsge-
meinschaft demokratischer Studenten“. In dieser Eigenschaft protestierte er am
1. Mai 1946 gegen die Vereinnahmung der Universität durch die SED. Tags
darauf wurde er seines Postens enthoben, am 13. März 1947 verhaftet und im
Dezember 1948 von sowjetischen Militärrichtern zu 25 Jahren Zwangsarbeit
verurteilt.

Mit Manfred Klein verhielt es sich ähnlich.

Zwei weitere Beispiele:

Im Sommer 1938 flüchtete Hannelore Goldschmidt aus Leipzig vor anti-
semitischer Verfolgung nach Bolivien. Von hier aus wirkte sie mit ihrem
Ehemann Paul Baender in der Bewegung „Freies Deutschland“ über Presse
und Rundfunk für den Sturz der nationalsozialistischen Diktatur. Dank Paul
Merkers Engagement durfte sie nach langem Tauziehen 1947 in die Ostzone
zurückkehren. Im November 1952 wurde sie in Ostberlin unter der aberwitzi-
gen Beschuldigung inhaftiert, „für den Faschismus . . . gearbeitet zu haben“.1

Ihre erste Vermutung, die Nazis seien wieder dran, erhielt neue Nahrung, als
sie von Vernehmern der DDR-Staatssicherheit mit übelsten antisemitischen
Beschimpfungen bedacht wurde.2

Im Oktober 1954 wurde Willi Rehfeld, welcher den Nazis durch eine
Auswanderung nach Palästina entkommen konnte und 1949 nach Westberlin
zurückgekommen war, vom Ostberliner Stadtgericht wegen „neofaschistischer
Betätigung“ zu anderthalb Jahren Gefängnis verurteilt, nur weil er während des
2. Deutschlandtreffens einigen FDJlern Schokolade und Fahrgeld zum Besuch
Westberlins angeboten hatte.3

Die hier angeführten Fakten wurden einer Kartei entnommen, mit deren
Aufbau ich kurz nach dem XXIII. Parteitag der KPdSU (1961) begann und
die gegenwärtig biographische Angaben über mehr als 27.000 Opfer des
Stalinismus umfaßt.

Analysiert wurden alle erreichbaren schriftlichen Zeugnisse (von Enzyklopä-
dien über historische Abhandlungen, Biographien und Memoiren bis hin zur
knappen Pressenotiz), und die jeweiligen Informationen (Namen, Lebensdaten,
sozialer und politischer Status, Gründe, Art und Folgen der Repressionen)
wurden auf Karteikarten gespeichert (siehe Anlage).

Das Untersuchungsverfahren macht sich den Umstand zunutze, daß Literatur
(im weitesten Sinne) unter anderem Spiegelbild gesellschaftlicher Verhältnisse
ist und die lebendige Vielfalt des Lebens wiederholt. Da nach den Gesetzen

  1. W. Kießling: Der Fall Baender. Berlin 1991, S. 167. 2 Vgl. ebenda. S. 168 3 Vgl. Katalog des Unrechts. Hg. vom Untersuchungsausschuß Freiheitlicher Juristen. Berlin (1957)