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Wahlperiode 12, Band III/1, Seiten 178 und 179
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Protokoll der 30. Sitzung

Vorsitzender Rainer Eppelmann: Herzlichen Dank, Konrad Weiß. Der letzte
Kurzvortrag wird uns heute von Herrn Dr. Geiger gehalten. Herzlichen Dank,
daß Sie aus der Hauptstadt in den Noch-Regierungssitz gekommen sind, wir
sind gespannt, was Sie uns zu sagen haben.

Dr. Hansjörg Geiger: Vielen Dank, Herr Vorsitzender, für die freundliche
Begrüßung. Meine Damen und Herren, selbstverständlich will ich mich auch
kurz fassen und den Berg, den ich vor mir liegen habe, nur teilweise angreifen.
Ich kann aber sagen, für die die mehr wissen wollen, wir haben versucht,
einen ersten Überblick über das, was wir wissen, in einer Analyse und in
einem Bericht zusammenzufassen. Ein Mitarbeiter von uns hat eine erste
vorläufige Broschüre mit dem Titel: „Zu Wahrnehmung und Interpretation
des Rechtsextremismus in der DDR durch das MfS“ geschrieben.

Manche Sachen, die ich heute sage, stehen da nicht drin, dafür noch viel
mehr als ich Zeit habe. Das MfS hatte wohl mit den besten Überblick über
das, was wir heute als Rechtsextremismus und Rechtsradikalismus in der
DDR bezeichnen. Das lag daran, MfS-typisch, daß das MfS immer versucht
hat, von allem so viel wie möglich zu erfahren, aber auch die Reaktionen
waren MfS-typisch. Man hat in erster Linie Symptome bekämpft, mit dem
üblichen Einsatz an Mittel, auch Gewalteinsatz. Die Ursachen wollte man nicht
wahrnehmen und wollte sie auch nicht erforschen, man hat Entsprechendes
zum Teil auch abgeblockt, soweit Ansätze mal da waren. Die Bezeichnung
„negativ dekadent“ bei Jugendlichen oder „Rowdytum“ ist so ein Hinweis,
daß man das Ganze in eine Richtung drängen wollte, die weniger weh tut. Wir
haben es vorhin gerade gehört, ich bringe nachher noch ein paar Beispiele.
Das MfS hat letztlich im Sommer 1989, wie in einer Art Abschlußbericht, ich
zitiere danach noch kurz daraus, letzten Endes auch nur den eigenen Mißerfolg
dokumentiert. Wir haben mehrfach gehört, daß es spätestens in den 80er Jahren
in der DDR Ansätze von Rechtsradikalismus unter Jugendlichen gab. Die
Zahlen, die das MfS bisher genannt hat, schwanken zwischen 800 und 1100
und ich möchte mal, das ist etwas Neues, einen Überblick geben, weil es aus
der heutigen Sicht interessant ist, wo wir heute Schwerpunkte haben und wo
das MfS sie damals gesehen hat. Bei den Skinheads, die nur eine Gruppierung
sind, die das MfS beobachtet hatte, haben wir in Berlin 447 vom MfS erfaßte
Personen, in Rostock dagegen nur 9, Schwerin 3, Neubrandenburg 9, Potsdam,
ein weiterer Schwerpunkt mit 120, das lag vielleicht auch an der Tatsache,
daß man von Berlin aus das Ganze lange Zeit viel stärker ernst genommen hat,
Frankfurt/Oder 82, Cottbus 53, Magdeburg 66, Halle 36, Leipzig 88, Dresden
45, Karl-Marx-Stadt nur 6, Gera 39, Erfurt 38, Suhl 26. Das ergibt zusammen
1067. Dazu kämen jetzt schon aus dieser Übersicht, die ich jetzt nicht dazu
gezählt habe, Personen, die das MfS den Heavy Metals zugerechnet hat und
die das MfS ebenfalls als rechtsradikale Gruppierung angesehen hat. Das MfS
hat selbst erkannt, daß diese Zahlen der von ihnen erfaßten Personen nicht

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Antifaschismus und Rechtsradikalismus

abschließend sind. Denn in einer Untersuchung, die am 07.02.1988, aufgrund
einiger Kontrolleinsätze in einigen Bezirksverwaltungen und insbesondere in
Berlin durchgeführt worden ist, und die das Ziel hatte, in Durchsetzung der
zentralen Aufgabenstellung, zu unverzüglichen Liquidierungen von jugendli-
chen Gruppierungen mit neofaschistischen, antisemitischen, ausländerfeindli-
chen Positionen, wurden auch Zahlen festgestellt. Dazu heißt es : „...darüber
hinaus wurden weitere Personen in den operativen Materialien genannt, ohne
daß eine konkrete Erfassung ersichtlich wurde“. D.h., das MfS hatte dann
selbst nicht die Zeit, daß es die inzwischen angefallenen operativen Perso-
nenkontrollen oder operativen Vorgänge oder Ermittlungsverfahren daraufhin
durchsieht, um die weiteren Zahlen und Daten herauszusuchen. Außerdem
hat das MfS festgestellt, daß die Kriminalpolizei eine eigene Dokumenta-
tion auch über Rechtsradikale hatte, eine sogenannte Dokumentation R. Ein
Vergleich hatte ergeben, daß in einem Teilbereich, den das MfS gemacht
hat, hier von 13 Personen nur bei dreien eine Übereinstimmung der beiden
Listen da war, d.h., daß beide Organisationen durchaus mit unterschiedlichen
Personen gearbeitet hatten. Ich will damit sagen, daß die Zahl 1067 sicher
nicht die obere Grenze war. Dieser entstehende Rechtsextremismus hat – wie
bemerkt – in den MfS-Archiven Niederschlag gefunden. Wie ist das MfS
zu diesen Unterlagen gekommen? Nun, wie bei allen operativen Materialien
bediente sich das MfS der üblichen Informationsquellen, insbesondere auch
des Einsatzes inoffizieller Mitarbeiter und es ist interessant, daß ca. 10 bis
15 Prozent der erfaßten Rechtsradikalen gleichzeitig inoffizielle Mitarbeiter
des MfS waren, wobei das in der Regel wieder keine Ausnahme war. In der
Regel waren es Personen, die dem MfS als rechtsradikal aufgefallen sind. Es
ging also weniger um eine Einschleusung in Gruppierungen, sondern daß man
Leute, die man erkannte hatte, indem man ihnen die Straftaten vorgehalten
hat oder sie sonst gefragt hat, versuchte als IM zu werben. 10 bis 15 Prozent
ist ein relativ hoher Wert, man hat natürlich Postkontrollen durchgeführt,
Telefonüberwachung und die sonstigen Überprüfungen. Die Akten, auch zum
MfS, haben wir noch nicht vollständig erfaßt und insbesondere noch nicht
vollständig ausgewertet. Beispielsweise wäre sicher auch interessant, welche
Rolle die HVA (Hauptverwaltung Aufklärung) hier gespielt hat. Hier ist nur
ein Papier aufgetaucht, das ein Übergabeprotokoll von Arbeitsmaterial der
Arbeitsgruppe „Rechtsextremismus – Neofaschismus der HVA“, kurz nach
der Wende, an eine andere Einheit dokumentiert. Das zeigt also, hier muß ge-
arbeitet worden sein, sonst wäre kein Arbeitsmaterial angefallen. Allerdings
ist eine erste vorsichtige Einschätzung sicher möglich. Die Wahrnehmung des
MfS ist geprägt von der Grundeinstellung des MfS und der SED-Führung zur
Jugend. Sie gilt, wie bereits in einer Dienstanweisung aus dem Jahr 1966 des
MfS festgestellt worden ist, als „für imperialistische Einflüsse anfällig“. Das
ist dann auch ein späteres Erklärungsmuster, zumindestens ein nach außen dar-
gegebenes. Es heißt z.B. in diesem Papier: „Es ist zu berücksichtigen, daß die