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Wahlperiode 12, Band IV, Seiten 146 und 147
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Protokoll der 40. Sitzung

Besserwisserei bediente, um den anderen sagen zu können oder vielleicht
auch zu müssen, was denn falsch und was richtig war.

Denn wie vorhin auch schon gesagt: Nicht alle Richter waren in der SED.
Damit vertrat aber die Staatsanwaltschaft, bei der jeder in der SED war,
natürlich schon wieder den hauseigenen Anspruch, immer im Interesse der
Arbeiterklasse und damit zum Wohle aller – das war ja der theoretische
Anspruch an sich – zu handeln. Das wurde auch entsprechend deutlich
gemacht.

Dieser Einfluß vollzog sich dann auf der Bezirks- und Kreisebene wieder über
die sogenannten Leiterberatungen. Zum Beispiel war ja der Kreisstaatsanwalt
in der Regel – ich würde sagen, zu 99% – gleichzeitig Mitglied der
Kreisleitung der SED, der Bezirksstaatsanwalt gleichzeitig Mitglied der
Bezirksleitung der SED. In diesen Gremien also wurde bereits auf die Richter
Einfluß genommen, indem man sich einfach des Mittels bediente: Was im
Großen herrschte, herrschte auch im Kleinen, also auch im Kreis – sprich:
die Leiterberatung, daß man sich montags zusammensetzte und konkrete
Verfahren absprach, daß man den Richter unter vier Augen aufsuchte, um
sich mit ihm zu „beraten“ – nennen wir es einmal so –, und daß auch
in bestimmten Fällen – ich kann mich an eine solche Diskussion in Jena
erinnern – ein Richter oder etwa auch der Kreisgerichtsdirektor vom Mitglied
der Kreisleitung, also dem Kreisstaatsanwalt, in der Parteiversammlung
direkt mal echt „maßgenommen“ wurde, wenn denn nach Meinung des
Kreisleitungsmitglieds, also des Kreisstaatsanwalts, etwas nicht so gelaufen
war, wie man es denn wollte oder erwartet hatte. – Das war so dieser Eingriff
an sich.

Nun muß man der Ehrlichkeit halber dazusagen: Auf der unteren Ebene wurde
ja noch gestritten. Es war absolut richtig und in Ordnung, daß zwischen Kreis-
staatsanwalt und Kreisgerichtsdirektor mitunter echt eine sachlich-inhaltliche
Diskussion geführt wurde, in der auch unterschiedliche Standpunkte vorgetra-
gen wurden.

Das fand man auf der oberen Ebene meines Erachtens nicht mehr. Dort
herrschte zwischen den Chefs – also OG und Generalstaatsanwalt – Einigkeit,
eine parteitreue Einigkeit – so muß man wohl sagen –, die mitunter für den
äußeren Betrachter bis zur Widerlichkeit ging; ich darf das einmal so hart
sagen. Man hatte keine andere Meinung als der Genosse, der aus dem ZK
kam, sowieso nicht! Das hing auch mit der Situation zusammen: Man wollte
einfach seinen Stuhl behalten, seinen Posten, und auch so weitermachen.

Aber, was mir immer ganz drastisch auffiel – und deswegen benutzte ich das
Wort „Unterwürfigkeit“ –: Ich kann mich an einen Fall erinnern, daß unser
Generalstaatsanwalt aus dem ZK zurückkam und uns allen schilderte, wie
wohl es ihm getan habe, daß er gerade im Zentralkomitee so einen richtigen
Rüffel abgefangen hatte. Ich überlege heute noch: War das Schauspielerei,

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Lenkung der Justiz

weil er sich so darstellen wollte gegenüber dem ZK, oder hat er es tatsächlich
nicht besser verstanden und nicht anders interpretiert? Ich weiß es nicht. Diese
Frage ist mir in vielen Dingen bis heute nicht beantwortet.

Was dann festzustellen war – wie gesagt, in der Zeit der Wende; und
da denke ich: man wußte es wirklich nicht besser oder wollte es nicht
besser wissen –: Als dann nichts mehr aus dem ZK kam – nämlich
Anweisungen, wo es langgeht, was wir zu machen hätten, was zu tun
wäre, dies oder jenes –, als nichts mehr aus dem ZK kam, herrschte bei
der Leitung des Generalstaatsanwalts ebenfalls eine solche Sprachlosigkeit,
absolute Sprachlosigkeit. Da waren wirklich Aktivitäten „von unten“ gefragt,
damit zumindest das Tagesgeschäft irgendwie weiterlief und weiterbearbeitet
wurde.

Das war aus meiner Sicht zunächst als Angebot – ich hoffe, wir kommen
in der Diskussion noch weiter – eine Darstellung, wie ich nach mehrjähriger
Tätigkeit in diesen Dienststellen die Lage sehe und sah. Ich hoffe – und
das wollte ich erreichen –, Sie haben zumindest das Gefühl der ehrlichen
Berichterstattung. Wie gesagt, ich kann mir nicht anmaßen, alles zu wissen –
das weiß auch keiner –, aber ich bin gern bereit, dann auch für Details noch
Rede und Antwort zu stehen. (Beifall)

Vorsitzender Rainer Eppelmann: Herzlichen Dank, Herr Raab! – Wir haben
jetzt noch eine Runde von Beiträgen von viermal 15 Minuten vorgesehen, in
der vier eingeladene Zeitzeuginnen und Zeitzeugen die Möglichkeit haben,
aus ihrer Optik, aus ihrer Erfahrung heraus etwas über die Lenkung der Justiz
aus der Sicht von Rechtsanwälten und über das Problem der Behinderung
anwaltlicher Tätigkeit zu sagen.

Ich bitte jetzt gleich alle zusammen, nach vorn zu kommen; dann geht das
nahtloser: Frau Rechtsanwältin Kögler aus Jena, Herrn Rechtsanwalt Gräf
aus Berlin, Herrn Rechtsanwalt Taeschner aus Freiberg in Sachsen und Herrn
Rechtsanwalt Wiedemann aus Zerbst.

Jeder der vier Zeitzeugen hat etwa 15 Minuten Zeit zur Verfügung, und wenn
die vier das Ihre gesagt haben, haben die Mitglieder und die vier Zeitzeugen
Gelegenheit, ihre Fragen zu stellen oder ihre Statements zu äußern.

Wir beginnen in der Reihenfolge, wie ich Sie aufgerufen habe; als erste also
Frau Rechtsanwältin Kögler aus Jena.

Brigitte Kögler: 15 Minuten sind natürlich eine etwas kurze Zeit, um einen
Überblick über die Situation der Anwaltschaft in der DDR zu geben.

Ich will damit beginnen, daß die Lenkung, wie heute schon gesagt wurde,
bereits während der Studienzeit begann. Ich habe 1969 Examen gemacht.
Es gab die Ausbildung in Halle, Leipzig, Berlin und Jena. Ich gehöre zu
den Jenenser Absolventen. In meinem Studienjahr machten 20 oder 21 das
Examen; genau weiß ich es nicht mehr. 21 Studenten eines Studienjahres!