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Wahlperiode 12, Band IV, Seiten 152 und 153
152
Protokoll der 40. Sitzung

mit geringem Wert angesammelt wurde. Dann wurde das eben auch addiert:
Steuerhinterziehung mit der Zielstellung der Vermögenseinziehung.

Wenn heute ein solcher Mann oder eine solche Frau mit diesem Fall
einen Kassationsantrag stellen – die meisten haben das getan –, werden sie
ablehnend beschieden, und zwar mit der Begründung, es sei ja kein politisches
Strafverfahren gewesen und falle nicht unter diese Regelung. Das heißt aber
nicht, daß das nicht so gelaufen ist; sondern ab Beginn der achtziger Jahre ist
ja die DDR mit Sicherheit dem ökonomischen Untergang entgegengegangen,
und die letzten Pfennige hat man auf diese Art und Weise eingesammelt,
indem man wohlhabende Bürger, also Handwerker usw., kriminalisierte, um
an das Vermögen, an das Geld heranzukommen.

Zur Rolle, die der Anwalt in dieser Zeit gespielt hat – ich habe ja diese
Vertretungen gemacht –: Es war dem Zufall überlassen, wenn man etwas retten
konnte. Kam ein Bürger, bevor der Steuerbescheid erlassen wurde, und hatte er
genügend Geld, um die Steuernachzahlungssumme, die in der Regel mehr als
100.000, 200.000 oder 300.000 Mark betrug, aufzubringen, dann konnte man
ihn vielleicht, wenigstens teilweise, retten. Ansonsten hatte man überhaupt
nicht die Möglichkeit, dahinterzusteigen, wie die Strukturen funktionierten.

Das sind Erkenntnisse, die ich heute habe. Ich kann dazu sagen: Ich habe
immer gewußt, daß es so läuft; aber beweisen konnte man es nicht. Man
hat also Flügelschläge im Interesse des Mandanten nach bestem Wissen und
Gewissen ausgeführt.

Ich habe sicher nicht mehr allzuviel Zeit. Es gäbe noch eine ganze Reihe von
Beispielen.

Vorsitzender Rainer Eppelmann: Eigentlich hast Du keine mehr. Aber Du
hast ja noch die Chance, daß Du ganz sicher gefragt werden wirst.

Brigitte Kögler: Ich belasse es erst einmal dabei, um nicht meinen anderen
Kollegen zuviel Zeit zu nehmen. (Beifall)

Vorsitzender Rainer Eppelmann: Herzlichen Dank! – Auf Brigitte Kögler
folgt Herr Rechtsanwalt Gräf aus Berlin.

Dieter Gräf: Ich muß als ehemaliger Anwalt in der DDR und als ehemaliger
Anwalt aus der Bundesrepublik Deutschland zu Ihnen sprechen. Ich bin zur
Zeit nicht mehr als Anwalt tätig. Das zur Richtigstellung. Um so besser meine
ich, kann ich auch aus den deutsch-deutschen Erfahrungen hier berichten.

Die Lenkung der Justiz aus der Sicht der Rechtsanwaltschaft: Man müßte
das Problem des Überstaates einmal sehen – auf der einen Seite die SED
und auf der anderen Seite das, was heute bisher noch nicht genannt worden
ist, aber aus der Sicht des Praktikers für mich sehr bedeutsam ist: dieser
eigentliche Staat, das MfS oder die „Herren vom goldenen Ohr“ oder wie man
sie auch immer bezeichnet – ich betreibe etwas Polemik –, dann dieser Keil
nach unten zum Ministerium für Justiz, dann wieder aufgefächert die gesamte

153
Lenkung der Justiz

Situation der Gerichte und des selbständigen und unabhängigen Organs der
Rechtsanwaltschaft.

Ich bin 1970 Anwalt geworden, als Parteiloser zugelassen worden. Wie
das passiert ist, kann ich heute auch sagen. Ich war als Justitiar für
eine Landwirtschaftsbank gelenkt, Syndikus würde man heute sagen. Aber
meine persönliche juristische Leidenschaft war die eines Anwalts in einem
Kollegium. Ein freier Anwalt, ein Einzelanwalt konnte man ja nicht werden,
aber Kollegiumsanwalt. Und dieses selbständige und unabhängige Organ der
Rechtsanwaltschaft war ja bereits nach 1945 so noch angesprochen, nach 1953
noch so erwähnt, und nach 1961, nach dem Rechtspflegeerlaß, wurde es eine
gesellschaftliche Einrichtung der Rechtspflege. Auch das hat für die Lenkung
der Justiz aus der Sicht der Anwaltschaft eine große Bedeutung. Denn was
war die Anwaltschaft?

Die Zahl von 600 Anwälten wurde hier schon genannt. Es war also eine
„wunderbare“ Tätigkeit. Es gab keine Zulassungsbeschränkung für einen
bestimmten Ort, wie in der Bundesrepublik Deutschland, keine Bindung an
ein Landgericht oder eine Simultanzulassung an einem anderen Landgericht.
Der Anwalt in der DDR konnte überall auftreten.

Konnte er das wirklich? Er war in allen Rechtsangelegenheiten tätig; er sollte
Strafverteidigung übernehmen; er sollte in Familien–, Arbeits- und Zivilrechts-
sachen wie auch – ein Sonderpunkt – im Wirtschaftsrecht betreuerisch tätig
werden.

Wie war dann tatsächlich die Praxis dieser gesellschaftlichen Organe, der
gesellschaftlichen Einrichtungen der Rechtspflege, dieser Anwaltschaft, oder,
polemisch gesagt, dieses demokratischen Deckmäntelchens der Anwaltschaft?
Der Einfluß der SED war stark.

Ich habe hier erst von einem Novum erfahren, das ich bisher noch nicht wußte.
Frau Kögler hat darüber berichtet: Sie war vom Parteilehrjahr ausgeschlossen.
Ich als Parteiloser mußte, da ich dem Erfurter Kollegium der Rechtsanwälte
angehörte, an diesem Parteilehrjahr der SED teilnehmen. Sie sehen, daß doch
eine gewisse Unabhängigkeit vorhanden war. Auch das erlebt man noch drei
Jahre nach der Wende im Abgleich der einzelnen Positionen.

Aber es ist auch sehr traurig, wenn man feststellt, daß man selbst beim
Nichteintritt in die Gesellschaft für deutsch-sowjetische Freundschaft – bei
mir ein Kernproblem – bis hoch in das Ministerium geprüft hat, ob dieser
Mann, der unsere deutsch-sowjetische Freundschaft nicht als Mitglied stützen
wollte – 1980 oder später wäre das sicher anders gewesen –, überhaupt noch
sozialistischer Jurist sein kann. Ich hatte persönliche Gründe, damals nicht in
die Gesellschaft für deutsch-sowjetische Freundschaft einzutreten; später bin
ich dann eingetreten.

Ich habe damals ein verantwortungsvolles Gespräch mit hohen Kirchenleuten