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zu integrieren. Aber es gab, wie gesagt, keine große Krise mehr. Die
Sowjetunion hatte kein Interesse mehr daran, weil sich die Notwendigkeit,
zum Westen Wirtschaftsbeziehungen anzuknüpfen und wirtschaftliche Hilfe
vom Westen zu erhalten, immer mehr in den Vordergrund schob und weil
die Sowjetunion ganz generell ein Interesse an Entspannungspolitik hatte. Das
heißt, die Sowjetunion wollte sich selber als entspannungsfreundlich zeigen.
Für die Sowjetunion war es z. B. während der Nachrüstungsdebatte Anfang
der 80er Jahre relativ wichtig, daß sie sich entspannungsfreundlich zeigte.
Aus all diesen Gründen bestand kein Interesse daran, es noch einmal zu einer
großen Krise in Berlin kommen zu lassen. Vielen Dank. (Beifall)
Gesprächsleiterin Dr. Dorothee Wilms (CDU/CSU): Herr Professor Mahn-
cke, vielen Dank. Sie haben es verstanden, uns die Fülle des Materials
so auszubreiten, daß Sie ein paar kritische, wichtige und auch historisch
bedeutsame Punkte herausgegriffen haben. Das Manuskript, das Sie uns zur
Verfügung gestellt haben, ist sehr umfangreich. Wir werden das alles im Detail
nachlesen können.
Ich fand es sehr interessant, daß Sie deutlich gemacht haben, daß Sie selber
Änderungen Ihrer Einschätzungen vorgenommen haben. Das finde ich gut, und
das ist auch gerade für uns in der Enquete-Kommission sehr wichtig. Denn
wir wollen ja aus den neuen Aktenfunden lernen, neue Erkenntnisse erfahren.
Daher soll nicht nur das wiedergegeben werden, was über viele Jahrzehnte
Allgemeingut gewesen ist.
Sie haben kritisch angemerkt, daß die Bundesregierung seinerzeit nicht
militärisch eingegriffen hat und daß dies bei der Berlin-Krise auch die
Alliierten nicht getan haben. Ich würde sagen: Gut, daß das nicht gemacht
worden ist.
Sie haben allerdings nicht erwähnt – das darf ich hier erwähnen –, daß alle
Bundesregierungen über die Jahrzehnte hinweg große finanzielle und wirt-
schaftliche Hilfen an West-Berlin gegeben haben und daß dies für West-Berlin
– neben dem politischen und dem rechtlichen Status – die Lebensader gewesen
ist. Das muß man hier noch einmal erwähnen. Vielleicht kommt es auch gleich
in ergänzenden Bemerkungen noch zum Ausdruck.
Prof. Dr. Dieter Mahncke: Ich darf dazu noch ein Wort sagen. Ich habe keine
kritische Anmerkung in dem Sinne gemacht, daß ich etwa kritisiert hätte,
daß die Bundesregierung 1961 militärisch nichts getan habe. Ich habe nur
gesagt: Es war zwar in der Bevölkerung sehr viel Kritik an den Amerikanern
vorhanden. Aber die Amerikaner haben diese Kritik, wie Birrenbach in seinen
Erinnerungen sagt, nicht so richtig verstanden, weil sie gesagt haben: Erstens
engagieren wir uns doch für das, wofür wir uns verpflichtet haben; zweitens:
was tut ihr denn? – Ich fand es schon richtig, wie sich die Bundesregierung
verhalten hat, und auch für die Alliierten kam aus den in meinem Gutachten
zitierten Gründen ein militärisches Eingreifen nicht in Frage. Weder Adenauer
noch Brandt, noch irgend jemand anderes hat damals gefordert, daß der Westen
militärisch etwas unternehmen soll. Ich habe auch begründet, warum das so
war.
Ich stimme Ihnen völlig zu, daß die Bundesregierung in all den Jahren ganz
erhebliche Wirtschaftsleistungen erbracht hat, die für Berlin ganz wichtig
waren.
Gesprächsleiterin Dr. Dorothee Wilms (CDU/CSU): Noch einmal vielen
Dank für die Betonung dieses Punktes.
Herr Professor Mahncke, Sie werden am Ende der Vormittagsveranstaltung
noch einmal Gelegenheit haben, auf Anmerkungen oder Fragen der Kollegen
einzugehen.
Ich möchte jetzt gern Herrn Dr. Stefan Wolle nach vorn bitten. Herr Dr.
Wolle ist von der Humboldt-Universität. Wir haben ihn gebeten, heute morgen
zu uns zu sprechen, weil er sozusagen von der anderen Seite des Eisernen
Vorhangs bzw. der Mauer die Dinge beleuchten kann. Herr Wolle ist Bürger
der ehemaligen „Hauptstadt der DDR“, wie es so schön hieß.
Er hat neuere Aktenfunde. Wir sind sehr gespannt, was Sie, Herr Wolle, von
der anderen Seite der Mauer uns zu dem Thema zu berichten haben.
Dr. Stefan Wolle: Meine Damen und Herren! Ich möchte mich in meinen
Ausführungen nicht nur auf die andere Seite der Mauer begeben, sondern vor
allem von den Höhen der großen Politik hinabsteigen in die Niederungen
der Alltagsgeschichte und der Mentalitätsgeschichte. Das ist auch meine
ausgewiesene Aufgabe für meinen Vortrag in diesem Kreis.
Regelrechte Forschungen zu dem Thema gibt es vorläufig nur sehr punktuell,
beispielsweise über die Zeit im Vorfeld des 13. August 1961. Zu dieser
Thematik ist eine Menge in dem Buch nachzulesen, das ich zusammen mit
Armin Mitter geschrieben habe: „Untergang auf Raten“. In dem Buch wird
die Krise von 1961 nicht als eine Berliner Angelegenheit begriffen, sondern
als eine gesamtgesellschaftliche Krise der DDR und vor allem als eine Krise
von unten, vom Bewußtsein der Menschen her.
Zur Gesamtthematik gibt es, wie gesagt, noch keine übergreifende Forschung.
Ich möchte mich deswegen auf einige sehr unakademische und unwissen-
schaftliche Bemerkungen beschränken.
In den 50er Jahren sangen die Schöneberger Sängerknaben:
„Pack die Badehose ein.
Nimm dein kleines Schwesterlin.
Und dann geht es raus zum Wannsee.“
Das Lied wurde zum systemübergreifenden Ohrwurm und offenbar auch im
Osten so populär, daß man meinte, nicht darauf verzichten zu können.
Allerdings wurde „Wannsee“ durch „Strandbad“ ersetzt. Für alle Nichtberliner