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konnte man einige Klänge des Rockkonzerts hören. An diesem Abend hatte
David Bowie gesungen. Mir persönlich sagt das nichts, aber ich habe mich
bei meiner ältesten Tochter erkundigt; die kennt den.
Die Polizei verlor an diesem Abend die Nerven und trieb einige Tausend
Jugendliche unter Schlagstockeinsatz die Linden hinunter. An diesem Abend
wurde zum erstenmal im Sprechchor gerufen: „Die Mauer muß weg!“
Der Satz von Willy Brandt im August 1961, der damals durch einen Schlager
wieder populär geworden war, erschütterte in dieser Nacht die Existenz der
Mauer. Jedenfalls zeigten sich im Beton der Mauer erste Risse.
Am folgenden Abend, als die Vorfälle durch Rundfunk und Fernsehen
bekanntgeworden waren, befanden sich auf der einen Seite sehr viele
Menschen. Es war eine sehr politische Zusammenkunft; fast hätte ich gesagt:
Zusammenrottung. Es waren jedenfalls viele Menschen an diesen Anlagen
zusammengekommen. Auf der anderen Seite waren die Sicherheitskräfte
besser vorbereitet und hatten schon einige hundert Meter vor den Sperranlagen
Absperrketten aufgezogen. Im Hintergrund standen Mannschaftswagen und
Wasserwerfer.
Wieder trug der Wind nur einige Klangfetzen über die Mauer. Erst im
Schutz der Dunkelheit eskalierte die bis dahin eher lauernde und abwartende
Situation. Wieder wurde gerufen: „Die Mauer muß weg!“ Und es wurde –
auch das ist eine kulturgeschichtliche Kuriosität – die Internationale gesungen,
mit provokativer Betonung der Textzeile „Die Internationale erkämpft das
Menschenrecht“.
Seltsamerweise wurde von den jungen Leuten, die da zusammengekommen
waren, „Spaniens Himmel“ gesungen: „Die Heimat ist weit, und wir sind
bereit, zu kämpfen und sterben für dich, für unsere Heimat“. Dabei wiesen
die jungen Leute über die Mauer und riefen den Polizisten zu: Drüben ist
unsere Heimat. – Gemeint war nicht Spaniens Himmel, sondern der geteilte
Himmel über Berlin.
Die westliche Berichterstattung und auch das Buch „Deutschland im Juni“
von Gaus lagen vollkommen neben der Realität. Sie begriffen nicht die
Brisanz der Situation. Es wurde klar, daß jedesmal mehr kommen würden.
Das wiederholte sich auch rund ein Jahr später, wenn an der Mauer – so wird
es genannt – „Bambule“ sein würde. Eine Art Wetterleuchten hatte blitzartig
die Unhaltbarkeit der Situation beleuchtet.
Wolf Biermann hatte einst gesungen: „Die DDR auf Dauer braucht weder
Knast noch Mauer“. Genau dies sollte sich als Irrtum herausstellen. Die Mauer
war das Korsett, das diesen Staat notdürftig zusammengehalten hatte. Als sie
fiel, war das Ende der DDR gekommen.
Es ist ganz bestimmt so gewesen, daß der Anteil der Sachsen und Thüringer am
Ende der DDR größer war als der der Berliner. Der historische Wendepunkt der
Entwicklung war ganz sicher der 9. Oktober in Leipzig, nicht der 9. November
in Berlin.
Das Medienereignis, das international das Ende des SED-Systems signalisierte,
war aber der Fall der Mauer am 9. November 1989. Hier wird wieder
deutlich, daß sich die Absurdität der geteilten Stadt in der für jedermann
sichtbaren Sperranlage und damit die ganze Problematik der deutschen Teilung
gewissermaßen fokussierte. Die Mauer war nicht die Teilung, aber sie war
das für alle sichtbare internationale Symbol der Teilung. Nirgendwo war die
deutsche Teilung sichtbarer.
Die geteilte Stadt war eine permanente Herausforderung des SED-Staates vom
ersten bis zum letzten Tag ihrer Existenz. Diese geteilte Stadt war die täglich
präsente Antithese, die steingewordene Absurdität. So wurde die Mauer zum
Monument der deutschen Einheit schon vor ihrem Fall.
Ich danke Ihnen. (Beifall)
Gesprächsleiterin Dr. Dorothee Wilms (CDU/CSU): Herr Dr. Wolle,
Ihnen ganz herzlichen Dank! Ich finde, Sie haben mit Ihren einleitenden
Bemerkungen untertrieben. Denn es ist Ihnen durch Ihre Beispiele und Ihre
Schilderungen gelungen, uns wohl alle in die damalige Zeit zurückzuversetzen.
Das ist etwas ganz Wichtiges: daß wir Nichts vergessen, und zwar auch
emotional nichts vergessen. – Deshalb ganz herzlichen Dank!
Sie haben eine Formulierung geprägt, die ich mir aufgeschrieben habe: Man
wollte der Abnormität den Schein der Normalität verleihen. Aber das ist
nicht gelungen. Sie haben an vielen, vielen Beispielen dargestellt, was diese
Abnormität bedeutete.
Ich nehme an, daß gleich der eine oder andere Diskussionsbeitrag auf diese
Dinge noch einmal eingehen wird.
Meine Damen und Herren, wir kommen jetzt zu den ergänzenden Kurzre-
feraten aus dem Kreise der Enquete-Kommission. Es beginnt Herr Kollege
Bundestagsabgeordneter Professor Dr. Soell. Es folgen die Sachverständigen
unserer Enquete-Kommission Professor Dr. Wilke und Dr. Mitter. – Herr Soell,
Sie haben jetzt das Wort.
Abg. Prof. Dr. Soell (SPD): Ich möchte mit einer Bemerkung beginnen,
in der ich die erste Berlin-Krise, also die Blockade 1948/49, mit der
zweiten Berlin-Krise vergleiche. Während die erste Berlin-Krise insbesondere
durch die Luftbrücke ein enormer politischpsychologischer Erfolg für die
westlichen Demokratien insgesamt war, insbesondere für die West-Berliner,
und auch das Verhalten der West-Berliner auf die westeuropäische und
die amerikanische öffentliche Meinung entsprechend wirkte – auch für
die Westzonen im Zuge ihrer Weststaatsgründung und schließlich auch im
Hinblick auf das sich wandelnde Meinungsbild über Deutschland bei den
Westalliierten –, war der Mauerbau für die West-Berliner und langfristig auch