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Wahlperiode 12, Band VI/1, Seiten 24 und 25
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Protokoll der 56. Sitzung

cherheitsdienst eingelassen haben. Sofern sie ihre geheimen Kontakte nicht
aus Opportunismus oder um eigener Vorteile willen gepflegt haben, sind sie
eher das Opfer einer Kirchenleitungspraxis, die sich emanzipierte von der
theologischen Reflexion an dieser Stelle.

Das Problem kirchlicher Sicherheitskontakte war deren Personalisierung, ja
Privatisierung.

Die evangelische Kirche hat das Zwielicht, in das durch das mehr oder weniger
oder gar nicht nachvollziehbare Agieren einzelner kirchenleitender Personen
nun die ganze Kirche geraten ist, mutig und ohne Larmoyanz aufzuklären.
Dazu gehört allerdings, alle Quellen zur Geltung zu bringen, also zum Beispiel
auch die Akten über die Operativvorgänge, die Personen betreffen, über die
zugleich IM-Akten vorliegen. Nur dann kann es zu angemessener Beurteilung
des Verhaltens einzelner Personen kommen. Und dazu gehört ebenfalls
eine Hermeneutik der Quellen, die den unterschiedlichen Wahrheitswert der
Akten zu reflektieren hat. Es gibt genug Hinweise darauf, daß auch der
Staatssicherheitsdienst ein Unternehmen war, das Erfolg melden mußte und
deshalb Mißerfolge gern umdefinierte. Vollzieht die Kirche vorbehaltlos solche
Aufklärungen im Lichte des Evangeliums, dann wird mit ihren Schwächen
ganz von selbst auch ihre eigentliche Stärke offenbar. Halten wir fest, meine
Damen und Herren: Die evangelische Kirche war auch im Sozialismus ein Ort,
an dem man die Wahrheit sagen konnte. Weil sie dem Terror der Lüge, mit dem
die sozialistische Diktatur ihren Totalitätsanspruch durchzusetzen versuchte,
trotz aller unverkennbaren Schwächeanfälle und Aporien immer wieder
den Mut zur Wahrheit entgegengesetzt hat, kann von einer sozialistischen
Gleichschaltung oder auch nur Anpassung der Kirche keine Rede sein. Gewiß,
es gab bedenkliche, ja verwerfliche Kooperationen kirchlicher Funktionäre mit
dem Staatssicherheitsdienst. Es gab aber keine babylonische Gefangenschaft
der Kirche im Sozialismus. Die Bindung an die befreiende Wahrheit des
Evangeliums war stärker, Gott sei Dank! (Beifall)

Vorsitzender Rainer Eppelmann: Wir danken Herrn Professor Jüngel und
haben noch ein paar Minuten Zeit, um an den Referenten Fragen zu stellen.
Die erste Frage stellt Herr Kollege Müller.

Abg. Dr. Müller (CDU/CSU): Herr Prof. Jüngel, ich habe drei Fragen, wozu
ich eine Ergänzung haben möchte:

1. Ich hatte Probleme mit Ihrer Darstellung, daß man nach den Erfahrungen
des Dritten Reiches mit dem Begriff „Kirche im Sozialismus“ durchaus
einen Schritt auf die sozialistische/kommunistische Bewegung zu machte.
Wie konnte man das theologisch verarbeiten? Die SED war ja keine Partei,
die die Kirche duldete oder nicht duldete oder nicht zur Kenntnis nahm.
Sie war eine Partei, die militant atheistisch in ihrer Ideologie war, also von
vornherein ein Gegner jeglicher Kirche sein mußte.

2. Weiter würde mich interessieren: Sie sagen in Ihrer These 1.6: Die

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Haltung der evang. Kirchen zum SED-Staat

zunehmende Privilegierung der Kirche im Sozialismus durch die Ökumene
spielte eine Rolle. Gibt es hier Erkenntnisse über ein Zusammenspiel,
auch über die Grenzen der DDR hinaus, mit sozialistischen Ländern, wo
es – denken Sie an Prag, Christliche Friedenskonferenz und so weiter –
auch von anderen kommunistischen Staatssicherheitsdiensten inspirierte
und geleitete Agenten innerhalb des kirchlichen Netzwerkes gab? Gibt es
hier ein Zusammenspiel von Ost nach West? Gab es auch in den westlichen
Kirchen Leute, die über den Staatssicherheitsdienst, andere Einrichtungen,
auch aus anderen Ländern, ein gemeinsames Ziel verfolgten, sich sozusagen
die Bälle zuspielten?

3. Sie sprachen davon, daß eine staatliche Besoldung immer abgelehnt
wurde. Sie haben zugleich erwähnt, daß die Finanzierung aus der alten
Bundesrepublik auch über die verschiedenen Kirchengeschäfte – da haben
wir gerade einiges in den Zeitungen gelesen – gelaufen ist. Wie war das
eigentlich nach dem 9. November 1989? Nach meiner Information liefen
solche Geschäfte noch im Frühjahr 1990. Es wurden insgesamt 90 Mio.
DM damals bezahlt. Wie konnte man das erklären, wie konnte man das
begründen, nachdem eine ganz andere Situation entstanden war? Mich
würde in dem Zusammenhang auch interessieren, inwieweit – und Sie
haben es ja selbst erwähnt – Kreise in der Bundesrepublik (alt), vor allem
innerhalb der Kirche, daran mitwirkten, die Rolle derjenigen in der Kirche
der DDR zu konterkarieren, die bereit waren, ihre Kirchen gegenüber
Widerstandsgruppen usw. zu öffnen. Konkret gesagt: Gab es Leute in den
westlichen Kirchen, in der Bundesrepublik (alt), die hier eher bereit waren,
im Sinne des Staatssicherheitsdienstes auf die evangelische Kirche in der
DDR (alt) einzuwirken, die Kirchen nicht gegenüber Widerstandsgruppen
zu öffnen?

Vorsitzender Rainer Eppelmann: Danke. Ich habe im Augenblick neun
Fragensteller auf meiner Liste. Ich bitte darum, daß jeder einzelne Fragende
versucht, in drei Minuten seine Fragen abgeschlossen zu haben. Herr Professor
Weber bitte.

Sv. Prof. Dr. Hermann Weber: Ich habe zwei Fragen: Ist nach Ihrer
Einschätzung die Haltung der Kirche oder die Distanz der Kirche zum
SED-Staat stärker beeinflußt gewesen von der Tatsache, daß wir es mit einem
atheistischen Staat zu tun hatten oder von der Tatsache, daß es eine politische
Diktatur war? Ist da in den verschiedenen Phasen, die Sie aufgezeigt haben,
auch eine unterschiedliche Einschätzung möglich?

Die zweite Frage: Sie haben in Ihrer These 6.4. das Thema „real existierender
Sozialismus“ oder „Legitimation eines demokratischen Sozialismus“ genannt.
Ohne der heute abend stattfindenden Diskussion vorgreifen zu wollen, würde
mich interessieren, ob an der Spitze der Kirche diese Unterschiede überhaupt