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Wahlperiode 12, Band VI/1, Seiten 116 und 117
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Protokoll der 56. Sitzung

die Kirche sprechen? Kirchen haben ja viele Ebenen: Die Kirchenleitungen,
die Verwaltung, ihre Werke und Einrichtungen, Gemeinden, Gruppen und
Einzelpersonen. Aber sie waren nicht alle gleich in Abhängigkeit geraten.
Nach meinem subjektiven Urteil sehe ich aber in den OV- und OPK-
Akten etwas von dem, was verdient, Kirche genannt zu werden. In den
einschlägigen IM-Akten lese ich von den ungeheuerlichen Beschädigungen,
die die Kirche erfahren hat. Zu den Beschädigungen gehört auch der
ungeheuere Substanzverlust, der Mitgliederschwund, der Ausdruck eines
gebrochenen Willens zur Selbstbehauptung war. Vielen Dank. (Beifall)

Gesprächsleiter Karl Wilhelm Fricke: Ich danke Ihnen, Herr Neubert, für
Ihr Referat. Der Beifall hat Ihnen gezeigt, wie dankbar Ihre hochinformativen
Ausführungen aufgenommen wurden. Sie haben, indem Sie einige Skurrilitä-
ten in der operativen Arbeit der Staatssicherheit zur Sprache brachten, gezeigt,
wie schnell die Banalität der Stasimacht ins Lächerliche umkippen konnte.
Sie verlor darüber dennoch niemals ihren Schrecken. Ich darf nun Herrn Dr.
Vollnhals aufrufen zu seiner Fallstudie „Die Stasi-Akte Gerhard Lotz“.

Dr. Clemens Vollnhals: Herzlichen Dank. Nun eine Fallstudie, das heißt,
das Thema in kleiner Münze. Ich berichte über Gerhard Lotz, sein Wirken,
soweit es aus der Aktenlage erkenntlich ist. Hierbei beziehe ich mich
nicht ausschließlich auf die MfS-Akte, sondern auch auf Akten der SED,
der Arbeitsgruppe für Kirchenfragen des Rates des Bezirkes und andere
erreichbare Quellen. In der gebotenen Kürze werde ich vieles auslassen müssen
und auf einige Punkte, die mir wesentlich erscheinen, hindeuten. Eine etwas
längere Fassung wird im Anschluß an das Referat verteilt werden.

Gerhard Lotz, 1911 in Altenburg geboren, trat bereits 1938 als Assessor in
den Dienst des Landeskirchenamtes der Evangelisch-Lutherischen Kirche in
Thüringen. 1942 wurde er zum Kirchenrechtsrat befördert; und obgleich an
einer Hochburg der radikalen Deutschen Christen angestellt, gehörte Lotz aus
Überzeugung keiner NS-Organisation an. Nach der Rückkehr aus Kriegsdienst
und Gefangenschaft war er bis zu seinem Ruhestand 1976 als Oberkirchenrat
und Leiter des Landeskirchenamtes tätig. Ab 1948 amtierte er auch als
Stellvertreter des Landesbischofs in weltlichen Angelegenheiten. Weiterhin
gehörte Lotz von 1956 bis 1976 dem Hauptvorstand der CDU an. Im selben
Jahr wurde er in das Präsidium des Weltfriedensrates berufen. Wenig später
wirkte er als Vizepräsident des Friedenrates der DDR. Von 1968 bis zu seinem
Ruhestand war er als Volkskammerabgeordneter für die CDU tätig. Erste
Hinweise, daß Lotz enge Verbindung zum MfS hielt, gab es seit Anfang der
sechziger Jahre. Das ganze Ausmaß der gemeinschaftszersetzenden Tätigkeit
wurde jedoch der Öffentlichkeit erst im Juni letzten Jahres bekannt, als der
„Spiegel“ einen langen Bericht aus der Akte publizierte.

Die Anwerbung von Gerhard Lotz als „Geheimer Mitarbeiter“ – das ist eine
Vorläuferbezeichnung des IMB, sozusagen des Adels unter den inoffiziellen

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Haltung der evang. Kirchen zum SED-Staat

Mitarbeitern – fand im Laufe einer vierstündigen Unterredung mit Franz
Sgraja, der damals Referatsleiter im MfS für die evangelische Kirche
war, am 21. März 1955 statt. Von einer schriftlichen Verpflichtung wurde
ausdrücklich abgesehen, was nach den MfS-Richtlinien bei hochgestellten
Personen, vor allem bei kirchlichen Würdenträgern, zulässig war. Lotz
erklärte sich zur konspirativen Zusammenarbeit bereit und charakterisierte
bereits beim zweiten Treffen „kirchliche Würdenträger, die die Möglichkeit
einer Anwerbung bieten“, so der Bericht Sgrajas. Auch nach Kenntnis
zahlreicher IM-Akten stellt diese sofortige bedingungslose Zusammenarbeit
einen außergewöhnlichen Vorgang dar. Die Zusammenarbeit mit dem MfS
erfolgte vornehmlich auf der Basis politischer Überzeugung. Lotz hatte sich
frühzeitig auf lokaler und überregionaler Ebene in der SED-gesteuerten
Volkskongreß- bzw. der späteren sogenannten Friedensbewegung engagiert,
was ihm bald in kirchlichen Kreisen den Spitznamen „der rote Lotz“ eintrug.
Auch die Arbeitsgruppe für Kirchenfragen beim ZK der SED beurteilte
sein politisches Engagement sehr positiv und ließ beispielsweise im Februar
1955 einen Rundfunkkommentar, in dem sich Lotz scharf gegen die Pariser
Verträge ausgesprochen hatte, an alle SED-Bezirksleitungen verteilen mit der
Maßgabe, das doch in der propagandistischen Arbeit mit Kirchenvertretern
zu benutzen. Ich übergehe hier nun einen längeren Abschnitt, der den
Anwerbungsvorgang detalliert schildert, werde auch nachher Passagen zur
konspirativen Zusammenarbeit mit dem MfS, zur Überlieferung der Akte,
ihres Umfangs, Archivierung und dergleichen übergehen. Sie können das bei
Interesse nachlesen.

Oberkirchenrat Lotz lieferte dem MfS alle gewünschten Informationen, so-
weit die Beschaffung in seiner Macht stand. Er übermittelte von Anfang an
personalpolitische Interna jeglicher Art, erteilte aus kirchlichen Personalakten
Auskünfte über NS-belastete Pfarrer und Oberkirchenräte, ermittelte im Auf-
trag seines Führungsoffiziers, ob der Bischof Frauenbekanntschaften unter-
halte. Er übergab dienstliche Schreiben, Protokolle von Bischofskonferenzen,
Ratstagungen der EKD oder Referentenbesprechungen, Haushaltspläne und
Statistiken, oder teilte deren Inhalt mit. Franz Sgraja, der gleichzeitig den
Dresdner Kirchenjuristen Konrad Müller – IM Konrad – und den Greifswalder
Kirchenjuristen Dr. Hans-Joachim Weber – IM Bastler – führte, schätzte den
Wert der von Lotz übermittelten Informationen als sehr hoch ein, „da durch ihn
Informationen dem MfS zugänglich waren, die bisher von keiner anderen Seite
gebracht wurden“. Lotz berichtete nicht nur über kirchenpolitische Interna.
Er nahm auch persönlich an einer Aktion zur heimlichen Durchsuchung des
Arbeitszimmers von Bischof Mitzenheim teil. Er unterstützte den Staatssicher-
heitsdienst bei der Ermittlung jener Personen, die als Kuriere und Geldboten
die Verbindungen zwischen Ost- und Westdeutschland aufrechterhielten und
damit nicht selten ein großes persönliches Risiko eingingen. Für seine Verdien-