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Wahlperiode 12, Band VI/1, Seiten 136 und 137
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Protokoll der 56. Sitzung

als jemand, der auf der letzten EKD-Synode in Suhl 1992 ein Referat über
„Kirche im geteilten Deutschland“ gehalten und dort wichtige inhaltliche Sätze
formuliert hat zum Begriff „Kirche im Sozialismus“, einen davon werde ich
nachher zitieren.

Ganz außen sitzt Herr Prof. Gerhard Besier. Er ist der einzige in unserer
Runde, der kein gelernter DDR-Bürger ist, sondern jemand, der aus den
alten Bundesländern kommt mit einer hohen Kompetenz, mit einer großen
Sachkenntnis. Er hat zwei Bücher geschrieben, die in unseren Landen
zumindest nicht ganz unumstritten gewesen sind. Das eine hieß „Pfarrer,
Christen und Katholiken“, das war ein Ausspruch von Mielke, den er zur
Klassifizierung der Kirche zitiert hat, und das andere ist „Der SED-Staat und
die Kirche: Der Weg in die Anpassung“. Er vertritt eine These, die für unser
Gespräch heute abend ausgesprochen wichtig ist.

Zur linken Seite sitzen noch Herr Prof. Beintker und Ehrhart Neubert,
theoretisch sollte auch noch Herr Dr. Hamel hier sitzen. Frau Schmoll, wir
wollten Sie ein bißchen abseits setzen, weil Sie heute schon ganz viel geredet
haben. Wir haben gedacht, wenn wir eine Podiumsdiskussion durchführen,
dann diskutieren wir erst einmal mit denen, die extra zum Podium gekommen
sind. Wenn Sie aber jetzt noch wichtige Einwände haben und sagen: „Das
wollte ich immer schon einmal gesagt haben“ oder „Dazu muß ich mich jetzt
melden, sonst komme ich hier nicht heil aus dem Saal“, dann kriegen Sie
natürlich auch das Wort. Die Struktur des Abends ist so gedacht, daß wir bis
22.00 Uhr, das ist so der Terminus ad quem, also der letzte Zeitpunkt, aus
diesem Saal gehen wollen. Wir wollen zunächst zwei kurze Statements hören
von Bruder Steinlein und Bruder Leich, und dann diskutieren wir hier vorn,
so denke ich jedenfalls, eine Stunde hoffentlich kontrovers. Dann möchte
ich gern, daß das Gespräch überschwappt auf Sie als die Mitglieder der
Enquetekommission, und Sie dann Fragen stellen oder etwas unterstreichen
oder sagen: „Das wollte ich immer schon mal sagen.“ Bruder Leich, darf ich
Sie bitten?

Landesbischof em. Dr. Werner Leich D.D.: Auch bei mir werden Sie eine
leichte Veränderung bemerken, ich spreche von Erfahrungen mit der Formel
„Kirche im Sozialismus“.

  1. Worum es ging: Im Jahr 1988 zeigte mir Prof. Roberts Feldmanis die
    Sehenswürdigkeiten seiner geliebten Stadt Riga. Feldmanis gehörte zu
    den Trägern des Widerstandes gegen die sowjetische Kirchenpolitik. Wir
    sprachen über die Lage unserer Kirchen. Plötzlich blieb mein Begleiter
    stehen, sichtlich erregt sagte er: „Bruder Leich, die im Westen wissen
    doch gar nicht, worum es bei uns geht. Hier tobt der Kampf um die
    Seele unseres Volkes.“ An diese Worte muß ich denken, wenn mir die
    Aufarbeitung der DDR-Vergangenheit begegnet. Wie selbstverständlich
    werden die geläufigen Maßstäbe politischen Denkens angelegt. Als ob die
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Haltung der evang. Kirchen zum SED-Staat
  1. Bürger der DDR lediglich in einem anderen politischen System gelebt
    hätten. Wir begegneten einem Herrschaftsanspruch, der die Seelen der
    Menschen ergreifen und gefügig machen wollte. Freiwillig und aus eigener
    Überzeugung sollten sich die Bürger vom Kleinkind bis zum Greis selbst
    aufgeben und nur noch denken, fühlen und wollen, was die staatlich
    verordnete Weltanschauung vorgab. Mit dieser Situation hat auch die
    Formel „Kirche im Sozialismus“ zu tun. Sie steht für den Versuch, in
    einer extremen Situation durchzuhalten und Volkskirche zu bleiben.
  2. Entstehung der Formel „Kirche im Sozialismus“: Die Worte Kirche im So-
    zialismus wurden fast zufällig zusammengefügt. Hans Seigewasser, Staats-
    sekretär für Kirchenfragen, zog im Februar 1969 nach der Verabschiedung
    der neuen Verfassung der DDR Schlußfolgerungen für die Zukunft der
    Kirchen. Die Verantwortlichen könnten dem geistlichen Auftrag der Kirche
    im Sozialismus nur gerecht werden, so sagte er, wenn sie die humani-
    täre Staatspolitik der DDR nicht negierten. Die Redewendung, damals
    noch ohne terminologischen Anspruch gebraucht, wurde in Gesprächen
    aufgegriffen und entwickelte sich so zu der Formel „Kirche im Sozialis-
    mus“.
  3. Die Eigenart der Formel: Die Zusammenstellung jener drei Worte ist von
    den evangelischen Kirchen nie im Sinne eines Begriffes gebraucht worden.
    Von einem Begriff ist zu erwarten, daß er das Wesentliche gegenüber dem
    Zufälligen hervorhebt. Die Formel „Kirche im Sozialismus“ blieb immer
    verschwommen. Nie wurde definiert, was „Kirche“ oder „Sozialismus“
    in ihr bedeuten. Unter Sozialismus zum Beispiel verstand ein Teil der
    Kirchenleute einfach die gegebene Gesellschaftsform, ein anderer Teil
    verband damit eine positive Wertung im Sinne der Möglichkeit einer
    gerechteren Form des Zusammenlebens. Durch den „Aufruf für unser
    Land“ mit kirchenleitenden Persönlichkeiten unter den Erstunterzeichnern
    wurde dies noch einmal deutlich unterstrichen. Die Formel mußte auch
    für gegensätzliche Zielvorstellungen herhalten. Staat und Partei verstanden
    sie als Integrationsformel: Die Kirche ist ein Bestandteil des Sozialismus,
    wie die Wohnung im Haus Bestandteil einer größeren Einheit ist. Der
    zufällige Initiator der Formel hatte ja auch beabsichtigt, die Kirchen zur
    Anerkennung der humanitären Staatspolitik der DDR zu ermahnen. Der
    Bund der Evangelischen Kirchen sah in dem mißverständlichen Wortspiel
    eine Kurzformel, die nahezu von jeder Tagung der Bundessynode neu und
    gegenwartsbezogen ausgelegt wurde. 1973 erklärte die Synode in Schwerin:
    „Wir wollen nicht Kirche neben, nicht gegen, sondern im Sozialismus sein.“
    Nicht ein einziges Mal taucht die Formulierung „für den Sozialismus“
    auf. 1979 betonte die Synode in Dessau: „Wir dürfen glauben, daß auch
    die sozialistische Gesellschaft unseres Landes unter unserem Herrn Jesus
    Christus steht. Hier ist unser Auftragsfeld und unsere Dienstchance.“ In