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als jemand, der auf der letzten EKD-Synode in Suhl 1992 ein Referat über
„Kirche im geteilten Deutschland“ gehalten und dort wichtige inhaltliche Sätze
formuliert hat zum Begriff „Kirche im Sozialismus“, einen davon werde ich
nachher zitieren.
Ganz außen sitzt Herr Prof. Gerhard Besier. Er ist der einzige in unserer
Runde, der kein gelernter DDR-Bürger ist, sondern jemand, der aus den
alten Bundesländern kommt mit einer hohen Kompetenz, mit einer großen
Sachkenntnis. Er hat zwei Bücher geschrieben, die in unseren Landen
zumindest nicht ganz unumstritten gewesen sind. Das eine hieß „Pfarrer,
Christen und Katholiken“, das war ein Ausspruch von Mielke, den er zur
Klassifizierung der Kirche zitiert hat, und das andere ist „Der SED-Staat und
die Kirche: Der Weg in die Anpassung“. Er vertritt eine These, die für unser
Gespräch heute abend ausgesprochen wichtig ist.
Zur linken Seite sitzen noch Herr Prof. Beintker und Ehrhart Neubert,
theoretisch sollte auch noch Herr Dr. Hamel hier sitzen. Frau Schmoll, wir
wollten Sie ein bißchen abseits setzen, weil Sie heute schon ganz viel geredet
haben. Wir haben gedacht, wenn wir eine Podiumsdiskussion durchführen,
dann diskutieren wir erst einmal mit denen, die extra zum Podium gekommen
sind. Wenn Sie aber jetzt noch wichtige Einwände haben und sagen: „Das
wollte ich immer schon einmal gesagt haben“ oder „Dazu muß ich mich jetzt
melden, sonst komme ich hier nicht heil aus dem Saal“, dann kriegen Sie
natürlich auch das Wort. Die Struktur des Abends ist so gedacht, daß wir bis
22.00 Uhr, das ist so der Terminus ad quem, also der letzte Zeitpunkt, aus
diesem Saal gehen wollen. Wir wollen zunächst zwei kurze Statements hören
von Bruder Steinlein und Bruder Leich, und dann diskutieren wir hier vorn,
so denke ich jedenfalls, eine Stunde hoffentlich kontrovers. Dann möchte
ich gern, daß das Gespräch überschwappt auf Sie als die Mitglieder der
Enquetekommission, und Sie dann Fragen stellen oder etwas unterstreichen
oder sagen: „Das wollte ich immer schon mal sagen.“ Bruder Leich, darf ich
Sie bitten?
Landesbischof em. Dr. Werner Leich D.D.: Auch bei mir werden Sie eine
leichte Veränderung bemerken, ich spreche von Erfahrungen mit der Formel
„Kirche im Sozialismus“.
- Worum es ging: Im Jahr 1988 zeigte mir Prof. Roberts Feldmanis die
Sehenswürdigkeiten seiner geliebten Stadt Riga. Feldmanis gehörte zu
den Trägern des Widerstandes gegen die sowjetische Kirchenpolitik. Wir
sprachen über die Lage unserer Kirchen. Plötzlich blieb mein Begleiter
stehen, sichtlich erregt sagte er: „Bruder Leich, die im Westen wissen
doch gar nicht, worum es bei uns geht. Hier tobt der Kampf um die
Seele unseres Volkes.“ An diese Worte muß ich denken, wenn mir die
Aufarbeitung der DDR-Vergangenheit begegnet. Wie selbstverständlich
werden die geläufigen Maßstäbe politischen Denkens angelegt. Als ob die
- Bürger der DDR lediglich in einem anderen politischen System gelebt
hätten. Wir begegneten einem Herrschaftsanspruch, der die Seelen der
Menschen ergreifen und gefügig machen wollte. Freiwillig und aus eigener
Überzeugung sollten sich die Bürger vom Kleinkind bis zum Greis selbst
aufgeben und nur noch denken, fühlen und wollen, was die staatlich
verordnete Weltanschauung vorgab. Mit dieser Situation hat auch die
Formel „Kirche im Sozialismus“ zu tun. Sie steht für den Versuch, in
einer extremen Situation durchzuhalten und Volkskirche zu bleiben. - Entstehung der Formel „Kirche im Sozialismus“: Die Worte Kirche im So-
zialismus wurden fast zufällig zusammengefügt. Hans Seigewasser, Staats-
sekretär für Kirchenfragen, zog im Februar 1969 nach der Verabschiedung
der neuen Verfassung der DDR Schlußfolgerungen für die Zukunft der
Kirchen. Die Verantwortlichen könnten dem geistlichen Auftrag der Kirche
im Sozialismus nur gerecht werden, so sagte er, wenn sie die humani-
täre Staatspolitik der DDR nicht negierten. Die Redewendung, damals
noch ohne terminologischen Anspruch gebraucht, wurde in Gesprächen
aufgegriffen und entwickelte sich so zu der Formel „Kirche im Sozialis-
mus“. - Die Eigenart der Formel: Die Zusammenstellung jener drei Worte ist von
den evangelischen Kirchen nie im Sinne eines Begriffes gebraucht worden.
Von einem Begriff ist zu erwarten, daß er das Wesentliche gegenüber dem
Zufälligen hervorhebt. Die Formel „Kirche im Sozialismus“ blieb immer
verschwommen. Nie wurde definiert, was „Kirche“ oder „Sozialismus“
in ihr bedeuten. Unter Sozialismus zum Beispiel verstand ein Teil der
Kirchenleute einfach die gegebene Gesellschaftsform, ein anderer Teil
verband damit eine positive Wertung im Sinne der Möglichkeit einer
gerechteren Form des Zusammenlebens. Durch den „Aufruf für unser
Land“ mit kirchenleitenden Persönlichkeiten unter den Erstunterzeichnern
wurde dies noch einmal deutlich unterstrichen. Die Formel mußte auch
für gegensätzliche Zielvorstellungen herhalten. Staat und Partei verstanden
sie als Integrationsformel: Die Kirche ist ein Bestandteil des Sozialismus,
wie die Wohnung im Haus Bestandteil einer größeren Einheit ist. Der
zufällige Initiator der Formel hatte ja auch beabsichtigt, die Kirchen zur
Anerkennung der humanitären Staatspolitik der DDR zu ermahnen. Der
Bund der Evangelischen Kirchen sah in dem mißverständlichen Wortspiel
eine Kurzformel, die nahezu von jeder Tagung der Bundessynode neu und
gegenwartsbezogen ausgelegt wurde. 1973 erklärte die Synode in Schwerin:
„Wir wollen nicht Kirche neben, nicht gegen, sondern im Sozialismus sein.“
Nicht ein einziges Mal taucht die Formulierung „für den Sozialismus“
auf. 1979 betonte die Synode in Dessau: „Wir dürfen glauben, daß auch
die sozialistische Gesellschaft unseres Landes unter unserem Herrn Jesus
Christus steht. Hier ist unser Auftragsfeld und unsere Dienstchance.“ In