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Wahlperiode 12, Band VI/1, Seiten 140 und 141
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Protokoll der 56. Sitzung
  1. sie nicht mehr zu gebrauchen. Das Echo in den westdeutschen Medien war
    damals ebenso stark wie die Bestürzung im Politbüro der SED.
  2. Das Handeln der Kirche unterscheidet sich von dem einer politischen
    Partei. Häufig werden bei der Aufarbeitung der DDR-Vergangenheit an
    die Kirche Maßstäbe gelegt, die eine politische Partei zu beachten hat.
    Dazu gehört der kompromißlose Kampf gegen den politischen Gegner.
    Eine Kirche muß auch in denen, die gegen Gott kämpfen und gewaltsam
    nach der Seele des Volkes greifen, immer noch von Gott gesuchte
    und noch nicht aufgegebene Menschen sehen. Ihr Verhalten kann nicht
    ausschließlich von Feindschaft und Gegnerschaft bestimmt sein. Mühsam
    versuchten wir, den bewährten Grundsatz anzuwenden: Suaviter in modo,
    fortiter in re – gemäßigt in der Art, unnachgiebig in der Sache. Dieses
    oft durch Schwachheit belastete Verhalten allgemein als Kumpanei zu
    bezeichnen, beleidigt viele, die in der Verantwortung vor Gott handeln
    wollten. Noch bestimmender für das Handeln der Kirche ist, daß sie
    unter ihren Gliedern die verschiedensten und zum Teil gegensätzlichsten
    politischen Überzeugungen vorfindet. Eine Kirche kann nicht einfach
    politisch Andersdenkende an den Rand drängen, es sei denn, ihr Denken
    steht im Gegensatz zu den Geboten Gottes. Die große Zahl der Christen
    führte ein ganz normales Arbeitsleben und mußte mit der Staatshörigkeit
    ihrer Umgebung fertigwerden. Die Kirche konnte sich nicht einfach nur an
    den Gruppen orientieren. Gleichwohl ist sie nach meiner Erfahrung immer
    für die Menschenrechts-, Friedens- und Umweltgruppen gegenüber dem
    Staat eingetreten.

Eine Nachbemerkung: Zum Schluß muß ich dies aussprechen, entschuldi-
gen Sie, aber ich muß es tun. In der einseitig auf die DDR bezogenen
Aufarbeitung deutscher Gegenwartsgeschichte sehe ich eine Gefahr für das
Zusammenwachsen der über 40 Jahre getrennten Teile Deutschlands. Es
wird dadurch der Eindruck erweckt, wenn auch ungewollt, es gäbe nur für
die ehemalige DDR Aufarbeitungsbedarf. Ohne Zweifel ist der vorhanden.
Er findet meine Unterstützung, aber es gibt ebenso für die Bundesrepublik
Deutschland vor der Wiedervereinigung Aufarbeitungsbedarf. Was ist zum
Beispiel aus den Startbedingungen der Anfangsjahre geworden? Wohin ist
der freiheitlich-soziale Rechtsstaat, einst von Aufbauwillen, Leistung und
Gemeinsinn seiner Bürger getragen, abgetrieben? Hat vielleicht auch hier ein
völlig anders gearteter Kampf um die Seele des Volkes stattgefunden, der
rational viel schwerer zu erfassen ist als der in der DDR? Wie ist es zu einer
grundlegenden Werteverschiebung zugunsten des Besitzstandes des einzelnen
unter Zurückdrängung des Gemeinsinnes für die Gemeinschaft gekommen?
Wie lange kann sich eine Demokratie halten, wenn diese Entwicklung nicht
aufgehalten wird? Was bedeutet dieser schwerwiegende Vorgang für eine der
größten Herausforderungen in unserer Geschichte, unter friedlichen Bedingun-

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Haltung der evang. Kirchen zum SED-Staat

gen im Zusammenwachsen ehemals getrennter Teile Solidarität zu üben? Diese
Fragen nicht gleichzeitig mit der Aufarbeitung der DDR-Geschichte zu stellen,
verführt dazu, durch die angeprangerte DDR-Vergangenheit stellvertretend die
eigene Vergangenheit zu rechtfertigen. Im Ergebnis sagt dann der eine: „Ich
danke dir, daß ich nicht bin wie jener.“ Er schlägt an die Brust des anderen,
damit der die Augen niederschlägt und spricht: „Sei mir Sünder gnädig.“ Ein
solcher Vorgang entzweit. Ich hoffe, daß wir ohne den hohen Anspruch des
Aufarbeitens in unsere Geschichte hineinhören, die falschen Weichenstellun-
gen, Versagen und Schuld erkennen und so vor der je eigenen Geschichte zu
einer neuen Gemeinsamkeit finden. Damit erschlösse sich, vorausgesetzt wir
befleißigen uns eines Mindestmaßes an Ehrlichkeit gegenüber uns selbst, ein
Beitrag für das Zusammenwachsen und den gemeinsamen Weg unseres Volkes
in die Zukunft. Ich danke Ihnen. (Beifall)

Gesprächsleiter Superintendent Martin-Michael Passauer: Bruder Stein-
lein, schließen Sie gleich an?

Superintendent i.R. Dr. Reinhard Steinlein: Verehrte Damen und Herren!
Wer erwartet hat, daß jetzt ein Referat kommt, das in eine ganz andere
Richtung zielt als das erste, der wird enttäuscht sein. Wenn die Veranstalter
bei der Auswahl der beiden Koreferenten solches erhofft haben, dann hätten
sie nicht zwei dezidierte Lutheraner mit der Aufgabe betrauen dürfen. So
ist es unvermeidlich, daß sich manches von dem, was wir beide sagen,
überschneidet – nicht alles. Und was zweimal gesagt wird, das sitzt besonders
gut. Vielleicht bin ich noch ein wenig selbstkritischer, was den Weg unserer
Kirche betrifft. Es ist sicher gut, daß wir uns bei der Behandlung unseres
Hauptthemas viel Zeit nehmen für diese Formel „Kirche im Sozialismus“,
diese schwammige Formel. Denn es zeigt sich hier besonders deutlich die
Problematik des Weges unserer Kirche in der einstigen DDR.

Bevor ich meine persönlichen Erfahrungen mit diesem Begriff kurz schildere,
muß ich etwas zur Vorgeschichte sagen. Ich gehörte nicht nur der letzten
EKD-Synode vor der Trennung im Jahre 1968/69 an, sondern auch der ersten
Synode des neugeschaffenen Kirchenbundes in der DDR. 1967 hatte ich,
und das war eines meiner größten Erlebnisse, die Fürstenwalder Tagung
der östlichen EKD-Synodalen erlebt, die ein eindrucksvolles Bekenntnis zum
Festhalten an der EKD-Einheit brachte. Es war ein Schock für viele von uns,
als wir wenige Monate danach von Geheimverhandlungen hörten, die zur
Abtrennung von der EKD führten. Auf das Für und Wider dieses Vorgangs
kann ich jetzt nicht eingehen, obwohl das Nachdenken darüber eine Hilfe
zum Verstehen der weiteren kirchlichen Entwicklung wäre. Es ist nämlich mit
ganz großem Ernst, auch mit theologischem Ernst, über diese Frage gestritten
worden. Und ich bekenne mich zu der Einstellung, die vorhin Pfarrer Hamel
geäußert hat, zu der kritischen Einstellung, zur Trennung von der EKD.
Und nun, bei den ersten Synodaltagungen des entstehenden Kirchenbundes