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Wahlperiode 12, Band VI/1, Seiten 176 und 177
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Protokoll der 57. Sitzung

wir uns dem Thema „Die Kirche und die Gruppen“ zuwenden. Diese
Themenformulierung, die kurz und knapp gefaßt sein mußte, entspricht
natürlich nicht der Vielfalt der Stimmen, die damit zur Geltung gebracht
werden müssen. Auch hier geht es um sehr politische Fragen. Immer
wieder habe ich damals gehört: Das, was ihr da in den verschiedenen
Gruppen und Grüppchen tut, ist nicht das Eigentliche. Das Eigentliche
in der Kirche ist das gottesdienstliche Leben, das Singen und Beten, die
Gemeindeveranstaltungen. Ihr macht Politik, die sollten andere machen. Ich
bedaure noch heute, daß es so viele damals nur schwer oder gar nicht begriffen
haben, daß nämlich diese politische Diakonie ungeheuer wichtig ist, eine
ganz wichtige Aufgabe für die Kirche Jesu Christi. Ich bin auch heute noch
dafür dankbar, daß wir auch innerhalb der Kirchenleitungen Leute gefunden
haben, z. B. Gottfried Forck und an der Stelle auch Manfred Stolpe, die das
begriffen haben und die sogenannten politischen Aktivisten oft unterstützt
und stabilisiert haben. Offensichtlich hatten sie begriffen, daß der Christ,
der nicht politisch sein soll, damit dennoch sehr politisch handelt und oft
genug die Falschen unterstützt. Wer in der DDR unpolitisch sein wollte, hat
damit nicht den Schwachen, den Zukurzgekommenen, den Unfreien geholfen,
sondern den Herrschenden, den Diktatoren, den Lügnern und den Heuchlern.
Wo von der Kirche und den Gruppen gesprochen wird, geht es um ein
Dreiecksverhältnis, in dem die Kirchenleitungen, die Machthaber und die
Gruppen miteinander verbunden waren. Die Gemeinden blieben dabei häufig
auf den Zuschauerbänken sitzen. Gelegentlich haben sie auch Einspruch
erhoben, wenn sie der Meinung waren, in ihren Kirchen bewegten sich zu
viele ungewöhnliche Gestalten. Sehr oft haben sich aber die Gemeinden
auch schützend vor die gestellt, die in ihrem Tun und Denken so fremd
erschienen. Das sollte nicht vergessen werden. Die Gruppen brauchten die
Gemeinden. Sie brauchten immer wieder auch den Mut der Gemeindeglieder,
der Gemeindekirchenräte und der Pfarrerinnen und Pfarrer, die dem Druck
widerstanden, dem sie von den Machthabern und gelegentlich auch von ihren
Kirchenleitungen ausgesetzt waren. Die Regierenden haben in der Regel nicht
mit den Gruppen geredet, so etwa nach dem Prinzip: Mit wem ich nicht
rede, den gibt es auch nicht. Wenn es um Einschüchterung, Isolierung und
Diffamierung ging, hatte man seine Leute, die dieses schmutzige Geschäft
besorgten. Ich erinnere hier nur an die „Weißenseer Blätter“ des Prof. Hanfried
Müller von der Theologischen Fakultät der Humboldt-Universität. Wie hat
man uns da verleumdet, persönlich angegriffen und politisch unmöglich zu
machen versucht! Die Kirchenleitungen befanden sich auch hier in einer
besonders schwierigen Lage. Sie wurden von den Regierenden in der DDR
immer wieder in die Pflicht genommen, die Gruppen abzubremsen. Wir
haben diesen Druck, den die SED-Machthaber auf die Kirchen ausübten,
auf sehr unterschiedliche Weise wahrgenommen. Wir haben erlebt, wie die
Kirchenleitungen zu uns gestanden und uns geschützt haben. Wir haben aber

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Die Kirchen und die Gruppen

auch erlebt, daß eine „Magenverstimmung“, die der Staatssekretär Gysi einem
kirchenleitenden Menschen gegenüber beklagte, bei uns als „Darmdurchbruch“
ankam. Das zwang uns dann, uns ein Stück Unempfindlichkeit und manchmal
Rücksichtslosigkeit gegenüber den Kirchenleitungen anzugewöhnen, um zu
erkennen, daß der „Darmdurchbruch“ eben nur eine „Magenverstimmung“
ist.

Fairerweise will ich auch von der Erfahrung berichten, daß Kirche uns immer
wieder als Druckmittel gegenüber den Machthabern verwandt hat. Das ging
dann etwa nach der Devise: Ihr Regierenden müßt uns in dieser oder jener
Angelegenheit noch ein Stück entgegenkommen, sonst können wir die Chaoten
in unseren Gruppen nicht ruhig halten. Das wird dann alles noch schlimmer,
wenn ihr uns nicht noch ein Stück entgegenkommt. Das war oft ein heikles
Spiel, das z. B. auch Manfred Stolpe mit den Mächtigen gespielt hat. Aber
auch das sei fairerweise gesagt: Das eine oder andere ist damit eben auch
erreicht worden. So können wir heute sagen: Dadurch, daß es die Gruppen
gab, ist die Verhandlungsposition der Kirchen gegenüber den Machthabern
stärker geworden. Die Gruppen wurden zu politischen Faktoren, die die
Regierenden zu Kompromißlösungen zwangen. Die Gruppen in der ganzen
Vielfalt ihrer Interessen, Lebensformen und Persönlichkeiten, so möchte ich
hier schon vorwegnehmend sagen, haben eine heilsame Unruhe in die Kirchen
hineingetragen, haben manche verschreckt, manche zum Nachdenken und
Mittun angeregt und zu jener Politisierung beigetragen, die es ermöglichte,
daß die Kirchen in der Zeit der Wende ganz nahe beim Volk waren. Wir
werden heute eine eigentlich viel zu kleine Zahl von Menschen hören können,
die sich in diesen Gruppen engagierten. Ich danke denen, die sich von uns
zu dieser Anhörung haben einladen lassen. Ich weiß, daß es hier bei dem
einen oder anderen auch Bedenken zu überwinden gab. Darüber sollte nachher
auch ganz offen gesprochen werden. Ebenso offen sollte auch darüber geredet
werden, was aus den Gruppen und den Menschen in ihnen nach der Wende
geworden ist. Wie geht es ihnen heute? Wo stehen sie jetzt? Was machen
sie heute? Welche Einfluß- und Gestaltungsmöglichkeiten sehen sie heute in
Kirche und Gesellschaft? Wo sind ihre Erwartungen erfüllt und wo sind sie
enttäuscht worden? Es wird bei all diesen Fragen, so ist meine Ahnung, nicht
nur um Vergangenheit gehen, sondern – wie überhaupt bei der Arbeit der
Enquete-Kommission – auch um unsere Gegenwart und um unsere Zukunft.
Wir werden uns darum den Fragen und der Unruhe aussetzen. Ich wünsche
uns allen bis 14.00 Uhr einen möglichst guten und intensiven Tag und bitte
jetzt fortzufahren. Der erste, der jetzt für uns reden wird zum Thema „Die
Kirchen und die Gruppen“ ist Pfarrer Rudi Pahnke aus Borgsdorf bei Berlin.
Bitte, Herr Pahnke.

Pfarrer Rudi-Karl Pahnke: Herr Vorsitzender, meine Damen und Herren, ich
möchte drei Dinge vortragen. Das Thema habe ich so formuliert: „Die Kirchen