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Wahlperiode 12, Band VI/1, Seiten 204 und 205
204
Protokoll der 57. Sitzung

und zwar sowohl in der Gesellschaft als auch im Staat und dann nicht
zuletzt in der Kirche. Es kamen immer wieder die Begriffe „Opposition“ und
„Bürgerrechtler“. Ich will der Ehrlichkeit halber sagen, daß wir uns damals
sehr schwer damit getan haben, so bezeichnet zu werden, und zwar gerade weil
wir uns als Leute verstanden haben, die deswegen aufgestanden sind, weil sie
Nachfolge Jesu leben wollten, auch wenn das Nichtchristen nicht gleich so
bezeichnen konnten. Daß das dann natürlich als Opposition politisch relevant
ist, haben wir dann auch gemerkt. Ich habe es eigentlich erst richtig gemerkt,
als ich 1989 aus Basel von der Ökumenischen Versammlung zurückkam und
nun von außen ein Stückchen dessen gesehen hatte, was ich vorher nur von
innen sehen konnte, weil ich nicht herauskam.

Es wurden vorhin die unterschiedlichen Kommunikationsschwierigkeiten
zwischen Gruppen und Kirche erwähnt. Drei Beispiele nur mit Schlagworten:
In Erfurt gab es Partnerschaft zwischen regionalen Kirchenleitern und den
Leuten, die in der offenen Arbeit waren. Man ging aufeinander zu, hörte
einander zu und wollte sich nicht gegenseitig austricksen. Es war einfach
nicht nötig. In Jena suchte der dortige Superintendent in den achtziger Jahren
das Gespräch mit Gruppen, wenn Konflikte auftauchten. Er urteilte nicht über
sie hinweg. Er sagte aber auch deutlich seine Meinung, wenn er Sachen nicht
mit abdecken wollte. Aber er tat das nicht hinterrücks oder auf dem Rücken
oder über die Köpfe der Leute hinweg. In Weimar gab es überhaupt keine
Kommunikation. Das hängt unter anderem damit zusammen, daß in Weimar
der Superintendent Stasispitzel war und noch ein paar andere Pfarrer in der
Stadt auch. Es wurde also immer wieder ein bestimmtes Muster gefahren.
Wenn es eine Gruppe gab, besonders die offene Arbeit, wurde sie ausgegrenzt,
bekam keine Räume, war damit Freiwild für den Staat, und wenn sie dann
verhaftet worden sind, wurde gesagt: Die bösen Leute, die sowieso keine
richtigen Christen sind. Damit reicht es erst einmal.

Gesprächsleiter Stefan Hilsberg (SPD): Reinhard Weißhuhn ist ein Vertreter
derer, die zur Oppositionsarbeit innerhalb der Kirche bewußt von außen
her gekommen sind. Seine Arbeit ist nicht als eine Emanzipationsbewegung
innerhalb der Kirche verständlich, sondern er hat schon sehr früh die Intention
gehabt, hier in der DDR oppositionell zu arbeiten, allerdings mit der großen
Schwierigkeit, dabei Partner zu finden. Wie ist das von Ihrem Erleben her?

Reinhard Weißhuhn: Ich bin Reinhard Weißhuhn. Ich bin hier für die
„Initiative Frieden und Menschenrechte“. Ich bin nicht der einzige, es
gibt noch einen anderen Gesprächspartner aus der Gruppe in dieser Runde
hier. Die „Initiative Frieden und Menschenrechte“ hat sich gegründet im
Zusammenhang mit den Auseinandersetzungen um die Friedenswerkstatt
in Berlin Ende 1985. Ich möchte aber eigentlich gar nicht so viel über
diese Gruppe erzählen, die sich als eine der ganz wenigen ausdrücklich als
nichtkirchliche Gruppe verstanden hat, mit der Begründung von Bischof Leich,

205
Die Kirchen und die Gruppen

daß die Kirche keine Opposition und keine Partei ist, das nicht sein will und
auch nicht sein kann. Diesen Anspruch haben wir nun allerdings erhoben,
und das ließ sich unserer Ansicht nach nicht mit der Kirche als Institution
automatisch vereinbaren, schon gar nicht identifizieren. Das ist eines der
Motive für diese erklärtermaßen nichtkirchliche Gruppe. Trotzdem hatten wir
natürlich mit der Kirche sehr viel zu tun, bedurften ihrer auch, sind auch von
ihr geschützt worden. Das aber liegt vor allem daran, daß die Kirche nicht nur
ein Dach war und nicht nur eine stellvertretende Öffentlichkeitsfunktion hatte,
sondern daß sie unter den Bedingungen in der DDR zwangsläufig und ohne ihr
eigenes aktives Zutun die Funktion einer Ersatzgesellschaft bekam. Das, was
in einer „normalen“ Gesellschaft pluralistisch geschieht und in der DDR nicht
möglich war, konnte überhaupt nur im Rahmen der Kirche geschehen, und
so bezog es sich zwangsläufig auf die Kirche. Das gilt für die Institution
Kirche, das gilt für die Gemeindemitglieder, das gilt in erster Linie aber
für die Gruppen und ihre Mitglieder. Die waren ganz unabhängig davon,
ob und in welcher Weise sie mit der Kirche und dem Christentum zu tun
hatten oder auch nicht, trotzdem darauf angewiesen, alle ihre Aktivitäten, alle
ihre Öffentlichkeitsversuche usw. im Rahmen der Kirche oder zumindest in
der Nähe der Kirche zu unternehmen. Deswegen ist der Begriff „kirchliche
Gruppen“ selbst schon schillernd, gar nicht zu reden von den Gruppen, die sich
eben nicht unmittelbar als kirchlich verstanden haben. Meiner Ansicht nach
ist dieser Zusammenhang weniger ein Ausdruck kirchlichen oder christlichen
Widerstandes, er ist eher Ausdruck des Widerstandes in einer Gesellschaft,
die keine Pluralität kennt, und in der Kirche diese Ersatzfunktion übernimmt.
Ich denke, die Kirche hätte heute auch weniger Schwierigkeiten im Umgang
mit sich selbst, mit ihrer vergangenen Beziehung zum DDR-Staat, mit ihrer
gegenwärtigen Situation, die gestern von Ehrhart Neubert als Ergebnis einer
weitgehenden Zerstörung beschrieben wurde, und mit jenem zwar nicht allzu
großen, aber qualitativ immer zu großen Anteil von IM in ihren eigenen
Reihen, wenn sie sich zumindest auf jene Gruppen positiv bezöge und zu ihnen
bekannte, die innerhalb der Kirche auch tatsächlich kirchliche Opposition
darstellten. Zwei Gruppen möchte ich nennen. Das ist einmal die „Kirche von
unten“, Angelika Schön hat sie eben schon angesprochen, und last not least
die „Solidarische Kirche“. Die Solidarische Kirche verstand sich selbst als
eine Quasiopposition nicht nur zum Staat, sondern auch zur Amtskirche und
ist hier überhaupt nicht thematisiert, geschweige denn anwesend, jedenfalls
bisher nicht erkennbar. Ich halte das tatsächlich für gravierend, zumal aus der
Sicht der Kirche. Diese Gruppe beispielsweise wäre tatsächlich ein positiver
Bezugspunkt, der weit weniger gebrochen wäre und weit weniger Anlaß zu
selbstkritischer Reflexion gäbe, als die Amtskirche als solche dies muß und
hier ja auch demonstriert.

Noch einen letzten Punkt, der auch im Zusammenhang mit dem, was ich