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Wahlperiode 12, Band VI/1, Seiten 206 und 207
206
Protokoll der 57. Sitzung

eben sagte, steht: Ehrhart Neubert hat gestern von der protestantischen Revo-
lution 1989 gesprochen. Eine Revolution war es sicher, obwohl man sicher
auch darüber streiten kann. Ich behaupte nur, daß es keine protestantische
Revolution war, was suggeriert, die Kirche als solche hätte eine aktive,
bewußte und entscheidende Rolle dabei gespielt. Ich behaupte, es war keine
protestantische Revolution, es sei denn, man faßt den Begriff „protestantisch“
als ganz allgemein kulturhistorischen Begriff auf, der dann natürlich für alle
gilt, auch für Nichtchristen in dieser Gesellschaft. So war er aber, glaube ich,
nicht gemeint. Ich glaube, es war eine Revolution gegen den SED-Staat, in
die die Kirche eher unwillig verwickelt war. Es ist der Kirche nur passiert.
Danke.

Gesprächsleiter Stefan Hilsberg (SPD): Danke. Martin Böttger, der Name
ist ja schon gefallen, war langjähriges Mitglied der „Initiative Frieden und
Menschenrechte“ und vorher auch schon in allen möglichen oppositionellen
Gruppen im Berliner Raum tätig. Er ist jemand, der – soweit mir das in
Erinnerung ist – ausgesprochen früh mit dieser Arbeit angefangen hat, und das
zu einer Zeit, als es nur sehr wenige von denen gab, die eine bemerkenswerte
Kontinuität an oppositionellem Handeln in der DDR aufzuweisen hatten. Diese
lange Zeit hat unterschiedlichste Erfahrungen vermittelt, besonders wenn man
erleben muß, daß man an Solidarität nur sehr wenig spürt.

Dr. Martin Böttger, MdL: Wenn ich meine Position innerhalb von Gruppen
und innerhalb der Kirche beschreiben soll, könnte ich am einfachsten sagen:
Ich stand breitbeinig, aber nicht im Spagat. Ich stand mit einem Bein in
Gruppen, in zeitlicher Abfolge auch in verschiedenen, mit dem anderen in
meiner Kirchengemeinde, in meiner Ortsgemeinde. Das war die Berliner
Golgathagemeinde. Der Gemeindebezug war territorial, also auf den Bereich
dieser Ortsgemeinde ausgerichtet, der Bezug auf Gruppen überregional,
zumindest auf das Ostberliner Gebiet, aber auch auf den Süden, also auf
Sachsen bezogen. Der Gemeindebezug war familienorientiert. Es war also
meine Generation, die Generation der Leute mit kleinen Kindern, die auch ihre
Kinder in den Familiengottesdienst mitbrachten, in die Gemeindenachmittage,
die sehr vieles zusammen machten, sich auch auf dieser Ortsebene mit
Problemen der Kommune auseinandersetzten. Die Gruppen waren sehr stark
von Aktivisten getragen, von Leuten, die sich öffentlich äußerten, die sich
politisch verstanden. Es waren politische Gruppen. Öffentlich geäußert hat
sich der Gemeindebezug auch insofern, daß die Gottesdienste öffentlich
waren, und wir in Golgatha jeden Monat einen Friedensgottesdienst oder
ein Friedensgebet hatten. Das wurde vorbereitet und gestaltet hauptsächlich
von Gemeindegliedern, mit Pfarrer Hilsberg im wesentlichen, dem Vater
des jetzigen Bundestagsabgeordneten Hilsberg. Diese Gruppe hat mit ihren
zur Verfügung stehenden Mitteln Friedensarbeit geleistet. Es war mir klar,
daß nicht alle politische Oppositionsarbeit in dieser Gemeinde geleistet

207
Die Kirchen und die Gruppen

werden konnte. Deswegen habe ich mich dann auch sehr gefreut und habe
das unterstützt, daß die „Initiative Frieden und Menschenrechte“ gegründet
wurde als ausdrücklich außerkirchliche Oppositionsgruppe. Das fand ich
auch ehrlicher und fairer, weil die Kirche in vielen Bereichen von den
Anliegen außerkirchlicher Oppositionsgruppen überfordert war. Es gab aber
auch Überschneidungen zwischen diesen beiden Bereichen – ich sagte ja
breitbeinig, aber nicht im Spagat –, z. B. in Konfliktsituationen. Ich wurde im
September 1983 nach einem Friedensgebet verhaftet. Aber das war nicht im
Zusammenhang mit den Friedensgebeten meiner Gemeinde, sondern mit einer
politischen Aktion, einer Menschenkette zwischen der amerikanischen und
der sowjetischen Botschaft. Also eine eindeutig außerkirchliche Aktion führte
zu meiner Verhaftung. Begleitet wurde ich aber auch von meiner Gemeinde.
Sie nahm mich in die Fürbitte auf. Sie betreute meine Familie. Sie stellte
Kontakte für das ganz normale Leben her, für meine Frau, meine Kinder.
Begleitet wurde ich aber auch von außerkirchlichen Gruppen. Und diese
Begleitung sah dann so aus, daß die Presse informiert wurde, Kontakte zu
westlichen Politikern gesucht wurden, daß Solidarität angestoßen wurde und
die Grünen sowie die SPD-Fraktion im Abgeordnetenhaus von Berlin und auch
der regierende Bürgermeister damals informiert wurden. Das hat dazu geführt,
daß Richard von Weizsäcker, damals noch regierender Bürgermeister von
Westberlin, meine Freilassung im September erwirkte. Es gab also, würde ich
sagen, ein etwas arbeitsteiliges Wirken dieser beiden Bezüge, der kirchlichen
und der außerkirchlichen. Die Kontakte zur Kirchenleitung selbst waren viel
spannungsreicher. Das wurde aber heute schon mehrfach gesagt. Deswegen
habe ich mich auch nicht so wohl gefühlt im Vertrauen zu Kirchenleitungen,
daß sie die Notbremse zog oder die Feuerwehr spielte, wie Curt Stauss es ja
vorhin sagte. Feuerwehraktionen kamen auch eher von Gruppen. Das war auch
bei meiner Verhaftung so. Manfred Stolpe behauptet zwar, mich herausgeboxt
zu haben, aber ich glaube doch, daß es die Gruppen waren, nicht die
Kirchenleitung. Das ist noch nicht so restlos aufgearbeitet. Feuerwehraktionen
gab es auch von Gruppen, die konspirativ gearbeitet haben. Damals – 1983
war die IFM noch nicht gegründet – gehörte ich auch einer konspirativen
Gruppe an, die nach außen überhaupt nicht in Erscheinung trat, jedenfalls
nicht mit Namen. Die Mitglieder der Gruppe waren nicht allgemein bekannt.
Aber sie haben z. B. ganz schnell organisiert, daß meine Wohnung leergeräumt
wurde, und waren schneller als die Staatssicherheit. Bevor die Staatssicherheit
meine Wohnung durchsuchte, auch in einer konspirativen Haussuchung, hatte
bereits meine konspirative Gruppe die Wohnung leergeräumt und damit der
Stasi nicht so viel Material überlassen. Diese Feuerwehraktion der Gruppe war
sicher wichtig, aber ich habe mich dann später doch von dieser konspirativen
Gruppe gelöst, sie ist auch mehr oder weniger zerfallen, weil ich zu der
Meinung kam, das hat auch die Entwicklung gezeigt, daß nur ein öffentlich
wirksames Arbeiten sinnvoll ist, also nicht anonym, sondern mit Namen, ein