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Wahlperiode 12, Band VI/1, Seiten 208 und 209
208
Protokoll der 57. Sitzung

Arbeiten in der Öffentlichkeit und dadurch auch im Schutz der Öffentlichkeit.
Vielleicht wäre noch zu sagen, daß die Feuerwehraktionen von Kirchen und
Gruppen auch später im Wettbewerb miteinander standen. Das hat sich z. B.
in der sogenannten Schlacht um Zion gezeigt. Das war im November 1987.
Da hat die Kirche natürlich versucht, Schadensbegrenzung zu leisten. Aber
ehe sich die Verhandlungsführer an den Tisch gesetzt hatten, haben wir
gehandelt. Wir haben sofort eine Mahnwache vor der Zionskirche organisiert,
und es wurden Transparente an die Kirche gehängt. Ich glaube, auch in dem
Falle waren die Gruppen, die eher außerhalb der Kirche standen, aber doch
noch unter ihrem Weidendach, schneller und haben mit ihren Aktionen die
Freilassung der Inhaftierten erwirkt. Das hat es an verschiedenen Stellen
gegeben, einen gewissen Wettbewerb zwischen Kirche und den Gruppen, wer
politisch wirksamer ist, wer Veränderungen bewirken kann, wer den Staat
zu etwas zwingen, ihn zumindest zum Einlenken bewegen kann. Das war
manchmal auch die Kirche. Das waren aber dann in den späten achtziger
Jahren mehr und mehr die Gruppen, weil sie weniger Rücksicht nehmen
mußten. Sie waren zwar keine akzeptierten Verhandlungspartner, das hätte es
nicht gegeben, aber sie waren eine gewichtige Größe. Die Kraft, die manchmal
von den Gruppen ausgegangen ist, also auch diese großen Mahnwachen und
Friedensgebete im Februar 1988, hat den Staat, denke ich, oftmals mehr
beeindruckt als die Verhandlungsführer der kirchlichen Seite.

Gesprächsleiter Stefan Hilsberg (SPD): Vielen Dank. Herr Pfarrer Hilse
ist langjähriger Gemeindepfarrer einer Gemeinde in Ostberlin, in Berlin-
Treptow. In Ihrer Gemeinde haben sich sehr viele Aktivitäten abgespielt,
die Sie keineswegs nur von außen gesehen haben, sondern an denen Sie
selbst teilgenommen haben und als Motor gewirkt haben. Man ist als
Gemeindepfarrer in einer besonderen Situation. Man ist einerseits nicht
Kirchenleitung, hat das also so unmittelbar dem Staat gegenüber nicht zu
vertreten, andererseits doch Teil der offiziellen Kirche. Man wird identifiziert
mit der Gemeinde als solche, ist also ein Bindeglied. Gestern wurde von der
pluralen Verfassung der Kirche gesprochen. Als Gemeindepfarrer hatte man
diese Pluralität in der einzelnen Gemeinde sozusagen zu garantieren. Das hat
zu besonderen Spannungsverhältnissen geführt, die ja vor dem Hintergrund der
Situation, die wir in der DDR hatten, ausgesprochen interessante Ergebnisse
hatte. Wie haben Sie das erlebt?

Pfarrer Werner Hilse: Gemeindepfarrer bin ich in Berlin-Treptow. Die
Beobachtung oder Bearbeitung, wie man im Stasi-Jargon sagte, fand einen
Höhepunkt, als die sogenannten „Üse“, wie sie im offiziellen Sprachgebrauch
des Staatssicherheitsdienstes hießen, nämlich die Übersiedlungsersuchenden,
in die Treptower Kirche kamen. Das war eigentlich die Tabuarbeit in der
DDR. Von den Beziehungsängsten zu den Gruppen ist gesprochen worden. Die
Kontakte, die wir versucht haben, scheiterten immer daran, daß gesagt wurde:

209
Die Kirchen und die Gruppen

„Ihr habt keine Legitimation mehr, etwas beizutragen oder für die Situation
in der DDR zu sprechen“, vielleicht war es aber auch ein Stückchen Angst,
was deutlich wurde – eine doppelte Gefährdung. Im übrigen, mit der Initiative
„Frieden und Menschenrechte“ haben wir es mehrmals versucht. Die haben uns
immer im Regen stehen lassen, obwohl Werner Fischer mehrmals gesagt hatte,
daß er sich an Aktionen beteiligen würde. Aber er erschien dann eigentlich
nie. Es gab also keine Zusammenarbeit. Es gab zwei Formen der Arbeit in
Treptow. Die eine Form war die, die kirchlicherseits noch zugestanden wurde,
das war die sogenannte Seelsorge. Es sollte Einzelseelsorge sein. Das war nicht
möglich. Wir haben eine Gruppenseelsorge gehabt, das heißt, es gab eine
Seelsorgegruppe. Ziel dieser Gruppe war die Stabilisierung der Menschen,
um das Zerbrechen zu verhindern, und auch ein Stückchen Training, wie
man sich bei Gesprächen mit dem Staatssicherheitsdienst und der Abteilung
Inneres zu verhalten habe. Die Kirche hat diese Arbeit bejaht. Der Staat
hat es mir sehr übelgenommen, daß ich solche Menschen stabilisiere. Die
zweite Form der Arbeit war unser Arbeitskreis für thematische Gottesdienste.
Das war der Punkt, wo man aus dem privaten Begehren der Ausreise in die
Öffentlichkeit trat. An dem Punkt gab es auch mit der Kirche Probleme, denn
an dieser Stelle versuchten die Leute, die einen genehmigten Ausreiseantrag
hatten, auf Anregung noch einen konstruktiven Beitrag zur Veränderung
zu leisten, solange sie noch in der DDR waren. Wir haben versucht, ein
Netzwerk aufzubauen, das heißt, DDR-weit zu koppeln: Welche Probleme
gibt es in Rostock, Görlitz, Halle, Saalfeld, Weimar, Leipzig? Das ist sehr
schnell unterbunden worden. Man hat auf den Autobahnen direkt Jagd auf
die Leute gemacht und sie inhaftiert. Es gibt da bewegende Protokolle. Sie
sind an die Kirchenleitung gegangen. Ich weiß nicht, was inzwischen damit
geschehen ist. Es hat aber auch in diesem Arbeitskreis, den ich geführt
habe, drei Verhaftungen gegeben. Die Leute haben dann auch gesessen,
und seltsamerweise oder bezeichnenderweise, wie Sie wollen, wurde von
kirchlicher Seite die staatliche Lesung übernommen, daß es gegen die Personen
und nicht gegen den Arbeitskreis gerichtet war. Ich bin bis heute der Meinung,
daß es wahrscheinlich zu den Disziplinierungsmaßnahmen gehörte, die gegen
mich gerichtet waren, und daß diese Leute stellvertretend für mich gesessen
haben. Es gab, um nur einmal die Stimmung zu kennzeichnen, so etwas
ähnliches wie eine Ausreisehymne – ein Kirchenlied, das säkularisiert wurde,
dieses Lied „Herr wir stehen Hand in Hand, wandere nach dem Vaterland“.

(Heiterkeit)

Das war ungefähr diese Gruppe. Dann gab es noch eine andere Gruppe in
der Treptower Gemeinde. Das war die homosexuelle Selbsthilfegruppe, seit
1980 stark emanzipatorisch, die wir auch gegen oder ohne Zustimmung der
Kirchenleitung hatten. Später sind wir zu einer Gemeinde gemacht worden,
die an dieser Stelle ein Stückchen experimentieren durfte. Die dritte Form