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Wahlperiode 12, Band VI/1, Seiten 218 und 219
218
Protokoll der 57. Sitzung

des Staatssicherheitsdienstes während einer Kirchenleitungssitzung gedacht
habe, nämlich als etwas aus den Gemeinden berichtet wurde, was dringend
den Widerspruch der Kirche erfordert. Es gab aber keine Resonanz in der
Kirchenleitung darauf. Es war nur der Vorsitzende, der etwas hätte sagen
können. Man mußte verhandeln, damit es eine Resonanz in der Kirchenleitung
gab, damit das mitgehört wurde, damit derjenige, der die Gespräche führte,
wenn er dahin ging, etwas zu sagen hatte. Insofern gab es da durchaus ein
Empfinden. Ohne solche kritischen Aktivitäten ist das Reden auch ziemlich
zwecklos.

Ein dritter Konflikt innerhalb des Spannungsbereiches ist die Verfahrensweise.
Ich muß auch sagen, ich habe es auch in einem meiner Kirchenleitungsbe-
richte gesagt, daß ich den Gesichtspunkt der Konfliktinszenierung für ein
wesentliches Moment halte, wenn man einen Lernprozeß in Gang bringen
will. Besonders wichtig war das in der DDR-Gesellschaft, da sie so, wie
sie verfaßt war, Streit eigentlich nicht zuließ. Ich habe diesen Gesichtspunkt
nicht akzeptiert in der Zeit der DDR und mir eigentlich erst im nachhinein
klargemacht, wie wichtig er ist. Dann kommt natürlich auch die Frage, wie
er heute zu praktizieren ist. Daß Streit etwas positives, förderliches, klärendes
haben soll, ist in den Kirchenleitungen, soweit ich das sehe, nicht akzeptiert
worden. Es gab generell eine Tendenz der Streitvermeidung, nicht aus Rück-
sicht auf den Staat, sondern aus gegenseitiger Rücksichtnahme. Man sagte
sich: Kinder, wir haben es doch so schwer, also im Wesentlichen sind wir uns
einig, mit diesem oder jenem hätte ich zwar einen ganz kräftigen sachlichen
Dissens auszufechten, aber das lassen wir jetzt, wir haben anderes zu tun. Diese
Tendenz zur Streitvermeidung, zur gegenseitigen Schonung und deswegen zur
Verunklarung von Positionen war in der DDR über die Kirchen weit hinaus bis
in die Partei hinein gang und gäbe. Dazu kam noch, daß Kirchen traditionell
von ihrer Herkunft mehr auf Zusammenhüten als auf Differenzierung aus
sind. Dagegen haben die Gruppen bewußt einen anderen Weg eingeschlagen.
Ich muß von mir sagen, daß ich die Bedeutung dieses Weges nicht erkannt
habe. Zur Verfahrensweise gehört die Frage: Protestation des Unrechts oder
Verwandlung, hoffnungsvolle Verwandlung, hoffnungsvolle Überwindung des
Unrechts? Mit dieser Frage hängt das ganze Problem „Einzelfallösung oder
politische Lösung“ zusammen. Für die Kirchenleitungen ist generell, denke
ich, zu sagen: Einzelfallösung. Einzelfallösung in dem Sinne, daß man sagt:
Wir können als Kirchenleitungen nicht geschehenes Unrecht zu politischen
Zwecken nutzen, weil wir nämlich dann die Menschen instrumentalisieren.
Das bringt dann die Schwierigkeit mit sich, wie man solche Einzellösungen
mit der Grundsatzauseinandersetzung koppeln kann, ohne sich gleichzeitig das
Brett für die Einzellösung wegzuziehen. In dieser Frage der Einzelfallösung
und der grundsätzlichen politischen Auseinandersetzung war auch ein wichti-
ges Spannungsfeld zwischen den meisten Gruppen und der Kirche.

219
Die Kirchen und die Gruppen

Ich möchte als letztes noch sagen: Es gab in den Gruppen mehr politische und
Systemanalyse als in den Kirchenleitungen. Ein Defizit der Kirchenleitungen
nicht nur in der DDR, sondern überhaupt, ist, daß die politische Situation
als solche nicht eigens thematisiert wird, sondern eigentlich jeder der
kirchenleitenden Damen und Herren im Hinterkopf irgendeine Meinung von
der politischen Lage hat, die nicht richtig deutlich wird. An dieser Stelle
habe ich jedenfalls nur erlebt, daß man gegenseitig Vermutungen hatte, der
denkt wohl so und jener denkt wohl mehr so, aber eine politische Analyse als
solche habe ich in den Kirchenleitungen nicht erlebt. An der Stelle war die
Situation so, daß das stärker in den Gruppen betrieben wurde, freilich stärker
als Systemanalyse, als die Analyse der konkreten politischen Konstellation,
und von da aus haben die Gruppen wahrscheinlich von vornherein die
kritische Frage gehabt, ob die Kirchenleitungen mit ihrer Art des Verhaltens
in diesem Staat nicht einer falschen, träumerischen politischen Einschätzung
auf Veränderbarkeit nachlaufen. Über diese Frage ist es nur am Rande, nach
meiner Kenntnis, wirklich zu Gesprächen gekommen.

(Beifall)

Gesprächsleiter Stefan Hilsberg (SPD): Vielen Dank. Jetzt gibt es eine
Rückfrage von Angelika Schön.

Angelika Schön: Noch einmal zur Verdeutlichung und dann zwei Rückfragen.
Herr Demke, Sie haben gesagt, daß die Kirchenleitungen dem Staat gegenüber
immer nur Probleme vertreten wollten, wenn sie auch an der Gemeindebasis
aufgeworfen worden waren. Ich kann mich erinnern, daß an so einer Stelle
dann einmal ein ganz anderes Problem auftauchte, nämlich 1986 bei „Frieden
konkret“ in Stendal. Da haben wir das erste Mal gesagt: Nein, wir benutzen
die Kirchenleitungen nicht mehr als Briefträger für unsere Eingaben. Wir
können die Eingaben auch selber schicken. Die Adressen dafür bekommen
wir auch selber heraus. Darüber waren die Kirchenleitungen überhaupt nicht
begeistert. Es ging hauptsächlich darum, daß sie gesagt haben: Ihr begebt euch
da auf Glatteis, das ist gefährlich. An einer anderen Stelle waren sie auch noch
getroffen, weil wir gesagt haben: Euren Einsatz dafür möchten wir natürlich
nicht missen, ihr sollt das dort vorbringen, wo ihr könnt, aber wir können
das außerdem auch allein. Das war das eigentliche Problem – ein Jahr später
in Leipzig 1987 war das gar kein Problem mehr, da haben wir alles selber
gemacht.

Sie haben gesagt, Herr Demke, die Kirche hätte dieselben Probleme mit
spontaner Basis zur demokratischen Bewegung wie andere Institutionen oder
Großinstitutionen auch. Ich finde, sie dürfte eigentlich nicht die gleichen
Probleme damit haben, denn kreatives Infragestellen und Unordnung kommt,
zumindestens nach meiner bisherigen Bibelkunde, reihenweise in der Bibel
vor. Jesus ist nicht nach Jerusalem gegangen und ist entweder König oder
Bettler geworden, sondern er ist in den Tempel gegangen und hat die