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Wahlperiode 12, Band VII/1, Seiten 12 und 13
12
Protokoll der 67. Sitzung

gewissen Augenzwinkern auch immer als die „Freie Schiller-Universität“
bezeichnet. Damit sollte zum Ausdruck kommen, daß in Jena im Vergleich zu
anderen Universitäten, beispielsweise im Vergleich zu Leipzig oder Halle –
ich habe in Leipzig Tiermedizin studiert und konnte das ganz gut beurteilen –,
doch ein Klima herrschte, das wir als vergleichsweise angenehm empfanden.

Dessenungeachtet waren hier insbesondere auch in den ersten Jahrzehnten die
Folgen der Diktatur zu spüren. Ich bin hier geboren, bin hier in die Schule
gegangen. In unmittelbarer Nachbarschaft dieses Gebäudes befindet sich die
Grundschule, an der am 17. Juni 1953 die Bilder von den Wänden flogen,
von der aus wir im Anschluß daran das Gefängnis stürmten und auf dem
Holzmarkt bis zum Eintreffen der sowjetischen Panzer das Deutschlandlied
gesungen haben. Die Jenaer haben danach einen sehr deprimierenden Tag
erlebt, an dem dann auch Helmut Diener standrechtlich erschossen wurde, zu
dessen Ehren wir eine Straße nach ihm benannt haben.

Die Stadt Jena hat insbesondere in den siebziger Jahren wieder im Zusammen-
hang mit der Friedensbewegung an die freiheitlichen Traditionen angeknüpft,
und wir sind dankbar, daß diese Generation diese Tradition wieder aufgegriffen
hat. Dies wird heute abend Thema Ihrer Gesprächsrunde sein. Die damit im
Zusammenhang stehenden Ausweisungen, Verhaftungen, Verhöre mit Todes-
folge machten sich allerdings – diesen Eindruck habe ich – auch dadurch
bemerkbar, daß wir bei den Ereignissen 1989 auf einige derer verzichten
mußten, die sonst möglicherweise zur Verfügung gestanden hätten, denn sie
waren nicht mehr in Jena.

So wurde denn auch die Wende in Jena zunächst von der jungen Generation
und nicht von meiner getragen. Meine Generation war enttäuscht vom 17. Juni,
vom 13. August, von den Ereignissen in Ungarn, in der CSSR usw. Aber
gerade dies hat uns dann auch politisch in die Pflicht genommen, der jüngeren
Generation auf diesem Wege zu helfen.

Wenn ich „in die Pflicht genommen“ sage, dann haben wir dies mit einer
Regenbogenkoalition fortgesetzt, die zumindest in Thüringen ihresgleichen
sucht. Seit den Kommunalwahlen im Jahre 1990 sind fünf Parteien in einer
großen Koalition in der Verantwortung. In der Opposition befinden sich PDS
und DSU. Diese Koalition ist – so glaube ich – in gewisser Weise ein
Aktionsbündnis, das die bitteren Erfahrungen zugrunde legt, die wir in der
Vergangenheit gemacht haben.

Ich hoffe, Sie sehen im Zusammenhang mit Ihrem Besuch einige Fortschritte
auf dem Gebiet dieser Universitätsstadt Jena. Wir sind mit dem Erreichten
zweifelsohne nicht zufrieden, aber was beispielsweise die Arbeitsmarktdaten
und andere Kennwerte angeht, dürfen wir davon ausgehen, daß wir in
Thüringen und auch in den Neubundesländern gut abschneiden. Wir hoffen,
daß wir das bis zu den Kommunalwahlen im Juni 1994 ungestört fortsetzen
und auch danach weiterhin diesen Weg gehen können.

13
Widerständiges und oppositionelles Verhalten

Ich wäre Ihnen dankbar, wenn Sie diese Schritte wohlwollend kritisch
begleiten würden. Wir werden uns alle Mühe geben, um damit das Vermächtnis
derer umzusetzen, die dies nicht mehr miterleben dürfen, in deren Pflicht und
Verantwortung wir uns aber sehen.

Seien Sie herzlich willkommen. Ich wünsche der Veranstaltung einen guten
Verlauf. (Beifall)

Vorsitzender Rainer Eppelmann: Herzlichen Dank, Herr Dr. Röhlinger.
Das Thema unserer Anhörung, „Motivationen, Möglichkeiten und Grenzen
widerständigen und oppositionellen Verhaltens“, wird – das ist in den
einführenden Worten des Bürgermeisters auch schon deutlich geworden –
in Jena an durchaus passendem Ort verhandelt. Wir werden heute abend
einen eigenen Themenblock „Widerstand und Opposition in Jena“ haben. Da
wird uns endgültig deutlich werden, wie sehr gerade in dieser thüringischen
Stadt der Geist der Demokratie sowie die Bereitschaft zu Einspruch und
Widerspruch seit den Zeiten Friedrich Schillers lebendig geblieben sind.

Die Geschichte der Opposition und des Widerstandes in der DDR ist
noch nicht geschrieben. Auch unsere Kommission kann diese Arbeit nicht
leisten. Das bleibt Sache der Historiker. Die Anhörung, die sich heute und
morgen mit „Motivationen, Möglichkeiten und Grenzen widerständigen und
oppositionellen Verhaltens in der DDR“ beschäftigen wird, kann nur einige
Aspekte dessen aufhellen, was so landläufig, oft aber auch recht unscharf mit
Opposition, Dissidenz, Resistenz oder gar Widerstand umschrieben wird.

Die Schwierigkeiten beginnen schon bei dem Versuch der begrifflichen Defi-
nition. Das haben übrigens bereits die Forschungen zur Widerstandsgeschichte
im Nationalsozialismus gelehrt, bei denen wir bis heute Probleme damit haben,
genau zu sagen, wo die exakten Grenzlinien gezogen werden müssen.

Die einstmals Herrschenden im Staat der SED machten sich das einfacher. Sie
leugneten schlicht jede Opposition in der DDR als prinzipiell systemwidrig.

„In sozialistischen Staaten existiert für eine Opposition gegen die herrschenden
gesellschaftlichen und staatlichen Verhältnisse keine objektive politische oder
soziale Grundlage.“

So sprachen die Funktionäre in dem offiziösen „Kleinen Politischen Wörter-
buch“, das auch im Grundlagenstudium des Marxismus-Leninismus an der
Universität in Jena verwendet wurde.

Zitat: „Da die sozialistische Staatsmacht die Interessen des Volkes verkörpert
und seinen Willen verwirklicht ..., richtete sich jegliche Opposition gegen
die sozialistische Gesellschaftsordnung gegen die Werktätigen selbst.“ Lo-
gischerweise wurde unter dieser politisch-ideologischen Voraussetzung jede
Opposition in der DDR – innerparteilich, parlamentarisch oder außerparla-
mentarisch – tabuisiert und kriminalisiert. Das Verlangen nach Zulassung einer