schließen

Fehler melden / Feedback

Angezeigte SeitenWahlperiode 12, Band VII/1, Seiten 182 und 183 (wp12b7_1_0186)
betrifft 1)
Fehlerart 1)Seiten-Überschrift falsch
Seiten-Nummer falsch
Seiten-Nummer-Position falsch (rechts/links)
falsches Bild / Bild fehlt
Seite wird nicht angezeigt
Fehler im Text
Formatierung falsch
nicht aufgeführter Fehler / nur Feedback
Ihr Name
Erklärung/Feedback 1)
(nur erforderlich, falls
nicht aufgeführter
Fehler
oder nur Feed­back)
Ihre E-Mail-Adresse 2)
1)  erforderlich
2) für Rückfragen, empfohlen
   
Wahlperiode 12, Band VII/1, Seiten 182 und 183
182
Protokoll der 68. Sitzung

nen“, und wir werden dann unter der Leitung von Dr. Jürgen Schmieder, ei-
nem Mitglied unserer Enquete-Kommission, ein weiteres Zeitzeugengespräch
haben. Zunächst aber bitte Herr Schmidt.

Andreas Schmidt: Ich bin gebeten worden, am heutigen Tage einige Ausfüh-
rungen zu dem Thema „Widerständiges Verhalten des einzelnen“ zu machen.
Ich habe auch gestern schon den Vorträgen dieser Veranstaltung beigewohnt,
habe natürlich bemerkt, auf welch vielfältige Art und Weise die Begriffe
„Opposition“, „Widerstand“, „Resistenz“ und „Dissidenz“ thematisiert wur-
den, und habe mir Gedanken darüber gemacht, inwieweit ich heute noch
einmal das widerständige Verhalten von einzelnen Menschen unter einem ganz
anderen Aspekt thematisiere. Ich möchte mich von einer ganz anderen Seite
an diese Problematik annähern, weil sie meines Erachtens gestern etwas zu
kurz kam, und zwar möchte ich über widerständiges Verhalten in dem Sinne
sprechen, daß es sehr viele Menschen gab, die sich in die aktive Verweigerung
begeben haben. Diese Vorgehensweise resultiert natürlich zu einem großen
Teil daraus, daß ich seit vier Jahren, also seit der Wende, mit den Unterlagen
der Staatssicherheit zu tun habe und mich auch vornehmlich in den letzten
Monaten mit Tatsachen und Sachverhalten aus diesen Akten beschäftigt habe,
die solch widerständiges Verhalten von Menschen wiedergeben, die vorrangig
in Situationen der Belastung und Beanspruchung durch das MfS standen und
daraus ihre eigenen Schlüsse und Konsequenzen gezogen haben.

Mir liegt weiter daran, Ihnen mit meinen Ausführungen zu verdeutlichen,
daß ich etwas mehr auch auf die inneren Befindlichkeiten, also auf die innere
Landschaft, dieser Menschen eingehen möchte, denn es war ja nicht eine
Über-Nacht-Entscheidung vieler Menschen, sich diesem Zugriff zu entziehen,
sondern oftmals liefen im Inneren sehr, sehr viele Prozesse ab.

Schließlich möchte ich meinem Vortrag einige Wahrnehmungen, Beobachtun-
gen über den derzeitigen Umgang mit Schuld und Verantwortung voranstellen.
Sie sollen dann auch ins Verhältnis gesetzt werden zu Ausführungen über
Motive, die Menschen bewogen haben, sich in widerständiges Verhalten
hineinzubegeben.

Der Zusammenbruch des politischen und wirtschaftlichen Systems der DDR
war so gründlich, daß die Benommenheit des Bewußtseins noch vier Jahre
nach der Wende die Erinnerung und das Begreifen lähmt. Sorge, Furcht und
Zittern begleiten die meisten Menschen lange Zeit bei der Erledigung ihres
existentiellen Tagewerkes. Verstörte Gefühle, Ungewißheit, schlechte Aussicht
auf Zukunft, beschädigte Ehen, intellektuelle und moralische Auszehrung
und plagende Depressionen, es wird gewühlt und gehetzt in der schadhaft
hinterbliebenen privaten und kollektiven Identität. Gewiß sind das keine guten
Zeichen, wenn man bedenkt, daß die Apathie oder auch die Entscheidung,
besser zu schweigen, die Anstrengung des Begreifens und Erinnerns weiter

183
Widerständiges und oppositionelles Verhalten

lähmt bei der Suche nach Antworten auf das eigene Involviertsein in
Verhältnisse, die keine rechtsstaatlichen waren.

Was uns in diesen Verhältnissen zugestoßen ist, ist entweder allen zugestoßen
oder uns allein. Alle tragen wir gewissermaßen das psychologische Trauma
dieser gelebten und erlebten Zeit in uns, und die bedenklichste Wirkung für
unsere unmittelbare Zukunft, so scheint es mir, erwächst aus der anhaltenden
Versuchung vieler Menschen, den latenten und akuten Gewissenskonflikt
durch Schuldabweisung oder Verdrängung zu lösen. Ich beobachte nach wie
vor die Abgeklärtheit und Mentalität, das Unrechtsgeschehen abzutun und
abzuwiegeln. Gleichzeitig erlebe ich die Verächtlichkeit gegenüber Bürgern,
die mit ihrem konkreten und mutigen Verhalten und ihrem Eintreten für andere
in der Tradition des solidarischen Verhaltens anzusiedeln sind.

Ich spüre einen Mangel an Betroffenheit gegenüber Wörtern wie Bespitzelung,
Vernehmung, Festnahme, Berufsverbot, Publikationsverbot, Auftrittsverbot,
Diffamierung, Bedrohung, Bevormundung, Entrechtung, Überwachung, Prü-
gel, Gefängnis, letztlich Zersetzung. Es ist die Raschheit und Eile, mit der
wir uns in beängstigender Weise von Bildern und Erfahrungen entfernen. Es
genügt nicht, immer wieder unter dem Eindruck dieser Bilder und Szenen
zusammenzuzucken, um dann gleich eine Ausflucht ins Gesetzbuch oder in die
Gleichgültigkeit anzutreten oder gar die Mitverantwortung an das vergangene
System zu delegieren. Viele nehmen sich nicht als Produzenten und Täter,
sondern als Produzierte und Opfer wahr, erzeugt von den Umständen und
einem übermächtigen System, das sie nicht gemacht, sondern vorgefunden
haben.

Auch aus dieser Sichtweise kommt vielleicht die Irritation, mit der viele
Menschen jegliche Diskussion über Schuld und Verantwortung verweigern.
Entweder meinen sie, die Schuld sei gleich verteilt, woraus notwendigerweise
folgt, daß alle letztlich schuldlos sind, weil alle schuldig sind, oder es heißt:
„Wir haben jetzt Wichtigeres zu tun.“ Nicht zuletzt registriere ich bei vielen
Menschen den intakten Wunsch nach einem guten Gewissen. Ich bezeichne
diesen Wunsch als Sucht: Was nicht zur Entschuldigung verrechnet werden
kann, wird verdrängt oder führt zu dumpfen, unbedenklichen Wörtern oder zu
schwerelosen Unterhaltungen.

Die andere Seite ist, daß die Frage des eigenen Tuns und Lassens, die
Frage nach der eigenen Schuld und der eigenen Verantwortung in allen
Nuancen und in ihrer ganzen Spielbreite vor allen Menschen steht, die
der gesellschaftlichen Entwicklung über Jahre hinweg als Dramaturgen,
Regisseure, Haupt- und Kleindarsteller sowie Statisten bis zum bitteren Ende
beigewohnt haben. Diese Frage richtet sich offenkundig an die Mehrzahl der
Menschen, also an all jene, die so oder so in diesem Land lebten und am
eigenen Leibe die Verwebung ihrer Biographie mit dieser gesellschaftlichen
Wirklichkeit erfahren haben. Es sind immer wieder Menschen mit dem