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Wahlperiode 12, Band VII/1, Seiten 224 und 225
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Protokoll der 68. Sitzung

ätzen, doch der mir dabei half, verlor beinahe seine Arbeitsstelle. Ich gab
nicht auf, ließ im nicht-Karl-Marx-städtischen „Ausland“, in Gera, neue
Klischees ätzen und mit der alten Druckgenehmigung, die ja eigentlich nicht
mehr gültig war, im nicht-Kreis-Werdauer „Ausland“, wo man auch nicht
so genau durchgesehen hat, in Meerane, drucken. So nah am Ziel, kurz
vor der Verteilung, schlug die Stasi zu, mit nächtlichen Verhören und einem
unglaublichen Aufwand an Personen, Fahrzeugen und Technik, meine Familie
zu demoralisieren, bis ich die inzwischen 7.000 Karten aus dem Karton – da
paßten nämlich 1.000 Stück mehr hinein – einzeln auf den Schreibtisch zählte,
was ich dann im VPKA Werdau tun mußte – einzeln, „daß ihm auch nicht
eines fehle von der ganzen Zahl“.

Eine Handvoll dieser Karten, die ich, eigentlich für jedermann zugänglich,
am Blumenständer bei uns im Treppenhaus versteckt hatte, fehlte allerdings
doch. Die konnte ich hinüberretten, und zwei Stück der Karten, zwei Stück
von 7.000, sind postalisch echt gelaufen, seltener als die blaue Mauritius.
(Beifall)

Es war schon für mich ziemlich hart, so nah am Ziel zu sein und dann diese
Enttäuschung zu erleben. Der Kulturbund war inzwischen abgesprungen. Die
hatten Angst bekommen. Aber eine Woche darauf war Friedensseminar. Ich
hätte die Karten dort unter die Leute bringen können, und weg wären sie
gewesen. Aber leider schlugen sie ein paar Tage zuvor zu.

Vier Jahre lang bemühte ich mich, gegen kirchliche Vorbehalte, gegen staat-
liche Bürokratie und finanzielle Hürden den großen Martin-Luther-King-
Dokumentarfilm „... dann war mein Leben nicht umsonst“ in die DDR zu
bekommen. Um die mehr als 3.000 Westmark dafür zusammenzukriegen,
schmuggelte ich in mehr als 100 Briefen Sammlerbriefmarken in die BRD, und
Freunde aus der westdeutschen Friedensbewegung halfen mir mit Spenden.
1987, nach vier Jahren, konnte die DDR-Erstaufführung des Films bei uns
in Werdau stattfinden. In den zwei Jahren bis zu den Oktoberdemos 1989
erreichte der Film in 138 Aufführungen in der DDR, zumeist in kirchlichen
Räumen, mehr als 10.000 Zuschauer. Ich bin davon überzeugt, daß die
Beschäftigung mit Leben, Kampf und Gedankengut Martin Luther Kings in
Kirchengemeinden und Friedensgruppen den Geist der Gewaltfreiheit in den
Friedensgebeten des 89er Herbstes, aus denen die Demonstrationen hervor-
gingen, mitgeprägt und so zum gewaltfreien Verlauf der DDR-Revolution
beigetragen haben.

Möglichkeiten zu oppositionellem Handeln in der DDR gab es viele. Woran
es den meisten Menschen mangelte, war vor allem Zivilcourage. Für die
Grenzen bestanden keine festen Regeln, sie mußten im Einzelfall immer
wieder ausgelotet, das Risiko abgewogen werden, wann Zivilcourage zuviel
Courage werden konnte. Kriterien konnten sein, wann ein gewisses Maß an
Öffentlichkeit überschritten wurde oder welchen Rückhalt man in einer Gruppe

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Widerständiges und oppositionelles Verhalten

oder bei der Kirche hatte. Die Einbeziehung von West-Medien lehnten sowohl
ich als auch unser Friedensseminar ab.

„Zivilcourage – zuviel Courage“ oder „Die Marder sind unter uns“? In meiner
rund 2.500 Seiten zählenden Stasi-Akte wurde ich als Operativer Vorgang
„Marder“ geführt. Im Eröffnungsbericht heißt es,

„daß der Verdächtige bestrebt ist, die für die kapitalistischen Verhältnisse
entwickelte Kampfesform des gewaltlosen Widerstandes auf die sozialisti-
schen Verhältnisse in der DDR zu übertragen und eine Bürgerrechtsbewe-
gung ins Leben zu rufen.“

Was aber dann folgt auf meine Versuche, innerhalb und außerhalb der Struk-
turen etwas zu bewegen in dieser Gesellschaft, ist ein permanentes bewußtes
Mißverstehen, Mißverstehen im doppelt negativen Sinn: Mißverstehen nicht
nur zum Nachteil des Mißverstandenen, sondern auch zum Nachteil des
Mißverstehenden. Ein solches System hat sich selbst zum Scheitern verur-
teilt.

Aber für mich wäre der Rückzug in die Nische oder der Gang nach dem
Westen nichts gewesen. Das politische Engagement hat viel Zeit, Kraft und
Gesundheit erfordert. Aber ich bzw. wir haben uns in der DDR mehr Freiheit
genommen, als uns zugeteilt wurde. Und wir haben dabei Solidarität, Liebe
und Glück, Hoffnung und Bewahrung erlebt. (Beifall)

Gesprächsleiter Dr. Jürgen Schmieder (FDP): Vielen Dank auch Ihnen,
Herr Meusel.

In Anbetracht der fortgeschrittenen Zeit sollten wir die Fragerunde einleiten.
Aufgrund dessen, daß die Anhörung darauf angelegt war, den einzelnen hier
die Möglichkeit zu geben, über ihr Schicksal zu berichten, müssen freilich die
Fragen etwas in den Hintergrund treten. Bei der Worterteilung gehe ich in der
Reihenfolge der Wortmeldung vor. Erster ist Markus Meckel.

Abg. Meckel (SPD): Die erste Frage an den Referenten des Morgens: Wir
haben an konkreten Beispielen sehr eindrücklich gehört, wie sich eine ganze
Reihe von Menschen der Anwerbung als Informelle Mitarbeiter verweigert
haben. Das fand ich sehr beeindruckend. Kann man dies oder ähnliches nach
Ihrer Einschätzung auf andere Ebenen der Verweigerung übertragen, das heißt,
also in die Schule, in die Hochschule, ins Berufsleben? Gibt es dafür auch
Beispiele, die Sie natürlich jetzt nicht alle darstellen konnten, in den Akten,
die Sie mit auswerten und zur Verfügung haben?

Die zweite Frage geht an Michael Beleites und bezieht sich insbesondere
auf den letzten Teil, der weniger seine Arbeit damals, die schon einmal
dargestellt worden ist, sondern die Frage der Rehabilitierung wegen beruflicher
Benachteiligung betrifft. Könntest Du die Frage der Möglichkeiten eines
Studiums und das, was Du hier für notwendig erachtest, vielleicht doch noch
einmal kurz inhaltlich benennen?