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Wahlperiode 12, Band VII/1, Seiten 234 und 235
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Protokoll der 68. Sitzung

Dingen, die von außen kamen, die man nicht selbst mitentschieden hat, nennt,
so muß eine solche Möglichkeit und Fähigkeit nicht mit dem Vorhandensein
eines Geheimdienstes zusammenhängen. Die Möglichkeit und Fähigkeit, zu
Dingen nein zu sagen, die man nicht möchte, muß es doch überhaupt im
menschlichen Leben geben.

Michael Beleites: Man hatte sich im DDR-System, egal, ob Stasi oder FDGB,
wohl immer zu entscheiden zwischen einem äußeren Konflikt und einem inne-
ren Konflikt. Wenn man mitmacht, hat man äußerlich Ruhe, aber man kommt
innerlich in einen Konflikt, wenn man etwas tut, was man eigentlich überhaupt
nicht will und was man für absurd hält. Wenn man nicht mitmacht, kann man
reinen Gewissens leben, aber kommt äußerlich in unwahrscheinliche Konflikte
mit kaum absehbaren Folgewirkungen, zum Teil auch für Familienangehörige.
Deswegen war die Frage der Verweigerung immer eine Entscheidung für einen
inneren oder für einen äußeren Konflikt. Diejenigen, die sich für das letztere
entschieden, waren dann die Oppositionellen. Die Verweigerung setzte meist
dort ein, wo man sich unmittelbar in seiner Würde verletzt fühlen mußte,
wenn man Erwartungen, die an einen herangetragen wurden, entsprochen
hätte. Deswegen meine ich, daß das Gefühl für die Würde mit eine große
Rolle gespielt hat.

Bernd Steinert: Ich möchte nicht zur Verweigerung, sondern zu dem Problem,
das mich speziell beschäftigt hat, etwas sagen, zur Personalunion: Die
Leute der SED waren oft gleichzeitig im MfS oder im FDGB oder waren
Wirtschaftsfunktionäre. Alles war so miteinander verquickt, daß man das gar
nicht auseinanderdividieren kann. Der Anspruch kam manchmal nur von einer
Seite, aber der ganze Apparat stand oft dahinter.

Noch etwas zu meiner Geschichte, zur Exmatrikulation hier in Jena 1961: Ich
habe natürlich, obwohl ich nicht aktiv in der Studentengemeinde war, auch
den Studentenpfarrer Klaus Peter Hertzsch angesprochen. Er hatte offenbar
überhaupt kein Ohr für meine Thematik. Er ist inzwischen Professor geworden
und ist sehr viel schriftstellerisch tätig. Aber er hatte für diese Problematik
überhaupt kein Ohr. Später habe ich in der Kirche erfahren – ich bin mit
einer Illusion aus dem staatlichen in den kirchlichen Bereich gegangen, wurde
Diakon und habe im diakonischen Bereich viel gearbeitet –, daß demokratische
Spielregeln bei weitem nicht in der Kirche praktiziert wurden, obwohl dort
möglich gewesen wäre, daß man Demokratie auch an der Basis praktiziert.
Gerade dort ist es großenteils nicht gelaufen.

Gesprächsleiter Dr. Jürgen Schmieder (FDP): Es ist schade, daß wir an
dieser Stelle aus der Diskussion aussteigen müssen. (Beifall)

Ich möchte mich ganz herzlich bei allen bedanken, die sich hier als Zeitzeugen
zur Verfügung gestellt und Ihr offenes Ohr gefunden haben. Ich möchte mich
bei Ihnen, bei den Jenaern, bei den Gästen, die unserer Anhörung beigewohnt

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Widerständiges und oppositionelles Verhalten

haben, ganz herzlich dafür bedanken, daß Sie mit uns gemeinsam hier zugehört
haben. (Beifall)

Ich übergebe das Wort an Herrn Eppelmann.

Vorsitzender Rainer Eppelmann: Ich möchte, weil ich draußen ein bißchen
enttäuscht angesprochen worden bin, noch einmal in eigener Sache etwas
sagen. Ich kann mir vorstellen, daß jemand, der nicht genau weiß, womit
wir uns in den letzten Monaten beschäftigt haben, sich darüber wundert,
daß der 17. Juni 1953 kaum hier vorkommt. Das ist Thema eines ganzen
Tages gewesen. Also wundern Sie sich nicht, daß der 17. Juni hier heute
keine zentrale Rolle gespielt hat. Dieses Thema haben wir schon vor Monaten
bearbeitet.

Den zweiten Vorwurf, daß die Jenaer hier nicht so richtig zur Geltung
gekommen sind, habe ich nicht verstanden und muß sagen, eigentlich ist der
ganze gestrige Abend nur von Jena geprägt gewesen, von denen, die hier in
Jena Widerstand versucht haben. Nehmen Sie bitte zur Kenntnis: Wir haben
bisher keine einzige deutsche Stadt so ausgezeichnet, wie wir das mit Jena
getan haben. (Beifall)

(Unterbrechung von 12.40 bis 13.30 Uhr)

Vorsitzender Rainer Eppelmann: Wir fahren mit der Sitzung fort.
Wie angezeigt, hören wir jetzt zunächst Martin Gutzeit zum Thema „Wi-
derstand und Opposition in den achtziger Jahren. Von der Formierung der
Opposition bis zum Sturz der SED-Diktatur“, und danach gibt es unter
Moderation von Professor Wilke ein Gespräch mit Zeitzeugen zu diesem
Thema. Zunächst aber hören wir Martin Gutzeit, den Landesbeauftragten für
die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes der ehemaligen DDR in Berlin.

Martin Gutzeit: Ich möchte meinen Ausführungen einige Vorbemerkungen
vorausschicken, die sich auf die Bedeutung der Opposition für diesen ganzen
Umbruch beziehen, und zwar zu einer Diskussion, die wir in der Enquete-
Kommission geführt haben.

Für den Zusammenbruch des SED-Regimes, wie jenes Ende einer mehr
als 40-jährigen Herrschaft auch genannt wird, finden sich heute viele Väter
und Mütter. Ich erinnere unter anderem an die Aussagen vieler Zeitzeugen,
insbesondere aus der alten Bundesrepublik, die wir vor der Kommission
hörten. Dieser Zusammenbruch und die folgende deutsche Einheit erscheinen
als das Resultat einer konsequent auf die Wiedervereinigung zustrebenden
Politik seit Beginn der Bundesrepublik. Dennoch stellen sich Fragen, deren
Beantwortung so leicht nicht fällt:

Weshalb war denn die politische und intellektuelle Elite des Westens so
überrascht von dem, was dann im Verlauf des Jahres 1989 in der DDR
geschah? Weshalb verlor diese DDR entgegen der Einschätzung der meisten
Beobachter im Westen so schnell die Stabilität, die sie so lange vorzugaukeln