schließen

Fehler melden / Feedback

Angezeigte SeitenWahlperiode 12, Band VII/1, Seiten 244 und 245 (wp12b7_1_0249)
betrifft 1)
Fehlerart 1)Seiten-Überschrift falsch
Seiten-Nummer falsch
Seiten-Nummer-Position falsch (rechts/links)
falsches Bild / Bild fehlt
Seite wird nicht angezeigt
Fehler im Text
Formatierung falsch
nicht aufgeführter Fehler / nur Feedback
Ihr Name
Erklärung/Feedback 1)
(nur erforderlich, falls
nicht aufgeführter
Fehler
oder nur Feed­back)
Ihre E-Mail-Adresse 2)
1)  erforderlich
2) für Rückfragen, empfohlen
   
Wahlperiode 12, Band VII/1, Seiten 244 und 245
244
Protokoll der 68. Sitzung

es: „Vorstellungen nach einer einheitlichen zentralen Führung aller kirchlichen
Basisgruppen trat die Mehrzahl der Teilnehmer entgegen und beharrte auf
der Position der Beibehaltung ihrer Eigenständigkeit. So fanden Vorschläge,
dem Friedensseminar eine feste Struktur im Sinne einer Vereinheitlichung,
die künftig die Gruppen gegenüber Staat und Kirche vertreten solle, zu
geben, nicht die Zustimmung. Auch trafen Versuche des hinlänglich wegen
seiner feindlich-negativen Haltung bekannten Pfarrers Tschiche, während
des Friedensseminars seine Absichten zur Gründung einer ’Vereinigung
zur Erneuerung der Gesellschaft’ zu erläutern und Interessenten für dieses
Vorhaben zu gewinnen, wenig Resonanz.“ – Das war im Februar 1989.

Anfang 1989 findet sich also noch eine gewisse Ambivalenz der Situation.
Es gibt schon einige eher spontane Aktionen, eigene politische Ansprüche
im öffentlichen Raum der Gesellschaft zu artikulieren. Ich erwähne die
Montagsgebete in Leipzig. – Dazu werden wir nachher vielleicht noch
etwas hören. Über die Leipziger Taktik wird Christian Dietrich wohl etwas
sagen. – Dabei kann man sich aber schon auf die Möglichkeiten DDR-
weiter informeller Zusammenarbeit, das heißt auch Solidarität, verlassen.
Dies wird auch bei den Kommunalwahlen im Mai 1989 relevant, bei denen
Informationen in Teilbereichen, aber auch über die DDR hinaus ausgetauscht
werden. Dabei ist für die Organisation auch die „Solidarische Kirche“, ein
DDR-weites Kontaktnetz, wichtig. Ein wichtiges Tabu des SED-Regimes ist
gebrochen.

Zugleich gibt es aber immer noch Hemmnisse, die meines Erachtens in einem
noch nicht überwundenen begrenzten Denk- und Handlungshorizont gründen.
Dies zeigt sich im Verhalten zu dem genannten Vorschlag von Tschiche,
den dieser auch schon 1988 gemacht hatte. Es betrifft die Entschlossenheit,
öffentlich und selbstbewußt die totalitären Ansprüche der SED zu bestreiten,
zugleich eigene politische Anspruche auf Teilhabe an der Macht zu artikulieren
und politische Organisationsformen zu installieren, mit denen sich solche
Ansprüche auch politisch durchsetzen lassen.

Zugleich sind zu dieser Zeit politische Ordnungsvorstellungen wie „Rechts-
staat“, „Gewaltenteilung“ und parlamentarische Demokratie“ als prioritäre
Forderungen noch keineswegs Konsens. Gegenüber dem Modell westlicher
Demokratie bestehen bei vielen noch Vorbehalte, und ein schlüssiges Gegen-
konzept gibt es nicht. Überhaupt ist das Verhältnis zur Macht sehr gespalten.
Auf die Frage, ob sie bereit wären, den Posten eines Innenministers zu
übernehmen, hätten die meisten wahrscheinlich gelacht und sehr ablehnend
reagiert; ich habe das Experiment damals gemacht.

Ähnlich verhielt es sich mit dem Konzept politischer Parteien. Markus Meckel
hat übrigens im Februar 1989 in Greifswald auch den Vorschlag zur Gründung
einer sozialdemokratischen Partei ins Spiel gebracht und ist natürlich auf
Ablehnung gestoßen.

245
Widerständiges und oppositionelles Verhalten

Im ersten Halbjahr 1989 gab es dann verschiedene Überlegungen und
Gespräche über Handlungsformen, in denen sich Opposition in der DDR
formieren sollte. Das ging dann auch schon recht zügig, wobei unterschiedliche
Konzepte im Blick waren. Die Sozialdemokraten waren nicht die einzigen,
die von einer Partei redeten; es gab auch andere. Aber prägend und tragend
waren doch jene Konzepte, die eine Entwicklung von unten, eine Bewegung
erwarteten, die einen Prozeß der Demokratisierung und Öffnung, des Dialoges
voranbringen sollte. Das also war das tragende Konzept; diese anderen Dinge
wurden eher stark ablehnend betrachtet.

Ein anderer wichtiger Aspekt für den Handlungshorizont der oppositionellen
Gruppen ist die Frage, wie sich die Mehrheit der Bevölkerung gegenüber dem
ideologischen Loyalitätsdruck des Systems verhielt. Nicht zuletzt das Anwach-
sen der Ausreisewelle im Verlauf des Jahres 1989 gab recht eindeutige Zeichen
dafür, daß quer durch alle Schichten der Bevölkerung der DDR der Loyalitäts-
und Vertrauensverlust gegenüber der SED massiv fortgeschritten war. Als
Bedingung für die Ausbildung der Opposition im Herbst 1989 muß dies mit
in den Blick genommen werden. Daß die Formierung oppositioneller Parteien
und Gruppierungen im Herbst jenen Loyalitätsverlust wesentlich beschleunigt
und überhaupt dieser Bewegung von unten auch inhaltliche, politische Ziele
gegeben hat, ist die andere Seite. Beides gehört zusammen, die Formierung der
Opposition und der Aufstand des Volkes gegen die totalitären Anmaßungen
der SED. Die Frage, wer denn die Revolution gemacht habe, die Opposition
oder das Volk auf der Straße, das mehr und nachher sogar die deutsche Einheit
wollte, wird zum Teil ja alternativ behandelt. Ich denke aber, daß sich beide
Seiten nicht voneinander trennen lassen. (Beifall)

Gesprächsleiter Prof. Dr. Manfred Wilke: Vielen Dank, Martin Gutzeit. –
Der letzte Satz hat darauf hingewiesen, daß wir uns bei dem Unternehmen,
daß wir jetzt vor uns haben, auf diese Zusammenhänge beziehen sollten.

Dieses Podium steht unter der Überschrift: „Von der Formierung der Opposi-
tion bis zum Sturz der SED-Diktatur.“ Was das Vorgehen betrifft, so ist der
erste Ansatz, dieses Thema chronologisch zu gliedern, einhellig verworfen
worden. Wir verstehen die beiden Podien, die wir jetzt noch vor uns haben,
als technisch bedingten Ablauf.

Wir werden bei diesem ersten Podium die Abgeordneten und die Sachver-
ständigen der Kommission noch nicht in die Diskussion einbeziehen. Dann
wird das zweite Podium stattfinden, und in der sich daran anschließenden
Diskussion werden alle Teilnehmer zu Wort kommen können.

Zu Beginn bitte ich diejenigen, die hier vorn auf dem Podium sitzen, uns
kurz biographisch zu berichten, wie denn sie den Weg von der Resistenz
zur Opposition oder zur Verantwortung gefunden haben. – Katrin Eigenfeld,
würden Sie bitte beginnen!