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Wahlperiode 12, Band VIII, Seiten 648 und 649
648
Protokoll der 45. Sitzung

verteidigen, neue Positionen unter Einsatz ihres „alten“ Wissens zu erreichen,
ihre Strafverfolgung zu vereiteln und das Bild der Vergangenheit in ihrem
Sinn zu verfälschen.

Es wäre gewiß ein grundlegender politischer Fehler, solche Eindrücke zu
verharmlosen. Viele Menschen in den neuen Bundesländern gehen dabei von
dem aus, was sie im Betrieb, in der Verwaltung, in der Universität und in
der Öffentlichkeit selber erleben. Es muß also sehr ernsthaft über alles das
gesprochen werden, was das Stichwort „Seilschaften“ heute meint.
Dabei darf es kein Vertuschen der Wahrheit geben, wenn sie auch im Einzelfall
bitter sein mag. Wo immer solche „Seilschaften“ schädigend am Werk sind, ist
öffentlicher, politischer und notfalls auch juristischer Widerstand notwendig.
Es geht hier um unser aller Zukunft, die Zukunft der Menschen in der vereinten
Bundesrepublik Deutschland.

Gerade deswegen, weil ich das mit allem Ernst hier sage, möchte ich aber
auch darum bitten, mit dem Vorwurf „Seilschaft“ sehr sorgfältig umzugehen.
Wir sollten uns unsere Wertungen sehr genau überlegen. Sind wir wirklich
gerecht in unserem Urteil? Wir sollten doch bis zu einem gewissen Grad
sogar Verständnis dafür aufbringen, wenn Menschen, die sich wegen ihrer
Verflochtenheit in die Strukturen der SED-Diktatur heute benachteiligt oder
ausgegrenzt fühlen, sich untereinander solidarisch verhalten – bei diesem
Verständnis allein aber dürfen wir nicht stehenbleiben!

Es hängt von unserem politischen Willen und unseren menschlichen Fä-
higkeiten ab, ob es uns gelingt, solchen Menschen, die sich da zu einer
„Seilschaft“ der alten Kräfte verbunden haben, neue Wege zu öffnen. Wo
die Wege, um ins Bild zurückzukehren, die Wege ebener werden, kann man
sich von dem Seil lösen, sich wieder auf sich selbst verlassen und sich anderen
Menschen zuwenden. Ich weiß, daß solche Vorstellungen denen, die sich
durch das Wirken alter „Seilschaften“ abgestoßen und bedroht fühlen, utopisch
vorkommen müssen. Ich gebe aber die Hoffnung nicht auf, daß es uns mit
Geduld und Beharrlichkeit, mit Sachlichkeit und klarem Urteil, mit politischem
Unterscheidungsvermögen und der Bereitschaft zur Zusammenarbeit, wo diese
tatsächlich vorhanden ist, gelingen kann und gelingen muß, solche alten
„Seilschaften“ aufzulösen. Die Menschen, die hier noch eingebunden sind,
müssen auf ihrem neuen Weg in ihre gemeinsame Zukunft begleitet werden.
Ich hoffe, daß diese Anhörung und daß Sie, die Sie hierhergekommen sind,
Ihren Teil gerade dazu beitragen.

Es ist zunächst daran gedacht, daß Fachleute in etwa jeweils 20 Minuten uns
grundsätzlich einführen in bestimmte Bereiche unseres wirtschaftlichen oder
öffentlichen Lebens, in dem dieses Stichwort „Seilschaften“ in den neuen
Bundesländern vom Leben der Menschen her eine Rolle spielt. Und wir wollen
dann nachher in einem zweiten Teil konkrete Menschen, sogen. Zeitzeugen
hören, die von dem, was sie tatsächlich erlebt haben, erzählen können. Es

649
Seilschaften in den neuen Bundesländern

beginnt der Oberstaatsanwalt beim Landgericht Berlin, Herr Dr. Erbe, zum
Thema „Seilschaften aus der Sicht der Staatsanwaltschaft“.

Oberstaatsanwalt Dr. Joachim Erbe: Herr Vorsitzender, meine Damen und
Herren! „Seilschaften aus der Sicht der Staatsanwaltschaft“ ist das Thema
meiner kurzen Ausführungen. Man könnte es sich einfach machen und dieses
Thema mit einer Antwort versehen dergestalt, daß „Seilschaften“ für die
unmittelbare Ermittlungstätigkeit der Staatsanwaltschaft ohne jede Bedeutung
sind, und damit könnten wir dieses Thema abhaken und uns anderen Dingen
zuwenden. Es hat bestimmte Gründe, daß sie unmittelbar ohne jede Bedeu-
tung sind. Denn es gibt entgegen landläufiger Meinung eben keinen eigenen
Tatbestand derart, daß es etwa strafbar wäre, sich in „Seilschaften“ in dem
beschriebenen Sinne zu betätigen. Es gibt keine besondere Form des Betrugs-
oder Untreuetatbestandes, der etwa als Strafzumessungsvorschrift noch bein-
haltet, wer im Zusammenhang mit alten überkommenen Strukturen Betrug
oder Untreue begeht, daß der in besonderem Maße strafwürdig ist. Es gibt, und
das ist beklagenswert, darauf werde ich später noch einmal zurückkommen,
keine über die Ermittlungsmöglichkeiten, die uns die Strafprozeßordnung in
die Hände legt, hinausgehenden, auf konkrete Seilschaften bezogenen Rechts-
grundlagen, etwa für Offenbarungspflichten über die Herkunft von geradezu
atemberaubend hohen Vermögenswerten, die drei Jahre nach der deutschen
Einheit im Laufe der Zeit in der Wirtschaft plaziert und gewinnbringend
angelegt worden sind. Und es gibt darüber hinaus, wenn man sieht, daß diese
Seilschaften eben als eine Art Notgemeinschaften naturgemäß nicht auf die
Grenzen Deutschlands beschränkt arbeiten, eben auch kaum Möglichkeiten, in
derselben Geschwindigkeit, wie diese Personen tätig werden, oder in derselben
Geschwindigkeit, wie sie Gelder bewegen, diesen Geldern hinterherzulaufen,
gar die Gelder zu fassen oder diese Gelder demjenigen zurückzugeben durch
Beschlagnahme, dem sie gehören, nämlich dem Staat. Das liegt daran, daß wir
mit den internationalen Rechtshilfevorschriften in Form, Diktion und Aus-
übung immer noch im vorigen Jahrhundert behaftet sind und daß die Täter
über weitestgehende moderne Kommunikationsmöglichkeiten verfügen und in
der Lage sind, eben auf Telefonanruf hin Beträge in Millionenhöhe hin und
her zu bewegen.

Betrachtet man dagegen von der Systematik der vereinigungsspezifischen
Wirtschaftskriminalität, und nur darüber kann ich reden, das Problem der
Seilschaften, dann haben sie auch mittelbar für die Ermittlungen, die wir
zu führen haben, ein ganz erhebliches Interesse. Das hängt einmal damit
zusammen, daß uns naturgemäß die Zusammensetzung des Täterkreises, mit
dem wir uns zu befassen haben, nicht egal sein kann, einmal deshalb, weil –
ich will jetzt nicht das Wort von der kriminellen Vereinigung benutzen,
denn das ist von der Rechtsprechung anders ausgelegt worden, als man
es vielleicht bei manchen Seilschaften für angemessen betrachten könnte –