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Wahlperiode 12, Band VIII, Seiten 654 und 655
654
Protokoll der 45. Sitzung

sind rd. 30 sogen. Großverfahren. Das können Sie nicht vergleichen mit
irgendeinem Banküberfall. Großverfahren bedeutet, daß wir ein Verfahren
haben, wo etwa die Hälfte dieses Raumes allein mit Beweismaterial gefüllt ist.
Etwa 30 dieser Großverfahren ranken sich um Seilschaften. Ich kann Ihnen
auch anonymisiert kaum Einzelbeispiele nennen. Doch zur Skizzierung der
Grundproblematik, die ich weniger als strafrechtliche Grundproblematik sehe,
sondern als eine Frage der Moral, der Gerechtigkeit, vielleicht zwei Beispiele:
Wir hatten ein Ermittlungsverfahren, in dem es darum ging, daß die nunmehr
als Gesellschafter einer privatisierten Treuhandfirma auftretenden Personen
Geld zur Verfügung hatten, das sie eigentlich von ihrem Vorleben her nicht
zur Verfügung hätten haben können. Das will sagen, sie waren über Nacht
in der Lage, einen Riesenbetrieb im Rahmen der Privatisierung aufzukaufen,
und es war kein Geld, was sie zuvor aus diesem Betrieb entnommen hatten,
das ließ sich nachweisen, und es war Geld, dessen Quelle bis heute im
Dunkeln ist. Wir wissen nicht, woher dieses Geld kommt. Wir hatten dann
in diesem Zusammenhang wegen des Vorwurfs der Untreue durchsucht und
dabei festgestellt, daß also das Geld, was dort reichlich vorhanden war, eben
nicht nur bei den unmittelbaren Gesellschaftern vorhanden war, sondern ich
habe dann auch einmal Kontoauszüge der Ehefrau eines der Gesellschafter
gesehen, einer Ehefrau, Hausfrau, die nie berufstätig war. Die hat auf ihrem
Girokonto zinslos 480.000 DM. Der Beschuldigte, darauf angesprochen, wie
denn das kommt, daß seine Ehefrau 480.000 DM auf ihrem Girokonto hat,
antwortet: „Das ist die Manövriermasse, die meine Frau braucht. Ihre Frau
etwa nicht?“ Ich bin damit täglich konfrontiert, das macht mir nicht viel
aus. Und trotzdem kann ich den Zorn derjenigen verstehen, die im Rahmen
der weiteren, ich nenne das mal „Privatisierungspolitik“ dieser Gruppe von
Leuten auf die Straße gesetzt worden sind und dann irgendwann einmal hören,
daß diese Ehefrau, die nichts in ihrem Leben weiter gemacht hat als Ehefrau
und Hausfrau zu sein, über 480.000 DM West Manövriermasse verfügt. Das
ist nicht gerecht, das ist nicht moralisch, hat nichts Strafrechtliches an sich,
weil ich nicht weiß, woher diese 480.000 DM kommen, aber das ist nicht
in Ordnung. Es kommt hinzu, daß wir Anhaltspunkte z. B. haben aus einem
anderen Ermittlungsverfahren, wo es um die Verwendung von sogen. Ope-
rativgeldern des Ministeriums für Staatssicherheit geht. Es gab eine Zeit in
einzelnen MfS-Bezirksverwaltungen, wo vorhandene Gelder eingesetzt werden
sollten, um den Nachrichtendienst der DDR, der ja kurzfristig in Gründung
befindlich und wieder nicht mehr in Gründung befindlich war, auch über die
kommenden, aus damaliger Sicht schlechten Zeiten hinwegzuretten. Es wurden
also Operativgelder verwandt, um Firmen zu gründen, deren einziger Zweck
sein sollte, aus ihrer wirtschaftlichen Tätigkeit heraus Operativgelder für einen
Geheimdienst, der gar nicht mehr existieren konnte, zu erwirtschaften. Dann
hat man gesehen, daß diese Zweckrichtung vielleicht auch bei wirtschaftlicher
Betrachtung nicht die ideale ist und hat dann – und da gibt es Vermerke

655
Seilschaften in den neuen Bundesländern

darüber, die wir in einzelnen Verfahren gefunden haben – eine Zweckänderung
dieser Firmenpolitik vorgenommen und zwar mit dem Ziel, die Leute sozial
abzufedern aus den Geldern, die diese Firmen zu erwirtschaften hatten. Auch
das ist eigentlich kaum ein strafrechtlicher Vorwurf, aber man fragt sich,
muß derjenige tatsächlich abgefedert werden, der zu DDR-Zeiten auf weichen
Federn bereits gebettet war.

Ich will sagen, wir haben in vielen Fällen Ermittlungsanhaltspunkte. Wir haben
in vielen Fällen unsere Schwierigkeiten mit den Seilschaften. Wir haben sehr
viele personelle Schwierigkeiten. Wir haben Schwierigkeiten damit selbst als
Wessis, das moralisch zu verkraften. Es hat keinen unmittelbaren Einfluß, es
wäre nur wünschenswert, wenn man sich vielleicht daran erinnern könnte,
daß auch die vereinigungsspezifische Wirtschaftskriminalität eben eine natio-
nale Aufgabe sein könnte. Wir haben immer das Gefühl, daß wir auf einem
Tretroller unseren in einem Sportwagen sitzenden Tätern hinterherfahren.
Ich danke Ihnen.

Vorsitzender Rainer Eppelmann: Herzlichen Dank, Herr Dr. Erbe, gerade
auch für die zwei Bilder, die bei mir hängengeblieben sind. Vielleicht
gibt es eine Möglichkeit, nachher in der Diskussion das auch noch einmal
nachzufragen – was sagt dieses ernüchternde Bild von dem Tretroller und
dem Sportwagen? Und auch das zweite Bild, ich hoffe, daß das vielleicht
ein bißchen klarer wird. Wie groß ist denn der Würfel im Verhältnis zu dem
Eisberg? Herzlichen Dank.

Den nächsten, den ich bitten möchte, jetzt hier zu seinem Kurzreferat nach
vorne zu kommen, ist Herr Ministerialdirektor a.D. Dr. Albrecht Krieger. Er
ist einer der Vertrauensbevollmächtigten beim Vorstand der Treuhand Berlin.
Sein Thema: „Erfahrungen mit Seilschaften und der politischen Vergangenheit
von Führungskräften in Treuhandunternehmen“. Wie groß ist denn bei Ihnen
der Eiswürfel, Herr Dr. Krieger?

Dr. Albrecht Krieger: Herr Vorsitzender, ich werde versuchen, Ihre Frage zu
beantworten. Herr Vorsitzender, meine sehr verehrten Damen und Herren!
Sie können es der Tagesordnung entnehmen, daß ich Ihnen über meine Er-
fahrungen als Vertrauensbevollmächtigter beim Vorstand der Treuhandanstalt
berichten soll. Wir sind in diese Funktion zwei Wochen nach der Wiederver-
einigung Deutschlands, also vor fast drei Jahren, und übrigens aufgrund einer
persönlichen Initiative des Bundeskanzlers berufen worden mit dem Auftrag,
Hinweisen auf die politische Vergangenheit von Personen in leitenden Funk-
tionen der von der Treuhandanstalt verwalteten Unternehmen nachzugehen.
Insgesamt gab es bei der Treuhandanstalt siebzehn Vertrauensbevollmächtigte,
alles pensionierte hochrangige Richter oder Justizbeamte, zwei beim Vorstand
hier in Berlin und je einer bei den fünfzehn Niederlassungen der Treuhandan-
stalt. Ich selbst komme aus dem Bundesministerium der Justiz und habe dort
die Abteilung Handels- und Wirtschaftsrecht geleitet.