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Wahlperiode 12, Band IX, Seiten 30 und 31
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Protokoll der 13. Sitzung

Argument nicht mehr nachschieben können, sondern ihm gleich ermöglichen,
im Bündel darauf zu antworten.

Ich darf Sie dann bitten vorzutragen, Herr Wassermann.

Dr.h.c. Rudolf Wassermann: Herr Schroeder, erlauben Sie mir, ein wenig
zu der Überraschung zu sagen, von der Sie gesprochen haben, nämlich
darüber, daß ich mich als liberaler Rechtspolitiker für die Verfolgung der
Funktionärskriminalität in der DDR einsetze.

Ich war Präsident des Landgerichts Frankfurt am Main, das die Hauptlast bei
der Aufarbeitung des NS-Unrechts zu tragen hatte. Ich habe protestiert, als das
Berliner Landgericht den Volksgerichtshofrichter Rehse freisprach. Es handelt
sich also um eine kontinuierliche Weiterarbeit.

Ich habe jetzt die Sorge, daß wir, wenn wir hier Herrn Dencker folgen, zu
einem Ergebnis kommen, das diese Riesenarbeit, die die deutsche Justiz bei der
Aufarbeitung der NS-Verbrechen geleistet hat, als unrechtmäßig qualifiziert.
(Beifall)

Obendrein – um auch auf Herrn Schaefgen einzugehen – habe ich, wenn
sich nichts bessert, die Sorge, daß wir, nachdem wir jahrzehntelang die
unzulängliche Aufarbeitung der NS-Verbrechen kritisiert haben, jetzt im
Ergebnis noch hinter dem zurückbleiben, was damals immerhin geleistet
wurde.

Nun zu der Frage des Art. 103. – Herr Dencker hat ja mit Recht darauf
hingewiesen, daß der Einigungsvertrag eine Regelung trifft. Ich möchte doch
auch gleich meine Auffassung zu Art. 103 sagen. Herr Dencker plädiert ja
gewissermaßen mit Vorbehalten für eine Ergänzung des Art. 103 um einen
Absatz, der klarstellt, daß man diese DDR-Alttaten verfolgen kann.

Ich halte das auch durchaus für wünschenswert. Die Frage ist, ob es
rechtsstaatlich vertretbar ist. Eine weitere Frage ist – das wollen Sie zwar
nicht hören, Herr Schroeder, aber wir können hier im Raum nicht ohne
politischen Bezug plädieren –, ob sich denn dafür jemals eine Mehrheit im
Deutschen Bundestag findet, eine Mehrheit also, die bereit wäre, einen der
Grundpfeiler unseres Rechtssystems, Art. 103, zu opfern, zu ergänzen, um
hier eine Verfolgung herbeizuführen.

Diese Situation könnte sich stellen, wenn es nicht möglich wäre, mit dem
Instrumentarium des rechtsstaatlich gebundenen Strafrechts zu einer gewissen
Ahndung zu kommen. Was die Frage angeht, in welcher Weise die möglich
wäre, da macht es mir Herr Schaefgen außerordentlich leicht, nämlich durch
seine Ausführungen über die Möglichkeiten und die Probleme. Ich möchte
das auch Herrn Dencker zu erwägen geben.

Er hat gesagt, das Verhalten in der DDR müsse strafbar gewesen sein. Art. 8
des Einigungsvertrags hat bis auf wenige Ausnahmen das DDR-Strafrecht
aufgehoben. Da aber der § 2 Abs. 1 des bundesdeutschen Strafgesetzbuches

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Regierungskriminalität und justitielle Aufarbeitung

angewendet werden soll, ist eine Verurteilung – da stimme ich zu – nur
möglich, wenn die Tat nach dem Recht der DDR mit Strafe bedroht war.
Das heißt: Der Normgehalt – so sehe ich auch die einhellige Meinung in der
Rechtsprechung – eines Tatbestandes nach bundesdeutschem und nach DDR-
Recht muß im wesentlichen identisch sein. Ich betone „im wesentlichen“,
um der Fliegenbeinzählerei da etwas entgegenzutreten, die sich ja auch in
dem Referat von Herrn Schaefgen in schwierigen Problemen geäußert hat.
Vielleicht bedarf es da einer gewissen Auflockerung des positivistischen
Denkens, in dem unsere Justiz erzogen ist. Man muß, wenn es Situationen
gibt wie heute, mit dem Recht auch kreativ – so möchte ich sagen – umgehen
können, ohne den Rechtsstaat damit preiszugeben.

Wie kann man denn das tun? – Der grundlegende Unterschied zwischen
dem, was Herr Dencker sagt, und dem, was ich sagen möchte, besteht
darin – ich nehme einmal das Beispiel der Todesschüsse an der Mauer, weil
das so deutlich ist –, daß er sagt, das Verhalten damals sei nicht strafbar
gewesen. Er bezieht sich dabei auf die DDR-Gesetzgebung und – das darf ich
wohl ergänzen – vorher auf den sogenannten Schießbefehl, der ja auch eine
Anordnung war, von der man gern sagt, das sei ja auch Recht gewesen.

Ich sehe aber im Grunde genommen den identischen Tatbestand darin,
daß auch nach DDR-Recht die Tötung eines Menschen verboten war, strafbar
war. Was jetzt kommt, ist eigentlich nur folgendes: Es gab ausnahmsweise
dieses Recht, dann nämlich, wenn man an der Grenze Dienst tat und den
Schießbefehl hatte bzw. an das DDR-Grenzgesetz zu denken hatte. Das sind
Rechtfertigungsgründe.

Da wir aber nicht nach dem aufgehobenen DDR-Recht urteilen, sondern
nach unserem Recht, müssen wir auch jenen Grundsatz beachten, den man
in der Rechtslehre und in der Rechtsprechung den „Ordre-public-Vorbehalt“
nennt. Das heißt: Die Anwendung fremden Rechts, des Rechts eines fremden
Staates, ist dann verboten, wenn diese Anwendung zu einem Ergebnis führt,
das mit wesentlichen Grundsätzen des eigenen Rechts, hier also des Rechts der
Bundesrepublik, nicht vereinbar ist. Daß das Ordre-public-Prinzip eine Grenze
für die Anerkennung des DDR-Rechts darstellt, hat die Rechtsprechung,
an der Spitze der Bundesgerichtshof, das Bundesverfassungsgericht sogar,
anerkannt.

Wir können also nur solche Rechtfertigungsgründe des DDR-Rechts akzeptie-
ren, meine ich, die nicht im Widerspruch zum Grundgesetz stehen. Das wäre
das Notwehrrecht. In Notwehr darf der Grenzer schießen.

Anders sieht es aber aus, wenn diese Voraussetzung nicht gegeben ist, wenn
eine Notstandslage vorgeht.

Nun hat Herr Dencker den Ordre-public-Vorbehalt nicht erwähnt. Er ist
aber auf ein anderes Problem eingegangen, nämlich das des gesetzlichen
Unrechts. – In der Beurteilung der NS-Gesetzgebung hat sich ja dieser

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