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Ich mache das ganz konkret: Sie müssen sich vorstellen, daß jemand z. B.
als Arzt mit einer IM-Tätigkeit konfrontiert wird und sämtliche Druckanwen-
dungen persönlicher, juristischer und anderer Art, was sein Recht ist, geltend
macht, um hier voranzukommen. Sie können sich vielleicht vorstellen, was
das bei einem so umfassenden aggressiven Zusammenhang, wie er da ist, für
den einzelnen bedeutet.
Also selbst wenn gesagt wird, es sei alles schwierig usw., was ja richtig
ist, sollte man bedenken, was mit den sogenannten Betroffenen ist, die mit
einem im Bundestag verabschiedeten Gesetz der Bundesrepublik Deutschland,
dem Stasiunterlagengesetz, kurz StUG genannt, in die Situation gebracht
werden, mit diesem Sachverhalt konfrontiert zu sein. Wo – und das ist meine
Erinnerung – ist der Schutz für sie?
Der zweite Aspekt – ich werde jetzt sehr kurz sein – ist: Das Ausweichen von
Personen wie mir – das entspricht meinem Beruf – ist ja, die Öffentlichkeit
zu bemühen und Öffentlichkeit auch als diese Art von Korrektiv ernst zu
nehmen, was ich laut Verfassung durchaus kann. Kunst und Wissenschaft sind
ja nun doch frei. Und wenn ich dies tue, bin ich natürlich wieder in einer
bestimmten Weise für mich selbst verantwortlich und muß bestimmte Dinge
beachten. Dort stoße ich darauf, daß wieder enorme Räume einer Gefährdung
da sind.
Bitte verstehen Sie das nicht so, daß jetzt einer von seiner Leidensgeschichte
erzählt. Ich bin bereit, sie zu tragen, und habe sie getragen. Das kann ich
auch nachweisen. Aber seit der Veröffentlichung im „Spiegel“, wo ich diese
Serie über die Stasi gemacht habe, und seitdem auch bekannt ist, daß ich
„Landschaften der Lüge“ als mehrere Bücher veröffentlichen werde, habe
ich umfassende Formen von Terror erlebt, von Telefonterror, von Einbrüchen
in das Auto mit ganz klarer Zeichensetzung. Meine Eltern – sie wohnen in
Westberlin – werden jede Nacht zwischen zwei und drei angerufen. Mir kann
aus der Erfahrung eines zentralen operativen Vorgangs seit dem Jahre 1974 –
und ich weiß, was da geschehen ist – einfach niemand sagen, daß das alles
Zufall ist.
Ich möchte also daraus die Bitte ableiten, an den Schutz der Betroffenen und
an die ungeheure Bedeutung der operativen Vorgänge in der Besprechung mit
den Betroffenen zu denken, weil bei dem, was Sie z. B. auch im funktionärs-
und regierungskriminellen Bereich herausforschen werden an den Akten, die
sich „juristisch“ nennen und wo das Organ Staatssicherheit dasjenige gewesen
ist, das die Aktion angelegt hat, nur ein Minimum an Information darüber
drinsteckt, was z. B. in Untersuchungshaft geschehen ist. Die Gerichtsakten
oder die Akten, die in meinem Falle bei der Generalstaatsanwaltschaft gelandet
sind, sind nur ein winziger Bruchteil von dem, was sich in der U-Haft und
vor allem in diesem Umkreis des sogenannten operativen Vorgangs abgespielt
hat.
Dort ist z. B. enthalten, was die Abteilung IX in Zusammenarbeit mit der
Abteilung XIV wirklich gemacht hat. Da geht es um die Vernehmer. Dort
sind Namen wie Eschberger, Eberl, Gabbe, Groth oder Fister zu nennen. Was
hat sich in den Zellen abgespielt? Wie wurde psychischer Druck angewendet?
Welche Dinge, die auch nach Strafgesetzbuch nicht in Ordnung waren, sind
geschehen?
Dies können Sie auch juristisch nur im Gespräch mit den Betroffenen
beurteilen, und dort ist ein sehr großes Vakuum. Sehr viele warten auf diese
Zeichen auch der sogenannten historischen Aufarbeitung. Da sind Historiker
gefragt.
Aber wenn hier schon Öffentlichkeit angesprochen wird und wenn hier
Betroffene angesprochen werden und wenn laut Stasiunterlagengesetz den
Betroffenen die Priorität gegeben wird, dann bitte ich, den juristischen Teil
der Angelegenheit nicht nur unter dem Aspekt zu besprechen, wie man
die Täter bekommt – vielleicht kriegen wir sie nicht –, sondern was mit
den Betroffenen ist und wie sie zumindest dazu kommen, die Dinge zur
Kenntnis zu nehmen, zu veröffentlichen oder mit sich zu verarbeiten, ohne
in einer partiell gewalttätigen Weise unter Druck gesetzt zu werden. Und
diese Linie geht für mich bis nach Rostock und bis nach Sachsenhausen, also
die nicht eingelöste Bewältigung des Gewaltpotentials, das aus verschiedenen
Richtungen da ist.
Vorsitzender Rainer Eppelmann: Herzlichen Dank Jürgen Fuchs, unter
anderem Schriftsteller, wenn ich das so sagen darf. Du hast leider vergessen,
mit zwei Sätzen dich selber kurz vorzustellen. Ich wollte das nur noch einmal
in Erinnerung rufen, damit das die Nachfolgenden bitte nicht vergessen. Ich bin
dir sehr dankbar dafür, daß du gefragt hast, was hier außer Recht gelten kann
und muß. Ich glaube, uns allen ist doch deutlich, daß das, worum wir uns hier
bemühen, nicht nur ein Aufarbeiten von Vergangenheit um des Aufarbeiten
von Vergangenheit willen ist, sondern daß das etwas mit unserem Heute und
unserem Morgen zu tun hat.
Ich bitte jetzt Hans-Jürgen Grasemann.
Dr. Hans-Jürgen Grasemann: Ich werde den Versuch unternehmen, mich in
einem kurzen Statement zu verschleißen.
Ich komme aus Braunschweig. Meine Dienststelle ist die Generalstaatsanwalt-
schaft Braunschweig, aber ich spreche hier heute – und so bin ich eingeladen –
als Sprecher der Zentralen Erfassungsstelle Salzgitter. Seit etwa anderthalb
Jahren heißt sie ja Zentrale Beweismittel- und Dokumentationsstelle der
Landesjustizverwaltungen in Salzgitter. Ich habe lange gebraucht, um das zu
lernen. Deswegen nutze ich jede Gelegenheit, um das zu rekapitulieren.
Ich möchte zunächst auf etwas eingehen, was sowohl von Herrn Schaefgen
als auch von Frau von Renesse angesprochen wurde, nämlich der Blick auf