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Vorhin ist an diesem Tisch gesagt worden: Rostock, Hoyerswerda oder
auch Sachsenhausen haben direkt auch mit der Vergangenheit zu tun. Es
wäre vermessen von mir, hier tiefer einzusteigen und zu analysieren. Aber
aus meinen jahrzehntelangen Erfahrungen im Bereich der Bekämpfung der
Gewaltkriminalität weiß ich und wissen wir, daß die nicht oder unzureichend
bewältigte NS-Vergangenheit sicherlich eine der wesentlichen Fragen war, die
1968 und danach gestellt wurden. Als darauf keine richtige Antwort kam, war
das eine von mehreren Ursachen der damals aufbrandenden Welle der Gewalt,
die letztlich direkt in den bundesdeutschen Terrorismus der RAF einmündete,
an dem wir ja heute noch zu tragen haben. Nicht bewältigte Vergangenheit
von rechts führte in der alten Bundesrepublik zu Linksextremismus. Nicht
bewältigte Vergangenheit von links führt zu Rechtsextremismus. Das ist noch
nicht untersucht, aber ein Gedanke, der, wie ich glaube, es wert wäre, von
Kriminologen näher beleuchtet zu werden. Schönen Dank. (Beifall)
Vorsitzender Rainer Eppelmann: Ich bin traurig darüber, daß – wenn ich
das richtig sehe – keiner der vorhin anwesenden Journalisten die Kraft gehabt
hat, über die Pause durchzuhalten.
(Widerspruch eines Journalisten)
– Ich bewundere Sie. Herzlichen Dank. Sie haben eine ungeheure Verantwor-
tung, so meine ich. Die drei Beiträge, die ich zuletzt gehört habe, verdienen es
alle drei, wenn ich einmal eine Note verteilen darf, im Wortlaut veröffentlicht
zu werden, damit endlich der fatale Gedanke wegkommt, man habe ja viel,
viel Wichtigeres zu tun, als sich um das zu kümmern, was zwischen 1945 und
1990 geschah.
Jetzt kommt das, worauf mancher unter Ihnen offensichtlich schon lange
gewartet hat: die einzige Frau hier vorn.
Ulrike Poppe: Es ist ein bißchen fatal, auf diese Weise angekündigt zu
werden, und ich hoffe, daß ich nicht nur als Garnierung und in einer
Alibifunktion hier sitze.
Ich kann ganz gut an Herrn Kittlaus anknüpfen. Er hat mir aus dem Herzen
gesprochen. indem er vor der Unterschätzung der Vergangenheitsaufarbeitung,
auch der justitiellen, gewarnt hat.
Die Erwartungen an den Rechtsstaat – und damit möchte ich beginnen – sind
sehr hoch, um so höher, je schmerzlicher die Erfahrungen im Unrechtsstaat
waren. Andererseits lassen sich die Erwartungen aber auch auf eine simple
Formel bringen: Wer Unrecht begangen hat, muß bestraft werden. Dieses
Rechtsbewußtsein hat sich durchaus bei der Mehrheit der Bevölkerung in
der ehemaligen DDR trotz fehlender Rechtsstaatlichkeit und meistens bei nie
wirklich erlebter Rechtsstaatlichkeit erhalten, sei es, weil sich der DDR-Staat
bemühte, den Anschein von Rechtsstaatlichkeit zu wahren, sei es, weil sich
ein Gerechtigkeitsbedürfnis aus tieferen Erfahrungsquellen speist denn aus
der erlebten Staatsordnung, in der man zufällig aufgewachsen ist, sei es,
daß gerade die Erfahrung mit Unrecht, Rechtsunsicherheit und Willkür für eine
neue Rechtsordnung sensibilisiert und sehr konkrete Erwartungen entstehen
läßt.
Selbstverständlich reduzieren sich diese Erwartungen nicht auf Strafverfolgung
und Rehabilitierung. Für viele der neuen Bundesbürgerinnen und Bundes-
bürger ist die Art und Weise, wie der neue Rechtsstaat mit seinem eigenen
vorrechtsstaatlichen Zustand umgeht, ein wichtiges Urteilskriterium.
Bis jetzt zeigt sich der Rechtsstaat unzureichend in der Lage, ererbtes Unrecht
zu bannen, zu beenden. Viele der Privilegien, die sich Täter der unter-
schiedlichen Kategorien angeeignet haben, wirken heute noch weiter. Heutige
Selbstverständlichkeiten für Wissenschaftler, Künstler, Manager usw. hatten
früher den Charakter von Privilegien, die durch verschiedenerlei Loyalitätsakte
erkauft wurden: die gute Qualifikation, Promotion, Beteiligung an exponierten
Forschungsvorhaben, Veröffentlichungsmöglichkeiten, Teilnahme an interna-
tionaler Kommunikation. Wer sich frühzeitig dem Regime verweigert hatte,
dem blieb vieles oder alles davon versagt. Und dieses Unrecht wirkt bis heute
und in die Zukunft, wenn der Zug einmal abgefahren ist. Unredlich erworbene
Vorteile bleiben Vorteile und sichern die besseren Chancen, auch und gerade
weil dies eine Leistungsgesellschaft ist. Erlittene Benachteiligungen wirken
als solche weiter, und angesichts der Arbeitslosigkeit im Osten und des
allgemeinen Leistungsdrucks, der Konkurrenz bitterer und existentieller als
zuvor. Damit zahlt sich Unrecht nachträglich heute noch aus.
Zur Kenntlichmachung von Unrecht gehört natürlich auch, ich meine sogar in
erster Linie, die Anerkennung und angemessene Entschädigung der Opfer des
Regimes. Darauf aber will ich hier nicht näher eingehen, weil es nicht Thema
der Anhörung ist. Ich möchte aber betonen, daß sich der Rechtsstaat genau
daran messen lassen muß.
Es gibt ein Bedürfnis nach Strafverfolgung, aber nicht bei denen, die, aus
welchen Gründen auch immer, die DDR aus ihrem Leben verdrängen wollen,
nicht bei denen, die Anteil am Unrecht haben, nicht bei denen, die im
Rechtsstaat nur ein seitenverkehrtes Machtinstrument sehen. Die Forderung
nach Aufarbeitung, auch nach justitieller Aufarbeitung, begegnet uns bei den
Menschen, denen das Fehlen rechtsstaatlicher Möglichkeiten in der DDR ein
unerträglicher Zustand war, jenen, denen ein Rechtsbewußtsein nicht abhanden
gekommen ist.
Ein durch Willkürentscheidungen geprägter gesellschaftlicher Zustand ist erst
dann beendet, wenn die Verursacher zur Verantwortung gezogen werden.
Problematisch und umstritten dabei ist die Frage, inwieweit lediglich die
Verletzung in der DDR geltender Rechtsnormen verfolgt werden darf. Darüber
haben wir ja heute schon viel geredet. Für mich ist es keineswegs folgerichtig,
daß der Rechtsstaat damit die Legalität einer von politischer Willkür diktierten