Fehler melden / Feedback
halten gegenüber solchen Nachfragen mit der nötigen Zivilcourage zu begeg-
nen. Dieses Hindernis im Einigungsprozeß ist oftmals eine Folge der fehlenden
Unterstützung durch die Schulleitung und der mangelnden Fachaufsicht durch
die Landesbehörden. Die Politik hat dazu häufig auch keine hinreichende Ori-
entierung gegeben.
Die Übernahme von Personal in den Justizdienst der neuen Länder ist abge-
schlossen. Zu den von der demokratisch gewählten Volkskammer der DDR
seit Juli 1990 angestrebten Überprüfungen der DDR-Richter kam es zwar vor
dem 3. Oktober 1990 nicht mehr. Eine Reihe belasteter Richter und Staatsan-
wälte hatte jedoch vor diesem Zeitpunkt den Justizdienst bereits von sich aus
verlassen. Die in den neuen Ländern sogleich eingesetzten Richterwahlaus-
schüsse überprüften die persönliche Eignung derjenigen, die sich für eine Neu-
einstellung beworben hatten, vornehmlich anhand der Auskünfte des BStU,
anhand ihrer durch Gerichtsakten nachweisbaren Verfahrenspraxis und mittels
der – zum Teil „gesäuberten“ – Personal- und Kaderakten. Bei den sich be-
werbenden Staatsanwälten wurde entsprechend verfahren. Die Quoten der auf
diesem Wege erneut berufenen Richter differieren in den einzelnen Ländern
erheblich (Berlin: 11,1 Prozent, Brandenburg: 44,9 Prozent, im Beitrittsgebiet
durchschnittlich 38,3 Prozent), die der erneut eingestellten Staatsanwälte eben-
so (Berlin: 4,0 Prozent, Brandenburg: 55,4 Prozent, im Beitrittsgebiet durch-
schnittlich 32,2 Prozent). Durchschnittlich 48,2 Prozent der sich bewerbenden
Richter und 44,3 Prozent der Staatsanwälte wurden erneut berufen bzw. einge-
stellt. So sind inzwischen von den 1.780 Richtern und 1.238 Staatsanwälten,
die Ende Dezember 1989 noch ihren Dienst für das DDR-System versehen
hatten, insgesamt 633 Richter und 378 Staatsanwälte auf Lebenszeit ernannt.
Bezogen auf die Gesamtzahl von Staatsanwälten und Richtern ist das über-
nommene Personal gegenüber dem in der westdeutschen Justiz ausgebildeten
in der Minderheit (ca. 18 Prozent der Richterschaft, ca. 33 Prozent der Staats-
anwälte). An diesen Zahlen wird deutlich, wie unterschiedlich vor allem die
berufsbedingte Verstrickung mit dem System, die in der Regel bereits vor dem
Beginn des Studiums begonnen hatte, und die frühere Bereitschaft zur system-
konformen Rechtsprechung bei der Besetzung wichtiger und empfindlicher
Positionen in der Jurisdiktion durch die neuen Länder bewertet wurde. In Ber-
lin, wo sehr wenige Richter und Staatsanwälte übernommen wurden, ist ein
völliger Neuaufbau einer Justizverwaltung im Ostteil der Stadt in kurzer Zeit
mit unbelastetem Personal aus den westlichen Ländern möglich gewesen. Er
war freilich wegen des großen Bedarfs an erfahrenen und mit bundesdeut-
schem Recht vertrauten Richtern und Staatsanwälten in den Flächenländern
nicht ebenso konsequent zu bewältigen. Die Gerichte mußten zur Vermeidung
eines Stillstands der Rechtspflege schon in der Anfangsphase hinreichend be-
setzt werden. Die richterliche Unabhängigkeit mancher Übernommenen
könnte aber leiden, wenn sie sich mit der Vergangenheit und ihrem eigenen
Handeln vor 1989 auseinandersetzen und dafür rechtfertigen müssen. Die En-
quete-Kommission ist der Ansicht, daß die persönliche Verstrickung derer, die
als Richter und Staatsanwälte in der DDR tätig waren, nicht nur durch Urteile,
sondern bereits durch ihre ehedem bekundete unbedingte Bereitschaft zur Ein-
ordnung in das System und zur Durchsetzung des Parteiwillens ihrer Unab-
hängigkeit und dem Ansehen der Justiz schaden muß. Die breite öffentliche
Auseinandersetzung mit der Rolle der DDR-Juristen in der damaligen Gesell-
schaft hat gerade erst begonnen. Die insgesamt recht hohe Zahl übernommener
Richter, die aufgrund ihrer Vergangenheit belastet sind, dürfte ein uneinge-
schränktes Vertrauen in deren Unbefangenheit erst nach einer längeren Zeit
der Bewährung entstehen lassen. Besonders problematisch erscheint in diesem
Zusammenhang die Berufung exponierter systemnaher Personen als Richter an
Verfassungsgerichten der neuen Länder.
2.4 Einfluß der Rechtsprechung auf den Prozeß der Übernahme von Personal
in den öffentlichen Dienst
Nachdem in der ersten zeitlichen Phase nach der Wiedervereinigung die Ver-
waltungen und die erstinstanzlichen Gerichte gleichsam freihändig mit dem
neuen Kündigungsrecht umgegangen waren und eine Vielzahl von Kündigun-
gen bzw. Auflösungsverträge die Gerichte nicht erreicht hatte, wurde in einer
zweiten Phase seit 1992 die Kündigungspraxis durch die obergerichtliche
Rechtsprechung vereinheitlicht und der ursprüngliche Charakter des Sonder-
kündigungsrechts als Ausnahmebestimmung im Hinblick auf die Einzelfallab-
wägung in Fällen großer Systemnähe und MfS-Tätigkeiten abgeschwächt. Da-
durch näherte die Rechtsprechung die Bestimmungen des Einigungsvertrages
dem Inhalt von § 1 Abs. 2 Kündigungsschutzgesetz praktisch an. Den ver-
schiedenen verfassungsgerichtlichen Überprüfungen haben die Kündigungsbe-
stimmungen sowie die Warteschleifenregelung des Einigungsvertrages stand-
gehalten. Der personalwirtschaftliche Zielsetzung des Einigungsvertrages wur-
de seitens der Rechtsprechung die entscheidende Bedeutung beigemessen, die
der Gesetzgeber ihr verliehen hatte. Die justitielle Praxis der Arbeitsgerichte
hat sich somit an die Vorgaben des Gesetzgebers gehalten und hat keinen die
Zielrichtung des Gesetzgebers wesentlich verändernden oder erheblich korri-
gierenden Einfluß auf den personellen Transformationsprozeß im öffentlichen
Dienst genommen. Sie hat lediglich eine divergierende Praxis allmählich ver-
einheitlicht.
Eine den spezifischen Gegebenheiten des Einzelfalls Rechnung tragende Be-
urteilungspraxis hat sich unter dem Einfluß der Rechtsprechung erst allmählich
durchgesetzt. Die Prognose über die zukünftige persönliche Eignung, die die
Rechtsprechung verlangte, fiel in der Regel nach Jahren der Bewährung besser
aus als dies unmittelbar nach der Wiedervereinigung möglich gewesen wäre.
Die daraus erwachsenen Folgen für die Betroffenen sind heute jedoch wirt-
schaftlicher, nicht rechtlicher Natur.
Rechtssicherheit, die der Rechtsstaat durch die Vorhersehbarkeit gerichtlicher
Entscheidungen vermitteln muß, und Rechtsklarheit wurden gerade in der An-
fangsphase vermißt. Das zeigt der zunächst uneinheitliche Umgang mit den