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Wahlperiode 13, Band I, Seiten 210 und 211
210
Enquete-Kommission

Tatbeständen der inoffiziellen Arbeit für das MfS oder der Ausübung von
Parteiämtern auf unterer Ebene. Ein darauf bezogener Vorwurf an die Justiz
oder an den Gesetzgeber kann jedoch in der singulären Situation des Um-
bruchs im Jahr 1990 und der Folgezeit nicht erhoben werden, da zumindest in
der Phase der Entstehung des Einigungsvertrages weder Zeit für eine sorgfälti-
gere Arbeit des Gesetzgebers noch anschließend für die naturgemäß erst all-
mähliche Entwicklung einer Rechtssicherheit und Rechtsklarheit war.

 

2.5 Austausch der ehemaligen Eliten im öffentlichen Dienst – Verbleib und
heutige soziale Stellung von für das System der SED-Diktatur Verantwort-
lichen

Mit dem Ende der DDR verschwanden allmählich große Teile der Führungse-
lite der SED aus dem Blickfeld der Öffentlichkeit. In das Rampenlicht der
Aufklärungsarbeit über die Geschichte geriet vornehmlich das MfS, im Vor-
dergrund justitieller Bewältigung der SED-Diktatur stand die Spitze von Partei
und Staat. Diejenigen, die das Regime maßgeblich gestützt und die Tätigkeit
des MfS ermöglicht und in Anspruch genommen hatten, haben keinen Dialog
mit den Opfern gesucht. Sie haben bisher nicht in nennenswertem Maße Re-
chenschaft für ihr Tun ablegen oder sich mit ihrer früheren Rolle auseinander-
setzen müssen.

Die Diskussion um das Gelingen und die Folgen des Elitenwechsels in den
neuen Ländern wird zwischen den früheren Systemträgern und den Teilneh-
mern der friedlichen Revolution des Jahres 1989 Kontrovers geführt. Einer-
seits wird behauptet, die Angehörigen der ehemaligen Führungselite seien
wirtschaftlich und sozial die Verlierer der Einheit, andererseits wird konsta-
tiert, sie bekleideten heute erneut verantwortliche Positionen im öffentlichen
Dienst und in der privaten Wirtschaft und ihre persönlichen Lebensverhältnisse
hätten sich deutlich verbessert – sie seien deshalb die eigentlichen Gewinner
der deutschen Vereinigung.

Die Enquete-Kommission hat die Schlüssigkeit dieser Behauptungen über-
prüft, hat sich mit den Strukturen der früheren Elite der SED-Diktatur befaßt
und den Verbleib ehemaliger Nomenklaturkader in der öffentlichen Verwal-
tung untersucht. Sie ist am Beispiel der Verwaltung des Landes Sachsen-An-
halt der Frage nachgegangen, in welchem Umfang ehemals hauptamtliche
wichtige Nomenklaturkader noch heute verantwortliche Positionen mit Ent-
scheidungsbefugnis in Landesbehörden bekleiden und hat sich mit dem Ver-
bleib früherer Nomenklaturkader am Beispiel des früheren Rates der Stadt Ro-
stock sowie der Übernahme von Nomenklaturkader im Bereich der Polizei der
Länder beschäftigt. Eine Untersuchung aller neuen Länder, der Kreise und der
Gemeinden kam wegen des sehr großen Umfangs eines solchen Vorhabens
ebensowenig in Betracht wie Fallstudien über den Verbleib einzelner Personen
außerhalb des öffentlichen Dienstes, denen persönlichkeitsrechtliche und da-
tenschutzrechtliche Bestimmungen entgegengestanden hätten.

211
Schlußbericht

2.5.1 Nomenklaturkader der SED

Im staatlichen System der ehemaligen DDR, das alle relevanten Lebensberei-
che mit Ausnahme der Kirchen unmittelbar umfaßte, waren alle wichtigen und
verantwortlichen Positionen mit Angehörigen der Kadernomenklatur besetzt.
Das betraf den Sicherheitsbereich, den Verwaltungsapparat, die Wirtschaft, die
Wissenschaft, die Bildung, die Kultur, die Medien sowie die Massenorganisa-
tionen. Nach dem Muster des Kadersystems der Sowjetunion wurde seit 1950
auch in der DDR ein Nomenklaturkadersystem eingerichtet, die Kaderpolitik
wurde 1977 mittels ZK-Beschlusses zur „erstrangigen politischen Aufgabe“
erklärt. Sowohl auf zentraler staatliche Ebene (Staatsapparat, Volkskammer,
Ministerien und zentrale Institutionen, Zentralräte der Massenorganisationen
und Verbände) als auch auf zentraler Parteiebene (ZK der SED) gab es Kader-
nomenklaturen; entsprechende Strukturen bestanden sowohl auf der Ebene der
Bezirke als auch auf darunter liegenden Ebenen, wo sie sich bis in Räte der
Kreise, Städte und Gemeinden, in die Betriebe und Grundorganisationen bzw.
in die entsprechenden Partei- und Organisationsebene fortsetzten. Diese Ka-
dernomenklaturen wurden in bestimmten Zeitabständen bedarfsgerecht über-
arbeitet; sie unterlagen der Geheimhaltung, waren in öffentlich zugänglicher
Literatur nicht erwähnt und bildeten ein nach den Prinzipien des „demokrati-
schen Zentralismus“ geordnetes hierarchisches System.

Die Nomenklaturkader bildeten das Rückgrat des SED-Staates. Sie waren als
langfristig über Kaderprogramme aufgebaute Führungskräfte verantwortlich
für die Umsetzung der Beschlüsse des Nationalen Verteidigungsrates, des ZK
der SED, des Politbüros und des Ministerrates. Die Kontrollnomenklaturkader
sicherten ebenfalls die Herrschaft des Staates über die Stellvertreterebene in
allen Bereichen des Staates. Während beispielsweise die Direktoren der Stadt-
bezirksgerichte in Berlin Nomenklaturkader des Sekretariats der SED-Kreis-
leitung Berlin-Mitte und zugleich Kontrollnomenklaturkader der Abteilung für
Staats- und Rechtsfragen des Sekretariats der SED-Bezirksleitung Berlin wa-
ren, waren alle Richter der Stadtbezirksgerichte Kontrollnomenklaturkader der
SED-Kreisleitung in Berlin-Mitte. Freilich waren auch die Volkskammerabge-
ordneten und Reservekandidaten, auch diejenigen der Blockparteien und Mas-
senorganisationen, Nomenklaturkader. Vorsitzender oder Volkskammerabge-
ordneter einer Blockpartei konnte daher nur werden, wer zuvor auf Vorschlag
der Abteilung „Befreundete Parteien“ des ZK der SED mit Einverständnis des
Sekretärs für Agitation und Propaganda (zuletzt Politbüromitglied Joachim
Herrmann) vom Politbüro bestätigt worden war. Entsprechendes galt für die
Bezirks- und Kreisebene.

Die Karriere der Nomenklaturkader stand unter ständiger Kontrolle der SED
und war systematisch geplant. Jeder Aufstieg in höhere, leitende und verant-
wortliche Positionen in der DDR war an politisch-ideologische, fachliche und
sicherheitspolitische Anforderungen gebunden. In deren Mittelpunkt standen
die unbedingte Treue zur „Partei der Arbeiterklasse“, der Stolz auf die Errun-
genschaften des Sozialismus, die Förderung der sozialistischen Bewußtseins-