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2.6.2 Die Übernahme vorhandenen Personals im Wege der Einzelfallprüfung
war die einzig mögliche Lösung. Die bundeseinheitlichen Kriterien dazu sind
durch obergerichtliche Entscheidungen geklärt. Eine Gesetzgebung, die allen
Einzelfällen in dem komplizierten gesellschaftlichen Spannungsfeld zwischen
Opfern und Tätern gerecht wird, ist nicht denkbar. Eine ausdrückliche Auf-
nahme auch der herausgehobenen Nomenklaturkader-Positionen der SED-
Diktatur in die Tatbestandsmerkmale der außerordentlichen Kündigung des
Einigungsvertrages wäre rückblickend betrachtet ebenso hilfreich gewesen wie
die gesetzgeberische Klarstellung, daß diese Tatbestandsmerkmale absolute
Kündigungsgründe sind.
2.6.3 Anlaß zu Zweifeln an der Überprüfungspraxis im Hinblick auf eine weit-
gehende Gleichbehandlung der Betroffenen und die Herstellung eines Rechts-
friedens gibt die höchst unterschiedliche Vorgehensweise verschiedener Res-
sorts und Behörden. Unbefriedigend bleibt aus heutiger Sicht, daß nicht durch-
gängig Auskünfte des BStU eingeholt wurden und die Bewertungsmaßstäbe im
Laufe der Zeit aufweichten. Das ist mit dem vom Gesetzgeber vorgegeben Ziel
der Erneuerung des öffentlichen Dienstes auch fast acht Jahre nach dem Ende
der SED-Diktatur nicht vereinbar. Die Umsetzung der grundsätzlichen Ent-
scheidung des Gesetzgebers, mit dem MfS verstrickten oder ehemals system-
tragenden Personen einen Zugang zum öffentlichen Dienst des demokratischen
Rechtsstaats zu verwehren, wurde nicht immer konsequent vollzogen. Das An-
sehen des Rechtsstaats wird durch den Fortbestand mancher Seilschaften in
Behörden geschwächt. Unter dem noch nicht gänzlich überzeugend vollzoge-
nen Wandel der Lehrerschaft in den neuen Ländern müssen kollektiv nicht nur
deren Angehörige, sondern alle Repräsentanten in der öffentlichen Verwaltung
leiden. Das wäre vermeidbar gewesen, denn die erforderlichen Kenntnisse der
Strukturen des Staats- und Parteiapparates der SED-Diktatur waren schon 1990
in einem Maße vorhanden, das manche Übernahme, Einstellung oder Verbe-
amtung hätte verhindern können. Sie wurden lediglich nicht genutzt. Heute
noch könnten eine konsequente Dienstaufsicht und der vermehrte Einsatz un-
belasteten Personals Abhilfe schaffen. In den kommunalen Gebietskörper-
schaften können die Bürger darauf über ihre Vertretungskörperschaften selbst
Einfluß nehmen und den Prozeß beschleunigen. Das bürgerschaftliche Enga-
gement und die Zivilcourage, die sich in der Wahrnehmung eigener Rechte
ausdrückt, sind in den neuen Ländern noch nicht hinreichend ausgeprägt, die
zum Teil sehr lange Verfahrensdauer bei Behörden und Gerichten läßt viele
Bürger an der tatsächlichen Möglichkeit zur Durchsetzung eigener Rechte
zweifeln. Diese Hindernisse erscheinen allerdings keineswegs unüberwindlich.
Die Folgen solcher Versäumnisse werden noch heute von vielen Bürgern ins-
besondere in den neuen Ländern als Gerechtigkeitslücken wahrgenommenen.
Ein Rechtsfrieden konnte daher noch nicht eintreten.
2.6.4 Demnach ist angesichts der historisch-singulären Situation und des
enormen Umfangs der Aufgabe personeller Erneuerung – bilanzierend be-
trachtet – die Umwandlung des Apparates der SED-Diktatur in eine demokra-
tische Verwaltung in den neuen Ländern, die zunächst auf keinerlei eingefah-
rene Verwaltungsstrukturen und Infrastrukturen zurückgreifen konnten, er-
staunlich gut gelungen. Auch das Sonderkündigungsrecht und die Warteschlei-
fenregelung des Einigungsvertrages haben – generalisierend betrachtet – schon
nach kurzer Zeit die Ergebnisse geliefert, die der Gesetzgeber gewünscht hatte:
- der Aufbau von Verwaltung und Justiz in den neuen Ländern ist strukturell
und personell abgeschlossen, - das Berufsbeamtentum ist in den neuen Ländern verankert,
- der zu hohe Personalbestand in den Behörden ist beseitigt,
- zahlreiche ungeeignete Beschäftigte sind entlassen worden.
Das Ziel einer Akzeptanz des Rechtsstaats und seiner Repräsentanten in Ver-
waltung und Justiz durch die Bürger konnte freilich noch nicht vollständig er-
reicht werden.
2.6.5 Der Rechtsstaat hat mit den Mitteln der Gesetzgebung, der Exekutive
und der Rechtsprechung in wenigen Jahren einen Systemwechsel bewältigt,
ohne dabei die von der Verfassung garantierten Rechte seiner Bürger zu ver-
letzten. Allein mit den Mitteln der Gesetzgebung und dem Korrektiv der recht-
sprechenden Gewalt ist ein funktionierendes Staatswesen jedoch nicht zu er-
reichen. Etwaige Defizite gesamtgesellschaftlicher Aufarbeitung kann und darf
die justitielle Aufarbeitung weder ersetzen noch nachholen. Es bleibt daher
Aufgabe der gesamten Gesellschaft, sich mit den festgestellten Defiziten die-
ses Prozesses auseinanderzusetzen und Verpflichtung des Staates, die Akzep-
tanz der Verwaltung in der Zukunft zu sichern.
2.7 Handlungsempfehlungen
- Es ist geboten, auch in den kommenden Jahren im Rahmen der Dienstauf-
sicht Bitten und Beschwerden der Bevölkerung über Seilschaften und Be-
nachteiligungen von Antragstellern nachzugehen und innerbehördlich die
personalrechtlichen Handlungsspielräume auszuschöpfen, um den Bürgern
mit Repräsentanten gegenüberzutreten, die rechtsstaatliches Handeln
glaubwürdig vermitteln. - Die Verfahrensdauer bei Behörden und Gerichten muß spürbar verkürzt
werden, um die tatsächliche Durchsetzbarkeit von Ansprüchen glaubhaft zu
vermitteln. Nur so läßt sich das Selbstbewußtsein der Menschen stärken,
das ein funktionierendes Staatswesen garantiert. - Die unterschiedliche Besoldung von Zeit- und Berufssoldaten der Bundes-
wehr ist – anders als die Besoldungspraxis hinsichtlich anderer Beschäftig-
ter des öffentlichen Dienstes – weder den Betroffenen vermittelbar noch
leuchtet diese Praxis der Enquete-Kommission ein. Von Soldaten wird eine
hohe Mobilität erwartet, häufige Versetzungen und Abordnungen sind die
Regel und prägen deren Berufsbild ebenso wie Auslandsverwendungen und