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2.2 Ausblick und Chancen
Die Akademisierung der DDR-Forschung einerseits und das breite Spektrum
der außeruniversitären Aktivität andererseits bieten eine günstige Ausgangspo-
sition für ihre erfolgreiche Fortführung. Die solide und produktive historische
Deutschlandforschung, die sich durch ihren Pluralismus, eine Vielfalt von
Methoden und Bewertungen auszeichnet, hat daher eine gute Perspektive.
Dennoch kann nicht von einer dauerhaften Etablierung der DDR-Forschung im
Sinne einer vergleichenden Deutschlandforschung als Teildisziplin in ihren
„Mutterwissenschaften“ gesprochen werden. Obwohl der Forschungsstand
1998 erfreulicherweise sehr beachtlich ist, befindet sie sich – gemessen etwa
an der wissenschaftlichen Bearbeitung der NS-Diktatur – auf vielen Gebieten
eher noch am Anfang.
Resümierend ist festzustellen:
- Trotz erheblicher Schwierigkeiten hat die historische Deutschlandforschung
beachtliche Ergebnisse erzielt. Ausgangspunkt war 1990 ein respektabler
Forschungsstand und die Öffnung der Archive. Beim Zugang zu den Archi-
ven sind Probleme zu lösen (s. Teil B.V.2.2. und Teil B.V.4.). - Der quantitative Umfang der Forschung seit 1990 ist ebenso wie die Quali-
tät der Untersuchungen bemerkenswert. Das Interesse an einzelnen For-
schungsfeldern ist ebenfalls gewachsen, Produktivität und Vielseitigkeit
sind positiv hervorzuheben. - Obwohl der seit 1990 erreichte Forschungsstand beachtlich ist, die Per-
spektiven der Forschung über die DDR insgesamt gut sind, bleiben zahlrei-
che kritische Punkte zu berücksichtigen. Die historische Deutschlandfor-
schung ist noch keineswegs fest etabliert. Ihre weitere Unterstützung, vor
allem die Finanzierung ist notwendig, ja unerläßlich. Die gegenwärtige
Unterstützung der sich erst etablierenden historischen Deutschlandfor-
schung durch Bund, Länder und die Forschungsförderungsinstitutionen darf
nicht verringert werden, soll die Grundlage der Aufarbeitung nicht gefähr-
det werden. Für die Stiftung ist es ein vorrangiges Anliegen, in zunehmen-
dem Maße Forschungsförderung zu betreiben, um die Ausweitung und
Vertiefung der historischen Deutschlandforschung zu sichern. - Schließlich bleibt die pluralistische Forschung Voraussetzung kritischer,
gesellschaftspolitischer Aufarbeitung. Eine Auseinandersetzung mit der Ge-
schichte erfordert eben fundiertes Wissen, soll die Aufarbeitung nicht ins
Emotionale abgleiten oder gar zum politischen Instrument verkommen. Die
Förderung der historischen Deutschlandforschung bedeutet daher Hilfe bei
der Aufarbeitung und der Auseinandersetzung mit der SED-Diktatur, die
jedoch nur dann ihrem Auftrag angemessen entspricht, wenn ihre Ergebnis-
se und Erkenntnisse Niederschlag in der Lehre und der politischen Bildung
finden.
3. Weitere strukturelle Aspekte des Aufarbeitungsprozesses
3.1 Dokumente und Aktenbestände zur deutschen Teilung bei öffentlichen
Stellen
Zahlreiche Dokumente und Aktenbestände, die über die Situation und die Be-
handlung von Opfern und Tätern der SED-Diktatur Auskunft geben, befinden
sich derzeit bei verschiedenen öffentlichen Stellen. Dazu zählen neben den
Aktenbeständen des Bundesbeauftragten für die Stasi-Unterlagen, deren Zu-
gänglichkeit im Stasi-Unterlagengesetz geregelt ist,
- die Aktenbestände der Zentralen Beweismittel- und Dokumentationsstelle
der Landesjustizverwaltungen in Braunschweig (ehemals Zentrale Erfas-
sungsstelle Salzgitter); sie umfassen ca. 40.000 Vorgänge politisch moti-
vierter Strafverfolgung in der DDR, davon ca. 190 versuchte oder vollen-
dete Tötungen, ca. 4.200 Verdachtsfälle von Tötungen, ca. 2.000 Miß-
handlungen im Strafvollzug, ca. 3.000 politische Verdächtigungen und Ver-
schleppungen sowie etwa 30.000 Verurteilungen zu exzessiven Strafen. Mit
Hilfe dieser Aktenbestände konnten zahlreiche Ermittlungen eingeleitet und
Strafverfahren durchgeführt werden. Zudem dienten die Akten als wichtige
Grundlage von rund 2.100 Überprüfungsverfahren im öffentlichen Dienst.
Mit einem modernen EDV-System ist der gesamte Aktenbestand erschlos-
sen. Die Arbeit der ehemaligen Zentralen Erfassungsstelle Salzgitter ist als
Beleg für zahllose Beispiele mutigen Einsatzes vieler Menschen für die
Freiheit der in der DDR verfolgten Bürger von zeitgeschichtlicher Bedeu-
tung. Über ihre deutschlandpolitische Rolle wurde immer wieder gestritten.
Heute erweisen sich die Aktenbestände als unverzichtbare Hilfe bei der
Strafverfolgung und der Rehabilitierung der Opfer kommunistischer Unter-
drückung. Die hier gesammelten Beweismittel müssen der Forschung zu-
gänglich bleiben. - Die Aktenbestände und Dokumente des Bundesarchivs, der Stiftung Archiv
der Parteien und Massenorganisationen der ehemaligen DDR (SAPMO),
des Bundesinnenministeriums, des früheren Innerdeutschen Ministeriums
und des Gesamtdeutschen Institutes sind sehr vielfältig. Ihre Erschließung
und Zugänglichkeit bringt der wissenschaftlichen Forschung großen Ge-
winn (s. auch Teil B.V.2.2.2.). - Die zentrale Häftlingskartei der DDR, aber auch die Akten der DDR-Ge-
richtsbarkeit geben Auskunft über das Ausmaß sowie über Einzelheiten der
Strafjustiz in der SBZ/DDR, über das Rechtswesen und die Rechtspraxis
sowie über den Umgang mit Ansprüchen und Streitigkeiten der Bürger in
einem diktatorischen System (s. auch Teil B.I.1.1.2.1. und Teil B.V.2.2.5.).
Die Rechtswirklichkeit in der DDR ist nur in ersten Ansätzen Gegenstand
der empirischen Forschung. Deren nähere Untersuchung wird Rückschlüsse
auf das Funktionieren der SED-Diktatur erlauben. Von großer Bedeutung
für die rechtswissenschaftliche und die sozialwissenschaftliche Aufarbei-
tung der SED-Diktatur sind aber auch die Bestände der Gerichtsakten seit