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schen Hauses zu verstehen. Zu den vielfältigen Ursachen der gegen Ende der
achtziger Jahre einsetzenden Umbrüche und der schließlichen Überwindung
der europäischen Nachkriegsordnung gehörte vielmehr in erster Linie der aus
vorwiegend inneren Gründen erfolgte Kollaps der realsozialistischen Staats-
und Gesellschaftsordnungen in der UdSSR und den anderen osteuropäischen
Ländern.
2. Historische Erfahrungen und ihre Nachwirkungen
2.1 Zur auswärtigen Politik der beiden deutschen Staaten während der Zeit
der Teilung
2.1.1 Außenpolitik unter den Bedingungen des Ost-West-Konflikts
2.1.1.1 Das Verhältnis der Bundesrepublik Deutschland zu Polen 1949-1989
Der Ost-West-Konflikt, die Teilung Deutschlands, die Grenzfrage und die
Vertreibung der deutschen Bevölkerung aus den Gebieten jenseits von Oder
und Neiße nach 1945 beherrschten bis in die Mitte der siebziger Jahre das
Verhältnis zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Volksrepublik
Polen. Sie blockierten sowohl die Politik als auch die Völker, über das Zu-
rückliegende miteinander ins reine zu kommen und in der Gegenwart mitein-
ander Beziehungen zu pflegen. Zwar führte der im Zeichen der Entspannungs-
politik geschlossene „Normalisierungsvertrag“ von 1970 zu einem Modus vi-
vendi und zu einer Ausweitung vor allem der gesellschaftlichen Beziehungen,
doch schuf erst der Übergang Polens zur Demokratie die Voraussetzung für ein
deutsch-polnisches Nachbarschaftsverhältnis, in dem beide Seiten die Bela-
stungen aus der Vergangenheit wirklich bewältigen und ihre gemeinsame Zu-
kunft in Europa gestalten können.
Polen nahm 1945 im Zuge seiner von Stalin betriebenen Westverschiebung,
die ein Beispiel für dessen imperialistische Außenpolitik war, mit Zustimmung
der Siegermächte des Zweiten Weltkrieges die deutschen Gebiete östlich von
Oder und Neiße in Besitz. Es war wie im deutschen Fall nicht bloß eine Terri-
torialverschiebung, denn die eingesessene polnische Bevölkerung der von der
Sowjetunion annektierten polnischen Ostgebiete wurde in die von den Deut-
schen zwangsweise geräumten neuen polnischen „Westgebiete“ umgesiedelt.
Die Westverschiebung sowohl Polens als auch Deutschlands auf Territorialko-
sten des letzteren schien die Gewähr zu bieten, daß Polen sich aus Furcht vor
deutschem Revisionismus dauerhaft an die Sowjetunion als Garanten seiner
territorialen Integrität binden werde. In diesem Sinne formulierte die polnische
kommunistische Partei, von der Sowjetunion an die Macht gebracht und bis
1990, wenn auch seit 1980 zunehmend mühsamer, an der Macht gehalten, die
polnische Staatsraison. Sie schloß neben der inneren Macht- und Systemga-
rantie zugunsten der polnischen Kommunisten die Existenz der DDR als so-
wjetischen Satelliten und somit die deutsche Teilung ein. Polens Sicherheit in
seinen Grenzen seit 1945 beruhte nach diesem Verständnis auf dem Bündnis
mit der Sowjetunion, auf der Herrschaft der Kommunisten und auf der Teilung
Deutschlands, d.h. auf der Negierung des deutschen Selbstbestimmungsrech-
tes. Solange die Bundesrepublik zumindest die Respektierung der Oder-Neiße-
Grenze und die staatliche Anerkennung der DDR verweigerte, mochte diese
Position auch den Bürgern Polens einleuchten, die die Herrschaft der Kommu-
nisten in ihrem Land als sowjetische Fremdherrschaft empfanden. Hatte die
DDR auch 1950 im Görlitzer Vertrag die Oder-Neiße-Grenze als „Staatsgrenze
zwischen Polen und Deutschland“ anerkannt, so konnte allein die Anerken-
nung durch die Bundesrepublik, darin waren sich regimetreue wie regimekriti-
sche Polen einig, ihrem Land die notwendige Sicherheit verschaffen. Sie war
auch die Voraussetzung dafür, Polen aus der Abhängigkeit von der Sowjetuni-
on zu lösen.
Die bundesdeutsche Politik gegenüber Polen ging zunächst vorrangig von dem
Ziel aus, die von den Siegermächten bei Kriegsende vereinbarte Rechtslage
unangetastet zu lassen. Die endgültige Regelung auch der deutschen Ostgren-
zen sollte demnach einem Friedensvertrag vorbehalten bleiben. Dabei war es
das langfristige Ziel aller Bundesregierungen, zu einer Versöhnung mit dem
polnischen Volk zu kommen. Bereits Bundeskanzler Adenauer hat dieses Ziel
in seiner ersten Regierungserklärung (neben der Aussöhnung mit Frankreich
und Israel) hervorgehoben. Der Übergang zu einer Politik, die die bestehende
polnische Westgrenze von seiten der Bundesrepublik nicht mehr in Frage
stellte, vollzog sich erst schrittweise nach zwei Jahrzehnten. Die Abtrennung
eines Viertels des Reichsgebiets von 1937, die Vertreibung und Zwangsaus-
siedlung der dort seit Jahrhunderten ansässigen deutschen Bevölkerung waren
politisch und seelisch schwer zu ertragen, auch bei denen, die sich das Ver-
hältnis von Ursache und Wirkung eingestanden. Bis in die Mitte der sechziger
Jahre waren sich Regierung, Parteien, Vertriebenenverbände in der Bundesre-
publik im wesentlichen einig, daß ein „Verzicht“ auf die Ostgebiete ausge-
schlossen sei. Es war ein langer, schmerzhafter Lernprozeß, in dessen Verlauf
sich schließlich die Erkenntnis Bahn brach, daß die Ostgebiete durch die NS-
Politik verspielt und verloren waren, hauptsächlich durch die Gesellschaft, von
akademischen, publizistischen und kirchlichen Kreisen, angestoßen und getra-
gen, der schließlich auch die Politik veränderte. Die Ernsthaftigkeit und gesell-
schaftliche Breite dieser deutschen Selbstüberwindung waren es dann auch, die
wiederum im Polen der achtziger Jahre die demokratische Opposition zu ei-
nem Umdenken führten, das den Deutschen, aus wohlverstandenem, d.h. dem
Interesse des demokratischen Polen das Recht auf nationale Selbstbestimmung
zuerkannte. Der „Paradigmenwechsel“ (Dieter Bingen), der seit 1990 im
deutsch-polnischen Verhältnis eingetreten ist (s. 2.5.4), war durch die demo-
kratischen Kräfte und Eliten beider Völker lange vorbereitet. Zu ihnen zählte
auch die demokratische Opposition der DDR.
Hauptsächlich die Verquickung mit der deutschen Frage hinderte die Politik
der Bundesrepublik in den fünfziger und sechziger Jahren daran, Polen als ei-
genständige Größe wahrzunehmen und über streng begrenzte Handelsbezie-