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Wahlperiode 13, Band I, Seiten 696 und 697
696
Enquete-Kommission

2.3 Zum gegenseitigen Verhältnis der Bundesrepublik Deutschland und der
DDR

2.3.1 Deutschlandpolitik im Zeichen der Entspannungspolitik

Im Zeichen der Entspannung des Ost-West-Konflikts traten die beiden Staaten
in Deutschland Anfang der siebziger Jahre in ein vertraglich geregeltes for-
melles Verhältnis; die „neue Deutschlandpolitik“ der sozialliberalen Bundes-
regierung beendete die Politik der Nichtanerkennung ihrer Vorgängerregierun-
gen gegenüber der DDR, wobei die Staatsangehörigkeitsfrage als strittig aus-
geklammert blieb (s. Bericht, 12. Wahlperiode, Materialien Band I, S. 427–
436). Dem war in den sechziger Jahren eine Veränderung des DDR-Bildes in
der westdeutschen Öffentlichkeit vorhergegangen, die sich in den siebziger
und achtziger Jahren fortsetzte. In beiden Gesellschaften war die innerdeutsche
Entspannungspolitik von allgemeineren Deutungen bzw. Erwartungen beglei-
tet, die – zumindest was die westdeutsche Seite betrifft – nachträglich kriti-
scher Betrachtung unterzogen werden.

Die fünfziger Jahre waren geprägt gewesen vom Kalten Krieg, der nicht zu-
letzt in der Propaganda und den Medien beider Seiten ausgefochten wurde. Die
große Zahl der Flüchtlinge aus der DDR, Ereignisse wie der 17. Juni 1953 und
die Niederschlagung des Ungarn-Aufstandes von 1956 hatten die westdeutsche
Öffentlichkeit in ihrer antikommunistischen Grundeinstellung bestärkt, die
zwischen den kommunistischen Machthabern und der unterdrückten Masse des
Volkes strikt unterschied. Nachdem mit dem Bau der Berliner Mauer, dem
„antifaschistischen Schutzwall“, die DDR für einige Jahre buchstäblich aus
dem westdeutschen Gesichtsfeld verschwunden war, begannen Publizisten um
die Mitte der sechziger Jahre die DDR als „fernes“, „unbekanntes“ Land zu
entdecken und zu beschreiben. Erstmals wurde auch die Schöne Literatur der
DDR als eigenständige Größe und als glaubwürdige Vermittlerin von Befind-
lichkeiten wahrgenommen. Unabhängig von der tatsächlichen Lage in der
DDR entstand bei vielen Westdeutschen ein DDR-Bild als das einer Lebens-
wirklichkeit von Menschen, die beim Wiederaufbau nach dem Zweiten Welt-
krieg einen schwereren Weg als die Westdeutschen zurückgelegt hatten, die
auf ihre hart erarbeiteten Leistungen stolz waren und sich in ihrem Staat einzu-
richten begonnen hatten. In der westdeutschen DDR-Forschung (s. auch die
Teile B. II. 2.3.4 und B. VIII. 2.1) vollzog sich unter dem Einfluß der Konver-
genztheorie ein Paradigmenwechsel. War die bisherige Sicht auf die DDR
axiomatisch von deren demokratischer und nationaler Illegitimität bestimmt
gewesen, so trat der SED-Staat nun als sozialistischer Industriestaat in das
Blickfeld, mit eigener Rationalität, aber doch auch Zwängen unterliegend, die
aus seiner industriegesellschaftlichen Natur hergeleitet wurden und die, so die
Erwartung, die dysfunktionalen Vorgaben der Ideologie und des Machtsiche-
rungsgebots allmählich abschleifen würden. Gleichzeitige Reformprojekte und
gesellschaftstheoretische Ambitionen, die Mitte der sechziger Jahre die Ul-
bricht-Ära kennzeichneten, schienen diesem Ansatz zu korrespondieren. Die
vage Entsprechung hatte jedoch bald ein Ende, denn die DDR kehrte auch

697
Schlußbericht

theoretisch in die herkömmlichen Pfade der direkten Parteiherrschaft über
Wirtschaft und Gesellschaft zurück – ein Vorgang, der von der westdeutschen
DDR-Forschung zwar registriert, aber in seinen Konsequenzen für den eigenen
Forschungsansatz und die eigene Forschungsthematik nicht hinreichend re-
flektiert wurde. Das Totalitarismuskonzept, das bei der Analyse realsozialisti-
scher Systeme insbesondere die diktatorischen Elemente in den Mittelpunkt
gestellt hatte, wurde, als zu wenig entwicklungsorientiert, in der Forschung
zunehmend an den Rand gedrängt. Daraus resultierte u. a. eine verbreitete Ab-
stinenz gegenüber Themen wie der politischen Repression in der DDR oder
der dort um die Wende zu den achtziger Jahren aufkommenden Opposition.

Eine ähnliche „Entpolitisierung“ läßt sich am Begriff der „Nation“ beobachten.
Er wurde im westdeutschen politischen Diskurs der siebziger und achtziger
Jahre mehr und mehr auf „Kulturnation“ eingeengt. Dies machte ihn zwar im
Hinblick auf die Zweistaatlichkeit kompatibel, blendete aber seinen demokrati-
schen und damit seinen spezifisch politischen Gehalt aus. Die Nation wurde
weithin als Sprach-, Kultur-, Geschichts- und Gefühlsgemeinschaft verstanden,
nicht aber als Subjekt des Selbstbestimmungsrechts und der Volkssouveränität
thematisiert. Die Verengung des Begriffs hatte zudem mit Entwicklungen in
der DDR zu tun. Anfang der siebziger Jahre verkündete die SED offiziell die
„Zwei-Nationen-Theorie“, derzufolge in Deutschland eine „sozialistische deut-
sche Nation in der DDR“ und eine „kapitalistische deutsche Nation in der
BRD“ existierten. Obwohl sich mit dieser „Theorie“ selbst in der DDR die
Mehrheit der Bevölkerung nicht identifizierte, gab es bis in die achtziger Jahre
hinein in der Bundesrepublik einflußreiche Publizisten und Wissenschaftler,
die in ihr einen rationalen Kern zu erkennen glaubten. Wenngleich ihr Einfluß
nicht überschätzt werden sollte, ist doch festzustellen, daß sie mit dazu beige-
tragen haben, die DDR im Bewußtsein vieler Westdeutscher zu verharmlosen.

Kritiker sehen in solchen Entwicklungen ein Versagen bzw. Nachgeben tonan-
gebender Teile der westdeutschen Gesellschaft gegenüber der ostdeutschen
Diktatur. Die Kritik macht geltend, die westdeutsche Gesellschaft, im Genuß
der Freiheit lebend, habe zum einen ihre eigenen Prinzipien verleugnet und
zum anderen die Freiheit der DDR-Deutschen mißachtet, sie habe ihre Augen
vor der strukturellen Friedlosigkeit des Zwangsregimes der DDR verschlossen
und dieses stattdessen verharmlost und „schöngeredet“.

Soweit sie das Denken und Reden einzelner Publizisten und Politiker betref-
fen, mögen solche Vorwürfe berechtigt und mag auch eine Gewissenserfor-
schung angebracht sein. Sie schießen jedoch über das Ziel hinaus, wo sie die
Bedingungen der innerdeutschen Entspannungspolitik verkennen und diese
generell der Amoralität beschuldigen. Amoralisch und prinzipienlos war diese
Politik nicht, wo sie, statt sich darauf zu beschränken, die Menschenrechte und
politischen Grundrechte aller apodiktisch einzufordern, den Machthabern
„scheibchenweise“ menschliche Erleichterungen abhandelte oder wo sie im
Zuge humanitärer Maßnahmen die Bedrängnisse einzelner – deren Zahl sich
immerhin im Laufe von knapp zwei Jahrzehnten auf einige Hunderttausende