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Wahlperiode 13, Band I, Seiten 714 und 715
714
Enquete-Kommission

Sondervotum der Mitglieder der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und
des Sachverständigen Kowalczuk

Bezüglich Kapitel 2.3.3. stellen wir fest, daß der Rechtsstaat sich dem Ver-
gleich mit einer Diktatur nicht stellen muß. Eine kritische Stellungnahme zur
strafrechtlichen Ahndung politisch motivierter Delikte in der Bundesrepublik
wäre daher sinnvoller gewesen. Gleichwohl stimmen wir dem vorliegenden
Text zu, da er die historischen Fakten korrekt wiedergibt.

 

2.4 Widerstand und Opposition in der DDR

Die Vorgängerkommission hat dem Widerstand und der Opposition in der
DDR große Aufmerksamkeit gewidmet und dazu eine Reihe von Forschungen
und Studien initiiert, die vielfach von der inzwischen fortgeführten Forschung
als Grundlage genutzt werden konnten (s. Bericht, 12. Wahlperiode, Materiali-
en Band I, S. 561-610; ferner die Bände VII/1 und VII/2). Im folgenden soll
noch einmal der Frage nachgegangen werden, ob und in welcher Weise die
nationale Einheit für Widerstand und Opposition in der DDR von Bedeutung
war bzw. von ihnen angestrebt wurde.

Ein pauschales Vorurteil besagt, daß im Gegensatz zu Widerstand und Oppo-
sition der fünfziger Jahre die Opposition der achtziger Jahre das nationale Ziel
der Wiedervereinigung in einem demokratischen Deutschland nicht in den
Vordergrund gestellt habe. Bei näherer Betrachtung zeigt sich, daß zwar die
Zeitumstände den jeweiligen Erwartungshorizont in bezug auf die Einheit
prägten, die Stoßrichtung der oppositionellen Bestrebungen aber sowohl im
ersten wie im letzten Jahrzehnt der DDR immer die gleiche war: Sie wandte
sich vorrangig gegen die Repression und gegen die Diktatur der SED, also ge-
gen eine, wenn nicht die entscheidende Existenzbedingung der DDR, denn im
Unterschied zu den anderen Staaten des sowjetsozialistischen Ostblocks besaß
die DDR als „Systemstaat“ keine hinreichende eigenstaatliche Legitimität.
Wer in den fünfziger Jahren „freie Wahlen“ und in den achtziger Jahren die
Menschenrechte einforderte, brachte die DDR als solche in Gefahr, begab sich
in die Nähe des staatsfeindlichen Hochverrats. So sah es über die Jahrzehnte
hinweg die SED-Führung selbst, und demgemäß verhielt sich auch noch die
Opposition der achtziger Jahre, wenn sie den Begriff „Opposition“ lange ver-
mied. Die Zweistaatlichkeit war in den achtziger Jahren ein Denktabu gerade
für diejenigen, die sich mit den herrschenden Verhältnissen innerhalb der DDR
nicht abfanden und doch bewußt waren, daß die Anfechtung der Teilung
Deutschlands an die europäischen Machtverhältnisse, namentlich an die Posi-
tion der Sowjetunion, rührte und damit als friedensgefährdend angesehen wer-
den konnte. Dies wollten sie als Deutsche nicht auf sich nehmen, wohingegen
die tschechoslowakische „Charta 77“ und die polnische Gewerkschaft Solidar-
nośé in dieser Hinsicht freier denken und reden konnten. Sie sprachen als erste
im Ostblock aus, daß Selbstbestimmung, Menschenrechte und Demokratie die
deutsche Frage aufwürfen und ggf. die Wiedervereinigung Deutschlands ein-

715
Schlußbericht

schlössen. Wenn die DDR-Opposition sich dabei „überholen“ ließ, so ist dies
eher als Ausweis ihres nationalen Verantwortungsbewußtseins als nationaler
Indifferenz anzusehen. Sie hatte die spezifische Lage der DDR im geteilten
Deutschland zu berücksichtigen. Das erklärt auch manche – nicht alle – Unter-
schiede zwischen der DDR-Opposition und ihren Freunden in den sozialisti-
schen Nachbarländern.

Die meisten oppositionellen Gruppen in der DDR der fünfziger Jahre verfüg-
ten über keine deutschlandpolitischen Konzeptionen, und soweit in Diskussi-
onskreisen über solche gesprochen wurde, ist davon nur selten etwas schrift-
lich überliefert. Oft bestanden die formulierten Ziele aus wenigen Punkten von
zentraler Bedeutung wie z. B. freie Wahlen, Abschaffung des MfS, Freilassung
der politischen Gefangenen, Zulassung demokratischer Oppositionsparteien
usw. Die deutschlandpolitischen Auswirkungen solcher Ziele lagen für jeder-
mann auf der Hand, zumal die Mehrheit nicht mit einer langen Lebensdauer
der DDR rechnete. Abgesehen von der Harich-Gruppe im Jahre 1956 und eini-
gen „Revisionisten“ in ihrem Umfeld, die ein vereinigtes sozialistisches
Deutschland anstrebten, wünschten Oppositionelle damals nicht die längere
Existenz einer reformierten DDR.

Die Geschichte der einzelnen Oppositionsgruppen im Umfeld der Parteien, an
Oberschulen, Universitäten und Hochschulen während der fünfziger Jahre ist
an anderer Stelle (s. o.) beschrieben. Unsere heutige Kenntnis über konzeptio-
nelle und programmatische Diskussionen in solchen Gruppen beruht vielfach
auf Ergebnissen der Nachforschungen durch das MfS, die in Prozessen gegen
Gruppenmitglieder diesen zur Last gelegt wurden. Erwähnt sei das Beispiel
einer studentischen Oppositionsgruppe an der Universität Halle aus dem Jahre
1957, deren beide führende Mitglieder im September 1958 wegen „Staatsver-
rats“ verurteilt wurden. Im Urteil des Obersten Gerichts, das über die Berufung
zu entscheiden hatte, vom 31. Oktober 1958 wurden folgende Programm-
punkte aufgeführt: „1. Sturz der Regierung der Deutschen Demokratischen
Republik; 2. Änderung in der Führung der SED und Beseitigung ihrer führen-
den Rolle; 3. Erteilung von Lizenzen für westdeutsche Betriebe; 4. Reprivati-
sierung kleinerer volkseigener Betriebe oder deren Umwandlung in Genossen-
schaften; 5. Auflösung der Landwirtschaftlichen Produktionsgenossenschaften
und MTS; 6. Beschränkung der Wirtschaftsplanung auf die wichtigsten Dinge
und wirtschaftliche Selbständigkeit der volkseigenen Betriebe; 7. Auflösung
der Nationalen Volksarmee und des Ministeriums für Staatssicherheit; 8. Aus-
tritt aus dem Warschauer Pakt.“ Diese Ziele sollten, so das Oberste Gericht in
seinem Urteil, „auf dem Wege der Überzeugungsarbeit“ realisiert werden, wo-
bei man an „eine Angleichung der beiden Systeme im Laufe der Entwicklung
auch im Rahmen einer Koexistenz“ dachte, „allerdings nur unter der Voraus-
setzung einer Veränderung der grundsätzlichen politischen Verhältnisse in der
Deutschen Demokratischen Republik“. Andere Gruppen an den Universitäten
Jena und Dresden fügten dem Katalog weitere Zielvorstellungen hinzu wie die
nach freien Wahlen und nach der Verwirklichung politischer Grundrechte wie
Meinungsfreiheit, Koalitionsfreiheit und Freiheit von Forschung und Lehre.