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Wahlperiode 13, Band I, Seiten 716 und 717
716
Enquete-Kommission

Das Ziel der Wiedervereinigung Deutschlands war kein eigenständiger Pro-
grammpunkt, doch es war klar, daß die Realisierung der anvisierten Ziele,
Entmachtung der SED und Demokratisierung der DDR, zwangsläufig nach
mehr oder weniger kurzer Frist zur Einheit Deutschlands führen mußte. Ähn-
lich verhält es sich mit den politischen Forderungen, die beim Aufstand vom
17. Juni 1953 spontan laut wurden: Freie und geheime Wahlen, Rücktritt der
Regierung, Entmachtung der SED, Zulassung von Oppositionsparteien, insbe-
sondere der SPD, Presse- und Informationsfreiheit, Abschaffung der Kaser-
nierten Volkspolizei, Streikrecht. Das drei Jahre später von dem Philosophie-
dozenten Wolfgang Harich entwickelte Programm zur Wiedervereinigung
Deutschlands auf der Grundlage eines besonderen deutschen Weges zum So-
zialismus suchte im wesentlichen die Ziele demokratische Reform der SED,
sozialistische Umgestaltung der Bundesrepublik und Wiedervereinigung zu
verbinden, scheiterte jedoch bereits an der SED selbst, die Harich und seine
Freunde – alle Mitglieder der SED – im November/Dezember 1956 verhaften
und anschließend vor Gericht stellen ließ. Harich verkannte nicht nur die au-
ßenpolitischen Konstellationen und die gesellschaftlich-politischen Kräftever-
hältnisse in der Bundesrepublik, ebenso unverkennbar war, daß er das natio-
nale Motiv für die sozialrevolutionäre Absicht in bezug auf Westdeutschland
zu instrumentalisieren trachtete.

Anders als in bezug auf die fünfziger Jahre sind die Konzeptionen und Ziel-
vorstellungen der Opposition im letzten Jahrzehnt der DDR-Geschichte gut
dokumentiert. Außenpolitisch sah sich die Opposition einer Umwelt gegen-
über, die von einer Ost-West-Politik auf der Basis des Status quo und von Sta-
bilitätserwägungen bestimmt war. Die deutsche Zweistaatlichkeit erschien
ebenso wie die Stabilität der DDR und der Sowjetherrschaft zementiert. Der
von Robert Havemann und Rainer Eppelmann 1982 verfaßte „Berliner Ap-
pell“, der Friedensverträge mit den beiden deutschen Staaten und den Abzug
der alliierten „Besatzungstruppen“ aus Deutschland vorschlug, um die atomare
Gefahr für Mitteleuropa zu bannen, war eher ein Protest gegen die unausge-
sprochenen, den Status quo fixierenden Prämissen der Nachrüstungsdebatte; er
wollte provozieren, indem er auf die Teilung Deutschlands als wesentliche
Spannungsursache in Europa hinwies.

Die Themen und Ziele der Opposition der achtziger Jahre waren jedoch ande-
re: Abrüstung, Beendigung der Militarisierung der DDR, Überwindung der
Blockkonfrontation in Europa, Umwelt, Reisefreiheit in Deutschland, Men-
schenrechte in der DDR. Das Thema „Frieden“ wurde zum Katalysator für die
Selbstfindung als politische Opposition, je mehr der innere Zusammenhang
von äußerem und innerem Frieden reflektiert wurde („Initiative Frieden und
Menschenrechte“). Großen Einfluß übte in dieser Hinsicht die tschechoslowa-
kische „Charta 77“ aus, die von der Überzeugung getragen war, daß die Men-
schenrechte und die auf das Individuum gestützte Zivilgesellschaft als Erbe der
europäischen Zivilisation allen Europäern gleichermaßen zustehen, und von
daher die Forderung „Rückkehr nach Europa“ begründete. Unter dem Einfluß
der „Charta 77“ näherten sich einige DDR-Oppositionelle gedanklich dann

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Schlußbericht

doch dem Thema der Wiedervereinigung als Teil europäischer Lösungen, ver-
bunden mit der Entmilitarisierung Deutschlands und Festschreibung seiner
Grenzen nach dem Stand von 1945. Für die Mehrheit der unabhängigen Frie-
densbewegung in der DDR stand gleichwohl das Konzept einer blockübergrei-
fenden Friedensbewegung bzw. Entspannungspolitik von unten im Vorder-
grund. Sie wandte sich gegen die Logik der waffengestützten Stabilität (Strate-
gie der gegenseitigen Abschreckung). Ihr Ansatz verstieß implizit sowohl ge-
gen das Machtmonopol der SED als auch gegen die „Friedenspolitik“ der
DDR.

Insgesamt ist die Aussage berechtigt, daß die Überwindung der staatlichen
Teilung Deutschlands in den achtziger Jahren für Opposition und Widerstand
in der DDR nicht das wesentliche und nicht das vorrangige Ziel war. Wichtiger
waren ihnen politische Partizipation, persönliche und politische Freiheit, De-
mokratie, Menschenrechte und Rechtsstaat. Diese Ansprüche an die Machtha-
ber vertrat die Opposition innerhalb des gegebenen staatlich sozialistischen
Rahmens, ohne diesen direkt anzufechten, allerdings auch ohne auf seine be-
kannte Schwäche besondere Rücksicht zu nehmen, diese vielmehr ignorierend.
Sie maß den Staat, der auf seine internationale Anerkennung stolz war, an den
Standards und Normen der internationalen Gemeinschaft, die er selbst unter-
schrieben hatte, und seine „Friedenspolitik“ nach außen konfrontierte sie mit
seiner Unfähigkeit, im Innern mit seinen Bürgern einen offenen Dialog zu füh-
ren. Mit einem Wort, indem sie die Forderungen und Rechte einklagte, die auf
der europäischen Tagesordnung standen, stellte sie die Diktatur bloß. Als klei-
ne Minderheit war sie die Vorhut der demokratischen Revolution des Herbstes
1989 und setzte diese in Gang.

Von bleibender historischer Bedeutung für die geeinte Nation ist der Umstand,
daß die deutsche Einheit von 1990 aus einer erfolgreichen demokratischen Re-
volution hervorging. Dies ist eine Errungenschaft für Deutschland, denn die
Verbindung von nationaler Einheit und Demokratie war in der Geschichte des
deutschen Nationalstaates lange keine Selbstverständlichkeit.

 

2.5 Zur deutschen Vereinigung

Im Verlaufe der achtziger Jahre haben sich die internationalen Rahmenbedin-
gungen tiefgreifend verändert. Mit der vor allem durch die KSZE bedingten
systemöffnenden Kooperation, die durch flankierende Maßnahmen zur Ge-
währleistung der Sicherheit abgestützt wurde (Harmel-Bericht von 1967), hatte
sich ein grundlegender Wandel in dem Wettbewerb der antagonistischen Sy-
steme in Ost und West angebahnt. Die Völker hatten in diesen Jahren die un-
terschiedlichen Ordnungen weitaus objektiver miteinander vergleichen und
ihre Vor- und Nachteile besser beurteilen können. Viele von ihnen in Osteuro-
pa, insbesondere in Polen schon seit langem, hatten begriffen, wie wenig der
„real existierende“ Sozialismus seinem selbst propagierten Anspruch – vor al-
lem in der Wirtschaft – gerecht geworden war. Entsprechend begehrten sie auf