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Wahlperiode 13, Band I, Seiten 734 und 735
734
Enquete-Kommission

Konnten sich auch diese Vorstellungen in der Substanz gegen die westliche
Konzeption nicht durchsetzen, so waren sie doch von einem außenpolitischen
europäischen Denken motiviert, das dem der Bundesrepublik nicht unähnlich,
gleichsam verwandt war. Beide Denkschulen hatten die herkömmliche Orien-
tierung am deutschen Nationalstaat als unabhängigem Machtfaktor in Europa
hinter sich gelassen. Beiden war es selbstverständlich, daß Deutschland in eu-
ropäischer Verantwortung stehe, daß es Verpflichtungen und Bindungen ein-
gehen müsse. Die Bundesrepublik hatte sich der Politik der europäischen Inte-
gration seit Jahrzehnten verschrieben und war in einem Verteidigungsbündnis
verankert, dessen innere Struktur und Zielsetzung mit dem Warschauer Pakt,
einem erzwungenen Bündnis, nicht vergleichbar war. Es waren diese unter-
schiedlichen Erfahrungshintergründe, die 1990 die Konzeptionen im einzelnen
bestimmten. Im Entscheidenden stimmten sie aber doch überein: daß die deut-
sche Einigung die Einigung Europas voranbringen müsse. Über ein halbes
Jahrhundert seit der gemeinsam erlebten „deutschen Katastrophe“ getrennt,
trafen sich die Deutschen aus Ost und West bei der Wiederherstellung ihrer
staatlichen Einheit 1990 in einer nationalen Grundeinstellung, die zeigte, daß
sie aus der Geschichte Schlüsse gezogen hatten.

 

Sondervotum der Fraktion BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN und des
Sachverständigen Kowalczuk

Dem vorliegenden Bericht stimmen wir mit Ausnahme des Kapitels 2.5.3.,
insbesondere der Abschnitte „Sowjetunion“ und „Die zwei deutschen Staaten“,
zu.

Unsere Kritik bezieht sich dabei vor allem auf die Michail Gorbatschow einge-
räumte Rolle. Sein Handeln beruht nach unserer Meinung nicht so sehr auf
seinem demokratischen Verständnis. Vielmehr wurde es von der Erkenntnis in
den unabwendbaren politischen und wirtschaftlichen Bankrott des sozialisti-
schen Systems sowjetischer Prägung und dem Versuch, die Sowjetunion und
ihr Einflußgebiet zu sichern, bestimmt. Der entscheidende Unterschied zur
bisherigen sowjetischen Linie bestand daher darin, daß Gorbatschow – unter
Respektierung der damaligen aktuellen Entwicklungen – den sowjetischen
Verbündeten größere Handlungsspielräume zubilligte und auf den Einsatz von
Waffengewalt außerhalb der UdSSR verzichtete.

Generell blenden die Ausführungen in diesem Kapitel in ihrer starken Perso-
nalisierung historischer Ereignisse die gesellschaftliche Ebene nahezu voll-
ständig aus. Die ausschließliche Betrachtungsweise der Jahre 1989/90 aus der
staatlichen Perspektive („Männer machen Geschichte“) reduziert den Umbruch
in der ehemaligen DDR auf das Wirken einzelner politischer Akteure der da-
maligen Bundesrepublik sowie ihrer Verbündeten und der ehemaligen Sowjet-
union. Diese Interpretation übersieht dabei die Entwicklung auf der nichtstaat-
lichen Ebene in den siebziger und achtziger Jahren in den ost- und mitteleuro-
päischen Ländern sowie in der DDR. Die Bedeutung vor allem der tschecho-

735
Schlußbericht

slowakischen Charta 77 und der polnischen Gewerkschaftsbewegung Solidar-
ność für die politische Entwicklung auch in der DDR wird dadurch ebenso
ausgeblendet wie der Massenprotest der ostdeutschen Bevölkerung, das politi-
sche Engagement der oppositionellen Gruppierungen und die zunehmende
Fluchtbewegung aus der DDR in die Bundesrepublik. Diese sich auf der Basis
der KSZE-Schlußakte von Helsinki langsam entwickelnde Eigendynamik von
unten wurde weder von den damals politisch Verantwortlichen erkannt noch
gezielt forciert oder unterstützt.

Ohne die persönlichen Leistungen der in diesem Kapitel erwähnten Personen
in Frage stellen zu wollen, kommen wir nicht umhin festzustellen, daß diese
auf die politischen Entwicklungen Ende der achtziger Jahre anfänglich eher
unvorbereitet und irritiert reagierten. Auch wenn die Entfaltung der oppositio-
nellen Kräfte und Regungen in der DDR sowie in den ost- und mitteleuropäi-
schen Ländern ohne den politischen Wandel insbesondere in der Sowjetunion
ab Mitte der achtziger Jahre nur schwerlich möglich gewesen wäre, so hätte
der Sturz der kommunistischen Diktatur in der DDR – und analog in den Län-
dern Ost- und Mitteleuropas – ohne das Drängen und die Unterstützung der
gesellschaftlichen Ebene nicht stattgefunden.

 

2.5.4 Das neue Verhältnis zu den östlichen Nachbarn am Beispiel Polens

Von grundlegender Bedeutung für das Verhältnis des vereinten Deutschland zu
seinen östlichen Nachbarn ist die Tatsache, daß die deutsche Vereinigung sich
nicht isoliert, sondern in engstem Zusammenhang mit dem Systemwechsel in
den Staaten Mittel- und Osteuropas vollzog. Für die Tschechoslowakei faßte
dies Präsident Václav Havel in seiner Aachener Rede zur Verleihung des
„Karls-Preises“ 1991 in die Worte: „Die Befreiung meines Landes und die
Wiedervereinigung des Ihrigen sind nicht zufällig in derselben Zeit abgelau-
fen. Sie sind integrale und voneinander nicht zu trennende Bestandteile dersel-
ben historischen Erscheinung: nämlich der Selbstbefreiung der Völker Mittel-
und Osteuropas aus den Fesseln des totalitären Systems und ihrer Rückkehr zu
Werten, von denen sie durch das totalitäre System gewaltsam getrennt waren.“
Indem sich in Deutschland selbst wie in den mittel- und osteuropäischen
Nachbarländern das Prinzip der Selbstbestimmung umfassend durchsetzte, ent-
standen die Voraussetzungen für ein endgültig befriedetes Verhältnis demo-
kratischer Nationen. Beispielhaft soll hier Deutschlands Verhältnis zu Polen,
einem seiner unmittelbaren östlichen Nachbarn, mit denen es durch eine lange,
in diesem Jahrhundert für alle Seiten besonders schmerzvolle Vergangenheit
verbunden ist, näher betrachtet werden.

Am 17. Oktober 1991 ratifizierte der Deutsche Bundestag den Grenzvertrag
und zugleich den Nachbarschaftsvertrag mit der Republik Polen. Für die polni-
sche Seite tat der Sejm denselben Schritt einen Tag später. Beiden Verträgen
stimmte der Bundestag mit sehr großer Mehrheit zu, die Zustimmung im Bun-
desrat erfolgte einstimmig. Als Grundlage für die beiderseits beabsichtigte